Tradingpsychologie: Trendlinien sagen alles!
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Kürzlich saß ich vor meinen Charts und versuchte herauszufinden, weshalb der Dax gerade an einem bestimmten Punkt drehte, um binnen einer Stunde um gut 100 Punkte zu steigen. Als ich eine Trendlinie nach der nächsten zog, wurde mir schnell klar, dass es ja vollkommen voraussehbar war, dass der Dax heute früh gerade hier nach oben schoss. Um mir meiner Sache noch sicherer zu werden, überprüfte ich auch noch die wichtigen Charts von S&P 500 und Dow Jones. Auch hier zog ich diverse Trendlinien und konnte ganz klar erkennen, was die charttechnischen Gründe für die massive Umkehr war.
Früher machte ich solche Forschungsarbeiten am Chart ständig. Danach ärgerte ich mich dann, dass ich die Zeichen der Zeit mal wieder nicht rechtzeitig erkannte und bloß zuschauen musste, wie der Dax ohne mich ein Feuerwerk der grünen oder roten Kerzen abfeuerte. Für die Zukunft nahm ich mir dann immer vor, von meinen Analyseerkenntnissen zu profitieren. Mit dem Ergebnis, dass die nächste Rally wieder ohne mich stattfand. Im Nachhinein (er)fand ich aber immerzu gute Gründe, was ich hätte tun müssen! Alles schien glasklar erkennbar und ich war überzeugt, dass Trendlinien mir alles Wichtige für mein Trading sagen würden.
Heute erinnert mich das ganze an einen meiner Lieblingsfilme „Der Clou“, mit den großartigen Schauspielern Robert Redford und Paul Newman. In dem Filmklassiker legen die beiden einen gierigen Gauner mit manipulierten Pferdewetten rein. In ihrem fingierten Wett-Casino präsentieren sie bereits abgelaufene Pferde-Rennergebnisse, als würden sie gerade live geschehen. Kein Wunder, dass der Gangsterboss Doyle Lonnegan mit diesem Trick ein Vermögen verlor.
So wie im Film "Der Clou", spielte auch ich mit meinen lapidaren Tradingerklärungen, wie beim Pferde-Wettkampf, nach dem Rennen. Denn egal wohin der Kurs im Dax heute auch gegangen wäre, ich hätte mit meinen Trendlinien immer eine gute Erklärung gefunden, weshalb der Kurs gerade an der Stelle gedreht ist. Ich spielte heute früh einige mögliche Verlaufs-Alternativen im Dax, Dow und S&P 500 durch. Es war erstaunlich, für jeden größeren Umkehrpunkt fand sich eine plausible Trendlinie. Oder sollte ich besser sagen – erfand ich eine Trendlinie? Das trifft es wohl besser. Sie kennen den schlichten Satz: „Hinterher ist man immer schlauer“. Aber ist das, was man da erkennt die Wahrheit, oder bloß der Versuch die Wahrheit zu erkennen?
Für mich ist es letzteres. Meine Tradingerfahrungen haben mich gelehrt, dass ich mit meinem Trendliniengepinsel nur auf der Suche nach der Wahrheit war. Denn die sollte mir Sicherheit geben. Sicherheit, die ich selbst nicht hatte. Und was man nicht in sich trägt, dass sucht man um so mehr im Außen. Ich versuchte mit den nachträglichen Erklärungen ein absolut sicheres Verhaltensmuster an der Börse zu erkennen. Eines, welches sich immer und immer wiederholt. Man wird ja wohl noch mal träumen dürfen!
Damals glaubte ich aber, dass Trading so geht. Schließlich bewiesen mir doch all die „Profi“-Trader da draußen, dass sie die Kurse scheinbar genau vorher sagen können. Ihre Trendlinien schienen mir wie in Stein gemeißelte Gesetze des Tradings. Nur ich Idiot hatte sie noch nicht auf der Reihe! Das sie treffsicher waren, weil sie oftmals nach dem Prinzip der „Clou-Pferderennen“ wetteten, war mir nicht klar.
Viele Jahre später und unendlich viele Minustrades danach, weiß ich heute, dass ich mir viel zulange etwas vorgemacht habe. Verständlicherweise, denn wer will schon gerne Geld an den Märkten verlieren. Heute brauche ich die zahlreichen Gitterstäbe meines eigenen Gedankengefängnisses nicht mehr. Denn sie geben mir nicht die erhoffte Freiheit von meinen Ängsten. Im Gegenteil.
Aus meinen umfangreichen Studien der Neurowissenschaften weiß ich heute, dass der Mensch sich seine Welt praktisch ständig selbst erfindet. Auch beim Trading. Wir wollen das Geschehene verstehen. Ohne das Verständnis vom tiefen Sinn unserer Erlebnisse leben wir mit angezogener Handbremse. Das ist extrem unbefriedigend. Und wenn es keinen erkennbaren Grund gibt, dann erfindet unser Gehirn eben einen. Punkt. Das darf auch mit Hilfe von Trendlinien passieren. Wir suchen solange, bis wir einen gute Erklärung für unser Handeln oder Nicht-Handeln ge (er) funden haben. Das menschliche Gehirn ist eine Interpretiermaschine. Sie ist dazu da, Probleme zu lösen. Manchmal auch da, wo gar keine sind. Mit dieser scheinbaren Idiotie haben wir es ständig beim Traden zutun. Da lag ich dann hin und wieder gar nicht so falsch, wenn ich mal wieder völlig verzweifelt einen Tradingtag mit dem Gedanken beendete: „Ich glaube, ich bin blöd!“.
Unser Gehirn findet das gar nicht blöd, sondern selbstverständlich. Nur ist es unserem Gehirn vollkommen egal, ob wir bei unseren Börsengeschäften Geld verdienen, oder verlieren. Hauptsache Sicherheit! Unser Gehirn ist, wie es ist. Um jedoch konstant Geld an den Märkten zu verdienen, brauchen wir – wie ich es nenne – ein Tradinggehirn. Das kann man leider nicht kaufen. Aber sich strukturiert aneignen – das geht schon.
Wie genau Sie das schaffen können, erfahren Sie in meinem aktuell Buch "[Link "Tradingpsychologie - So denken und handel die Profis" auf books.godmode-trader.de/... nicht mehr verfügbar]".
Norman Welz
Experte für angewandte Tradingpsychologie
Am besten finde ich, man tradet dann, wenn der Markt es will, nicht wann man selber gerade Lust dazu hat.
Die Welt, wie wir sie sehen, ist diejenige, welche nur in unserem Kopf existiert. Und jeder hat einen anderen Kopf auf seinen Schultern. Ein Trader ist euphorisch, wenn die 9600 überschritten werden, der andere ist vorsichtig, weil er schon sooo weit gelaufen ist. Man sieht das auch sehr schön an den unterschiedlichsten Kommentaren, die über das gleiche Chartbild abgegeben werden. Deswegen ist GMT auch so unterhaltsam. :-))))) Das bringt Leben in die Kiste.
Die Welt, wie wir sie sehen, ist diejenige, welche nur in unserem Kopf existiert. Und jeder hat einen anderen Kopf auf seinen Schultern. Ein Trader ist euphorisch, wenn die 9600 überschritten werden, der andere ist vorsichtig, weil er schon sooo weit gelaufen ist. Man sieht das auch sehr schön an den unterschiedlichsten Kommentaren, die über das gleiche Chartbild abgegeben werden. Deswegen ist GMT auch so
Hi Norman, mal wieder ein sehr guter Artikel von Dir.
Mir ging es da genauso, wenn ich einen fertigen Aufwärtstrend sah und mir vorstellte, was ich hätte verdienen können, wenn da unten Long eingestiegen und oben ausgestiegen wäre. Leider sieht die Realität so aus, dass man sich erst mal trauen muss an einer unteren Trendlinie im Aufwärtstrend einzusteigen in der Hoffnung, dass sich dieser Trend genauso ausbildet und die Kurse nach oben gehen und nicht etwa die Trendlinie nach unten bricht. Da gibt es noch keine Sicherheit ob es wirklich so passieren wird. Schaut man ein paar Tage / Wochen später auf den Markt und sieht den fertigen Trend, dann kann man rückblickend wieder sagen, was hätte ich an dem Trend verdienen können. ;)