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12:11 Uhr, 25.10.2018

Stichwahl in Brasilien: „Es geht um die wirtschaftliche Zukunft des Landes“

Am Sonntag wählt Brasilien einen neuen Präsidenten. Die Stichwahl dürfte Nordea-Portfoliomanagerin Cathy Hepworth zufolge darüber entscheiden, inwiefern künftig mit einer orthodoxen, marktfreundlichen Politik zu rechnen ist.

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Stockholm (GodmodeTrader.de) - Es geht bei dieser Wahl um nicht weniger als die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Die Märkte beobachten deshalb genau, für welchen wirtschaftspolitischen Kurs die beiden Kandidaten stehen, wie Cathy Hepworth, Portfoliomanagerin des Nordea 1 – Emerging Market Bond Fund, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Fernando Haddad gehöre innerhalb der Arbeiterpartei PT eher dem moderaten Flügel an. Bei Themen wie der Rücknahme der Arbeitsmarktreform und der Ausgabenobergrenze, der Einführung eines progressiveren Steuerregimes und dem Einsatz der Zentralbankreserven zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten deckten sich Haddads politische Ansichten zwar überwiegend mit dem linken Block der PT. Bei anderen Fragen hingegen trete Haddad gemäßigter auf, so etwa bei der Rentenreform, der Nutzung staatlicher Banken, der Privatisierung und das Zentralbankmandat. Die Frage sei, wie stark Haddad auf Ex-Staatschef Lula und die weniger reformbereiten Elemente der Partei angewiesen sei. Im Falle des Falles würde er sich vermutlich pragmatisch stärker zur Mitte hin orientieren, heißt es weiter.

„Jair Bolsonaro, Kandidat der rechtsgerichteten Partei PSL, wirkt politisch polarisierend, steht aber dennoch für eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Die Märkte begrüßen die insgesamt marktfreundliche, vom anerkannten Ökonom Paulo Guedes entworfene Agenda Bolsonaros und erwarten Reformen zur Verbesserung der nicht nachhaltigen Fiskaldynamik und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesen Maßnahmen gehört der allmähliche Übergang zu einem Rentensystem mit optionalen Ansparmöglichkeiten der Bürger und der Umsetzung wirkungsvoller Maßnahmen zur Verbesserung des bestehenden Systems, aber auch die Wiederherstellung eines Haushaltsüberschusses vor Zinsen innerhalb einer Frist von zwei Jahren, die Sicherung der Zentralbankunabhängigkeit und eine stärkere Öffnung des Handels“, so Hepworth.

Die nationalistische Haltung Bolsonaros nähre allerdings Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines orthodoxen politischen Kurses. Und sein unter Umständen extrem angespanntes Verhältnis mit dem Kongress werfe die Frage auf, wie politisch handlungsfähig er als Präsident sein könnte und welche Chancen er habe, seine politische Agenda in der Legislaturperiode überhaupt umzusetzen. Viel werde dabei vom politischen Kräfteverhältnis im Kongress nach den Wahlen abhängen – und besonders von der Frage, ob die Parteien der Mitte einer Bolsonaro-Regierungskoalition beiträten und ob er den großen etablierten Parteien mit einer versöhnlichen Geste entgegenkomme, heißt es weiter.

„Die neue Regierung erbt eine wachstumsschwache Wirtschaft und nicht nachhaltige Staatsfinanzen. Gleichzeitig gilt es, die relativ günstigen Inflationstendenzen und den Außenbeitrag beizubehalten. Nach der schweren Rezession der Jahre 2015/16 folgte 2017 eine mühsame Erholung mit einem Wachstum von einem Prozent. Dieses Jahr wurde die wegen der anhaltenden Konsum-, Investitions- und Exportschwäche ohnehin schon eingeschränkte Erholung durch einen Lkw-Fahrerstreik zusätzlich gelähmt. Die angesichts des sehr ungewissen Wahlausgangs ohnehin gedrückte Stimmung dürfte viele Wirtschaftsteilnehmer zu einer defensiveren Haltung verleitet haben, während der Handel in Brasilien sicher auch unter dem schnellen Abgleiten Argentiniens in die Rezession gelitten hat. Diese Trends setzen sich wohl bis zum Jahresende fort. So rechnen wir mit einem moderaten Wachstumszuwachs auf 1,4 Prozent“, so Hepworth.

Brasilien habe allerdings ganz grundsätzliche, strukturelle Wachstumsprobleme: zu hohe Steuern, Überregulierung, Preisverzerrungen, schwache Wettbewerbsfähigkeit, Handelsbarrieren und rechtsstaatliche Defizite. Diese Probleme hätten das Wirtschaftswachstum trotz des jahrelangen Rohstoffbooms nachhaltig beeinträchtigt. So sei die brasilianische Wirtschaft in den vergangenen fast 40 Jahren durchschnittlich nur um 2,25 Prozent pro Jahr gewachsen, während es die großen Schwellenländer auf vier Prozent gebracht hätten. Der Bevölkerungsanstieg hingegen habe durchschnittlich 1,5 Prozent pro Jahr betragen, heißt es weiter.

„Infolgedessen konnte Brasilien sein Pro-Kopf-BIP über diesen Zeitraum um lediglich 28 Prozent steigern, wohingegen andere große Schwellenländer mit Wachstumsraten von durchschnittlich etwa 290 Prozent (bzw. ohne China etwa 160 Prozent) aufwarten. Marktfreundliche Politiker würden vermutlich versuchen, die angebotsseitigen Beschränkungen abzubauen, damit Brasilien nachhaltig Produktivitätszuwächse erzielen kann“, so Hepworth.

Die Beschränkung der Primärausgaben sei ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, entscheidend zur Sanierung der Staatsfinanzen wäre jedoch eine Reform des Rentensystems. Hoffnung auf einen Ausgleich des Primärsaldos bestehe letztendlich nur, wenn das Defizit der Sozialkassen (aktuell fast drei Prozent des BIP) reduziert werde, heißt es weiter.

„Wir gehen nach wie vor davon aus, dass sich die neue Regierung dieses Themas zwangsläufig annehmen wird, weil die Rentenausgaben dringend nachhaltiger gestaltet werden müssen. Jeder Versuch, sich vor dieser Reform zu drücken, hätte massive finanzielle Konsequenzen: Vertrauens- und Wachstumsverlust, Ratings, Wechselkurse, Zinsen etc. Bis es soweit ist, sorgen moderate Sparmaßnahmen, höhere Steuereinnahmen und Einmaleinnahmen voraussichtlich für eine sukzessive fiskalische Konsolidierung. Diese aber reicht nicht aus, um den stetigen Anstieg der Schuldenquote zu stoppen“, so Hepworth.

Die Reformen der aktuellen Regierung – insbesondere die Ausgabenobergrenze, die Beschneidung des Staatsbankensektors und die Arbeitsmarktreform – müssten fortgesetzt und intensiviert werden. Gleichzeitig gelte es, Fortschritte in der Beseitigung makroökonomischer Ungleichgewichte zu bewahren, heißt es weiter.

„Sollte Haddad die Stichwahl gewinnen, rechnen wir wegen seiner insgesamt heterodoxen politischen Agenda zunächst mit Markteinbrüchen. Ein Wahlsieg Bolsonaros hingegen könnte die Kurse beflügeln und die Anleger kurzzeitig in Feierstimmung versetzen. So mancher aber mag sich doch fragen, ob Bolsonaro überhaupt in der Lage ist, eine arbeitsfähige Koalition zustande zu bringen“, so Hepworth.

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