Kommentar
10:21 Uhr, 14.01.2025

Steht der Siemens-Konzern vor einem großen Umbruch?

Siemens, einer der bekanntesten und traditionsreichsten Konzerne Deutschlands, steht möglicherweise vor richtungsweisenden Entscheidungen, die das Unternehmen nachhaltig verändern könnten. Die Beteiligung an Siemens Healthineers, die bisher als ein strategisches Juwel im Portfolio galt, sorgt derzeit für Gesprächsstoff. Es wird spekuliert, ob der Konzern sich von Teilen seiner Anteile trennen oder die Beteiligung sogar ganz veräußern könnte.

Parallel dazu mehren sich Stimmen aus Expert:innenkreisen, die eine Abspaltung der Mobility-Sparte fordern, die im Vergleich zu anderen Geschäftsbereichen relativ margenschwach ist. Siemens, das sich in den letzten Jahren bereits durch Abspaltungen wie Siemens Energy strategisch neu aufgestellt hat, scheint nun erneut an einem Wendepunkt zu stehen. Welche Überlegungen stecken hinter diesen Forderungen, und wie könnte die Zukunft des Konzerns aussehen? Ein Blick auf die Hintergründe und mögliche Szenarien.

Geschäftsmodell

Siemens ist ein weltweit führender Technologiekonzern, der in verschiedenen Schlüsselindustrien tätig ist. Das Unternehmen hat sein Geschäft in mehrere Segmente unterteilt, um unterschiedliche Branchen abzudecken und den Anforderungen der globalen Märkte gerecht zu werden. Die folgende Grafik zeigt die Umsatzverteilung nach Geschäftsfeldern:

Umsatzverteilung nach Segmenten
  • Healthineers: Dieses Segment fokussiert sich auf Medizintechnik und Gesundheitslösungen. Siemens Healthineers bietet innovative Produkte und Dienstleistungen, die von bildgebenden Systemen bis zu diagnostischen Tests reichen. Es ist ein zentraler Bestandteil des Portfolios, allerdings wird aktuell über eine mögliche Veräußerung diskutiert.
  • Smart Infrastructure: Hier konzentriert sich Siemens auf Lösungen für Energieverteilung, Gebäudetechnik und die Digitalisierung von Infrastrukturen. Dieses Segment spielt eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung nachhaltiger Städte und Gebäude.
  • Digital Industries: Diese Sparte bietet Automatisierungs- und Digitalisierungsprodukte für die Industrie. Das Segment gilt als Innovationsführer und treibt den Wandel zur Industrie 4.0 voran.
  • Mobility: Der Bereich umfasst Lösungen für Schienenverkehr und Transport. Trotz der strategischen Bedeutung ist die Sparte relativ margenschwach und wird oft als potenzieller Kandidat für eine Abspaltung genannt.
  • Sonstiges: Unter diesem Punkt werden kleinere Geschäftsbereiche und Beteiligungen zusammengefasst, die nicht den Hauptsegmenten zugeordnet sind.

Zusätzlich zur Segmentaufteilung ist Siemens auch geografisch breit aufgestellt, wie die folgende Grafik zur Umsatzverteilung nach Regionen zeigt:

Umsatzverteilung nach Regionen

Siemens generiert seine Umsätze aus einer Vielzahl von Regionen, wobei die größten Beiträge aus den folgenden Märkten stammen:

  • EMEA (Europa, Naher Osten und Afrika): Diese Region bildet den größten Umsatzanteil und spiegelt die starke Marktpräsenz des Konzerns in Europa wider.
  • USA: Der nordamerikanische Markt ist für Siemens besonders wichtig, insbesondere durch die Nachfrage in den Bereichen Medizintechnik und digitale Industrien.
  • Asien und Australien: In dieser Region profitiert Siemens vom Wachstum in Schwellenländern wie China und Indien, sowie von der fortschreitenden Urbanisierung.
  • Deutschland: Als Heimatmarkt bleibt Deutschland ein zentraler Standort für Innovation und Entwicklung.
  • Americas (ohne USA): Die restlichen Länder des amerikanischen Kontinents tragen ebenfalls zum Umsatz bei, wenn auch in kleinerem Umfang.

Diese breite Diversifikation – sowohl inhaltlich als auch geografisch – macht Siemens zu einem flexiblen Unternehmen, das in der Lage ist, auf unterschiedlichste Marktanforderungen einzugehen. Doch genau diese Komplexität führt auch zu der Frage, ob eine weitere Straffung des Portfolios notwendig sein könnte.

Beteiligungen an Siemens Energy und Siemens Healthineers

Siemens hält aktuell rund 25 % der Anteile an Siemens Energy, das 2020 ausgegliedert wurde und den Fokus auf Energieerzeugung und -übertragung legt. Trotz der verbleibenden Beteiligung agiert Energy zunehmend eigenständig. Deutlich größer ist die Beteiligung an Siemens Healthineers mit etwa 75 %, einem führenden Unternehmen der Medizintechnik, das maßgeblich zum Konzernergebnis beiträgt. Es gibt jedoch Spekulationen, ob Siemens Anteile an Healthineers verkaufen könnte, um strategische Mittel freizusetzen. Beide Beteiligungen sorgen für eine breitere Diversifikation des Geschäftsmodells und könnten entscheidend für die künftige Ausrichtung sein.

Zahlen & Fakten

Börsenwert 152,33 Mrd. EUR
Mitarbeiter 327.000
Hauptsitz München
Gründungsjahr 1897

Leistungskennzahlen

Umsatz, Nettogewinn und Nettomarge

Die Umsatz- und Gewinnentwicklung von Siemens ist stabil und kontinuierlich. Im Geschäftsjahr 2018 hat der Konzern sich von einem Teil der Healthineers Sparte getrennt und diese als eigenständigen Konzern an die Börse gebracht. Außerdem wurde die Siemens Energy Sparte zum Großteil in den Finanz-Statements separat ausgewiesen und 2020 auch als eigenständiger Konzern an die Börse gebracht. Diese Konsolidierung positionierte den Konzern für eine Wachstumsphase, insbesondere durch die Sonderkonjunktur im Jahr 2021. Für die kommenden Jahre wird ein kontinuierliches Umsatzwachstum prognostiziert, mit dem mittelfristigen Ziel, die Nettomarge bei knapp 12 % zu stabilisieren.

Solvenzkennzahlen

Gesamtkapital 147,81
Eigenkapital 56,23
Gesamtverschuldung 47,92
Liquide Mittel 10,22
Q4’24 Bilanz [Mrd. EUR]

Die Solvenzkennzahlen von Siemens zeigen eine solide, aber ausgewogene Finanzstruktur. Das Gesamtkapital beträgt 147,81 Mrd. EUR und setzt sich zu großen Teilen aus Sachanlagen zusammen, was die langfristige Vermögensbasis des Konzerns unterstreicht. Gleichzeitig weist Siemens eine Gesamtverschuldung von 47,92 Mrd. EUR auf, was im Verhältnis zum Eigenkapital von 56,23 Mrd. EUR eine moderate, aber nicht risikofreie Verschuldungsquote ergibt. Positiv zu bewerten ist das Polster an liquiden Mitteln in Höhe von 10,22 Mrd. EUR, das ausreichend Spielraum für kurzfristige finanzielle Verpflichtungen oder strategische Investitionen bietet. Insgesamt zeigt die Bilanz ein stabiles Fundament, wobei das Management einen Balanceakt zwischen langfristigen Investitionen und der Bewältigung der Verschuldung vollziehen muss.

Bewertungskennzahlen

KGV 18,92
KUV 2,03
KBV 3,01

Der Siemens-Konzern wird nicht wie ein klassischer Industriekonzern bewertet. Das Management versucht den Konzern als innovativen Technologiekonzern auftreten zu lassen. Allerdings wird ein großer Teil des Umsatzes immer noch im Mid-Tech Bereich wie Mobility erwirtschaftet. Betrachtet man das Geschäftsmodell, fällt allerdings auch auf, dass aufgrund der beiden Segmente Smart Infrastructure und Digital Industries die Bewertung angemessen erscheint. Sollte sich der Konzern in Zukunft immer mehr auf zukunftsträchtige und innovationsstarke Branchen fokussieren, könnte die Börse den Konzern sogar noch deutlich höher bewerten.

Chancen und Risiken

Siemens steht vor einer Reihe von Chancen und Risiken, die die künftige Entwicklung des Konzerns prägen könnten. Zu den größten Chancen zählen die starke Positionierung in Wachstumssektoren wie Digitalisierung, Automatisierung und Medizintechnik. Besonders die Sparte Digital Industries profitiert vom Trend zur Industrie 4.0, während Healthineers durch Innovationen in der Medizintechnik und die globale Alterung der Bevölkerung langfristiges Wachstumspotenzial bietet. Auch der Fokus auf nachhaltige Infrastruktur und Energielösungen spielt Siemens in die Karten, insbesondere in Regionen mit wachsendem Bedarf an urbaner Entwicklung und Energiewende.

Auf der anderen Seite gibt es signifikante Risiken. Die vergleichsweise niedrige Marge der Mobility-Sparte und die potenzielle Notwendigkeit einer Abspaltung könnten Ressourcen und Aufmerksamkeit binden. Die hohe Gesamtverschuldung und die Abhängigkeit von globalen Märkten machen den Konzern zudem anfällig für wirtschaftliche Schwankungen und geopolitische Risiken. Darüber hinaus könnte die strategische Entscheidung über eine mögliche Veräußerung von Healthineers oder weiteren Anteilen an Siemens Energy das langfristige Portfolio beeinflussen. Siemens steht somit vor der Herausforderung, Chancen effektiv zu nutzen, ohne dabei die strukturellen Risiken zu vernachlässigen.

Chart

Wochenchart der Siemens AG | Quelle: stock3

Die Siemens-Aktie hat sich in der Vergangenheit beständig unter Schwankungen positiv entwickelt. Die Aktie notiert nahe an ihrem Allzeithoch. Jüngst ist ein Ausbruch auf neue Hochs allerdings misslungen, weshalb ich die Aktie aktuell für einen Ersteinstieg für uninteressant halte. Sollte die Aktie allerdings einmal stärker korrigieren, wäre die Aktie für einen Einstieg sehr interessant.

Fazit

Siemens steht als einer der führenden Technologiekonzerne Deutschlands an einem entscheidenden Wendepunkt. Die strategischen Überlegungen, wie der mögliche Verkauf von Anteilen an Siemens Healthineers oder die Abspaltung der Mobility-Sparte, könnten das Unternehmen nachhaltig verändern. Während das diversifizierte Geschäftsmodell mit starken Segmenten wie Digital Industries und Smart Infrastructure Siemens eine solide Basis für die Zukunft bietet, sorgen die vergleichsweise niedrige Marge von Mobility und die erhöhte Gesamtverschuldung für Herausforderungen.

Gleichzeitig eröffnet die Fokussierung auf zukunftsträchtige Branchen wie Digitalisierung, Automatisierung und nachhaltige Infrastruktur immense Chancen. Die starke Marktstellung in Wachstumsregionen und die Beteiligung an Siemens Energy und Healthineers bieten ein stabiles Fundament, während Innovationen und der technologische Wandel zusätzliche Potenziale freisetzen könnten. Dennoch bleibt die Balance zwischen strategischer Straffung und der Nutzung von Wachstumschancen eine komplexe Aufgabe.

Für Investoren bleibt Siemens langfristig interessant, auch wenn die Aktie aktuell nahe ihrem Allzeithoch notiert und ein Einstieg nach einer Korrektur sinnvoller erscheinen mag. Der künftige Erfolg des Konzerns wird maßgeblich davon abhängen, wie gut Siemens die strukturellen Herausforderungen meistert und seine strategischen Entscheidungen umsetzt.

Offenlegung wegen möglicher Interessenkonflikte

Der Autor ist im besprochenen Wertpapier bzw. Basiswert zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.