Fundamentale Nachricht
10:35 Uhr, 11.07.2022

Sorgen um tiefe Rezession: Was passiert, wenn Russland kein Gas mehr liefert?

Zuletzt sind aufgrund der reduzierten russischen Gaslieferungen und der Gefahr eines kompletten Lieferstopps die Preise am europäischen Gasmarkt wieder massiv gestiegen.

Seit Montagfrüh 06.00 Uhr fließt kein Gas aus Russland mehr durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland. Die schrittweise Abschaltung hat begonnen. Der Gasfluss für die langfristig angekündigten Wartungsarbeiten werde heruntergefahren, teilte der Betreiber, die Nord Stream AG, auf ihrer Website mit.

Der Vorgang ist an sich nicht ungewöhnlich, er fand in den vergangenen Jahren regelmäßig im Sommer statt, wenn beispielsweise weniger Gas zum Heizen benötigt wird. Doch im Kontext der Sorgen, was nach der Wartungsphase von rund 10 Tagen passieren könnte, erwächst die jetzige Abschaltung zum Akt mit Nachrichtenwert. Der französische Finanzminister Le Maire forderte die Europäer dazu auf, sich auf ein Szenario ausbleibender russischer Lieferungen vorzubereiten.

Im schlimmsten Fall, wenn Russland seine Gas-Lieferungen durch Nord Stream 1 auch nach der Wartung ab dem 21. Juli nicht weiter ausführt, könnte Deutschland in eine Gas-Notlage rutschen, so die Befürchtung. Ökonomen erwarten für dieses Szenario mittelfristig einen Konjunktureinbruch. Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank sagte der Nachrichtenagentur Reuters: „Die Augen der Welt werden am 21. Juli auf den Pipeline-Knotenpunkt in Lubmin gerichtet sein." Bliebe das Gas aus, würde zwar nicht sofort der Gas-Notstand herrschen, doch eine weitere Befüllung der Gasspeicher für den Winter wäre schwierig und spätestens 2023 müsste das Gas dann rationiert werden. „Es käme damit erneut zu Lockdowns der Wirtschaft", mahnt Gitzel. „Die deutsche und die europäische Wirtschaft würden in eine tiefe Rezession abrutschen."

Die Bundesnetzagentur, die für die Gasverteilung hierzulande zuständig ist, sieht im Falle dauerhaft ausbleibender Lieferungen durch die Nord Stream 1-Tangente keinen unmittelbaren Gasmangel auf Deutschland zukommen. Deutschland könnte aber seine Gasspeicher vor der Heizperiode nicht so weit auffüllen wie geplant. Zudem könnte es unter Umständen zu einer Mangellage kommen.

Ob es so weit kommt, weiß niemand, auch nicht der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Es sagte am Montag im ZDF-Morgenmagazin: „Wir haben aus Russland ganz unterschiedliche Signale“. Es gebe Sprecher des Kremls, die sagten, in Kombination mit der Siemens-Turbine, man könne wieder wesentlich mehr liefern. (Anm.: Kanada sagte, trotz seiner Sanktionen gegen Russland, die Rücksendung der gewarteten Turbine an Deutschland zu). Es habe aber auch sehr martialische Ansagen aus dem Kreml gegeben, so Müller weiter. „Ehrlich gesagt, es weiß keiner." Müller appellierte an alle, Gas zu sparen. „Man muss die Lage genau beobachten, gleichzeitig aber alles dafür tun, jetzt schon Gas einzusparen, die Heizung zu optimieren“.

Zuletzt sind aufgrund der reduzierten russischen Gaslieferungen und der Gefahr eines kompletten Lieferstopps die Preise am europäischen Gasmarkt wieder massiv gestiegen. „Sollte Nord Stream 1 in zehn Tagen den Betrieb wieder aufnehmen, besteht eine gute Chance, dass ein Gasnotstand verhindert werden kann“, kommentierten Analysten der Commerzbank. „Bleibt der Gashahn allerdings geschlossen, müsste Deutschland wohl in absehbarer Zeit die dritte Stufe des Gansnotfallplans ausrufen“. Schließlich würde es dann kaum mehr ohne staatlich verordnete Rationierungen ausgehen. „Es drohen damit erhebliche wirtschaftliche Schäden“, so die Rohstoffexperten.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnete eine mögliche staatliche Zuweisung von Gas-Energie als „politisches Albtraum-Szenario“. „Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten“, meinte der Wirtschaftsminister im Deutschlandfunk. Die Regierung versuche sich mit ihren Maßnahmen auf das Schlimmste vorzubereiten, um dies zu vermeiden, so Habeck.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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