Sinnestäuschung: Unsichtbare Gorillas am Anleihenmarkt
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- FTSE 100Kursstand: 7.186,00 Pkt (Deutsche Bank Indikation) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
London (GodmodeTrader.de) – Anfang des dritten Quartals fielen die Renditen von US-Staatsanleihen auf ihr Allzeittief, die Anleger eröffneten folglich die Jagd auf höhere Renditen. Janelle Woodward, President und Portfoliomanagerin bei der Institutional Fixed Income Boutique Taplin Canida & Habacht (TCH) unter dem Dach von BMO Global Asset Management, erinnert das an den berühmten Wahrnehmungstest und YouTube-Erfolg „Der unsichtbare Gorilla“. Bei diesem Test wird der Zuschauer gebeten, zwei Teams beim Ballspiel zu beobachten und die Ballwechsel des einen Teams zu zählen. Während der Zuschauer sich voll und ganz auf die Bälle konzentriert, tanzt eine Person in einem Gorillakostüm mitten durch das Bild. Später nach dem Gorilla befragt, gibt etwa die Hälfte der Zuschauer an, ihn nicht wahrgenommen zu haben.
Könnten Investoren am Anleihenmarkt aufgrund ihrer selektiven Wahrnehmung – ähnlich wie bei dem beschriebenen Gorilla-Test – auch die Chancen auf höhere Renditen entgehen? Denn die meisten Experten scheinen sich einig zu sein: Mit Anleihen kann man nichts verdienen. Investoren sind deshalb auf der Suche nach Alternativen – auch außerhalb der Assetklasse. Janelle Woodward untersucht in einer aktuellen Veröffentlichung zum Anleihemarkt vier „unsichtbare“ Gorillas im aktuellen Marktumfeld, die Chancen auf Rendite bieten könnten.
1. Gorilla: Was ist, wenn das Gras woanders nicht grüner ist?
„US-Renditen bleiben im internationalen Vergleich recht attraktiv. Der Renditeabstand zwischen Anleihen aus den USA und Papieren aus anderen Regionen ist noch immer groß. Den US-Märkten floss daher viel Kapital zu. Umschichtungen von internationalen Investoren aus Anleihen anderer Länder in US-Qualitätsanleihen haben die US-Renditen in den letzten Jahren nach oben getrieben“, erklärt Woodward. Für ausländische Anleger sei es wichtig zu wissen, dass die höheren Renditen nicht auf Kosten der Liquidität gingen. US-Anleihen böten mehr von beidem.
2. Gorilla: Äpfel mit Äpfeln vergleichen
Der Umstand, dass Aktien genauso hohe oder gar höhere laufende Erträge böten als Anleihen, bleibe weiterhin ein wichtiges Thema für den Markt. Dividendenstarke Aktien erzielten gemessen am S&P 500 Dividend Aristocrats Index zum Quartalsende 2,5 Prozent Dividendenrendite, während die Rendite zur Fälligkeit (Yield to Worst) des Bloomberg Barclays U.S. Aggregate unter zwei Prozent gelegen habe. Allerdings eigne sich die laufende Rendite des Bloomberg Barclays U.S. Aggregate besser für einen Vergleich mit der Dividendenrendite des S&P 500 – und dieser Wert habe zum Quartalsende bei 2,9 Prozent gelegen. Seither seien die Zinsen weiter gestiegen, Anleiherenditen noch attraktiver geworden. Ende Oktober habe die Rendite zehnjähriger Treasuries bei 1,83 Prozent gelegen, sei also etwa 30 Basispunkte höher als im September gewesen. Im November habe sich dieser Trend fortgesetzt: Die Rendite zehnjähriger Treasuries habe zum Ende des Monats bei 2,38 Prozent gelegen, dem höchsten Stand seit Juli 2015, heißt es weiter.
Darüber hinaus gebe es am US-Anleihenmarkt Segmente mit hohen Renditen, die den Wünschen von Investoren entsprächen. Viele von ihnen würden sich jedoch in den Durchschnittswerten der einschlägigen Indizes verbergen. So werde die Rendite des U.S. Aggregate maßgeblich von US-Staatsanleihen bestimmt, die 40 Prozent Anteil am Index hätten. Die Renditen typischer Nicht-Staatsanleihen aus dem Index seien höher gewesen. US-Unternehmensanleihen etwa hätten Ende September eine laufende Rendite von 3,8 Prozent geboten. Bei einem solchen, aussagekräftigeren Vergleich lägen die Dividendenrenditen von US-Aktien demnach hinter der Rendite von US-Unternehmensanleihen, heißt es weiter.
3. Gorilla: Den Wald trotz vieler Bäume sehen
Wer Unternehmensanleihen nur in ihrer Gesamtheit betrachte, ignoriere hochrentierliche Segmente des aus 5.900 Einzelwerten bestehenden Anlageuniversums. Zum Beispiel BBB-Anleihen: Sie seien mit 48 Prozent Anteil das größte Qualitätssegment am Unternehmensanleihenmarkt. Ende Oktober hätten sie eine Yield to Worst von 3,3 Prozent geboten. Als weiteres Beispiel seien Unternehmenspapiere mit mehr als zehn Jahren Laufzeit zu nennen: Mit über 31 Prozent Anteil am Unternehmensanleihenmarkt seien sie das größte Laufzeitsegment. Sie böten eine Yield to Worst von 4,2 Prozent. „Nicht außer Acht zu lassen ist außerdem die Steigung der Zinsstrukturkurve von Unternehmensanleihen“, erklärt Woodward. „In den letzten drei Jahren hat sich diese zwar leicht abgeflacht, die Steigung reicht jedoch noch immer aus, um Investoren attraktive Renditeaufschläge zu bieten.“
Alternative Kreditinstrumente, vor allem Loans und Infrastrukturanleihen mit gleicher Laufzeit und gleichem Risiko, böten weniger Renditeaufschlag, als man annehmen könnte. Tatsächlich sei bei diesen Instrumenten die Liquiditätsprämie maßgeblich für den Aufschlag verantwortlich. Da alternative Anlagen wegen ihrer geringen Liquidität nicht offiziell bewertet würden, entstehe ein Liquiditäts-Volatilitäts-Paradoxon: Assets, die weniger häufig gehandelt würden, schienen weniger volatil, heißt es weiter. Die Liquidität börsennotierter Anleihen, die man täglich verkaufen oder bis zum Ende ihrer Laufzeit halten kann, stuft Woodward von TCH angesichts dessen als das „bessere Risiko“ ein.
4. Gorilla: Die Flut hebt alle Boote
Nicht nur langfristige Anleihen böten Chancen. Die Renditen von kurzfristigen, variabel verzinslichen Investmentgrade-Notes seien vor kurzem stark gestiegen. Dies sei den neuen Regulierungsvorschriften für Geldmarktfonds geschuldet. Staatspapiere würden jetzt vorteilhafter behandelt als Unternehmensanleihen. Daraufhin seien die LIBOR-Sätze gegenüber kurzlaufenden Treasuries erheblich gestiegen, mit der Folge, dass auch die Renditen von Wertpapieren mit einer an den LIBOR gebundenen Kupon-Komponente gestiegen seien. Zu ihnen zählten auch variabel verzinsliche Notes, heißt es weiter. Woodward rät darüber hinaus, zwischen variabel verzinslichen Investmentgrade-Notes und Loans zu unterscheiden, einem ebenfalls beliebten Anlageinstrument. „Anders als Loans sind variabel verzinsliche Unternehmensanleihen sehr liquide Investmentgradepapiere ohne LIBOR-Floor, sodass dem Anleger ein Anstieg des LIBOR bei ihrer nächsten Anpassung zugutekommt“, so Woodward.
Ausblick und Positionierung
Der Renditeanstieg zu Beginn des vierten Quartals spreche dafür, dass Investoren mit traditionellen Anleihen attraktive Renditen erzielen können. Der jüngste Anstieg sei nicht durch den seit langem erwarteten Zinsanstieg entstanden, sondern in der Folge eines Zinsrückgangs seit Jahresbeginn. Die Renditen hätten nach dem Allzeittief Anfang des dritten Quartals einen ordentlichen Sprung gemacht, heißt es weiter. Woodward geht dennoch davon aus, dass die Zinsen eher steigen als fallen werden – dies allerdings vor dem Hintergrund, dass US-Staatsanleihen in den ersten neun Monaten des Jahres eine Performance von beinahe 15 Prozent verzeichnet haben.
„Die Aufmerksamkeit liegt nun zunehmend auf der Federal Reserve (Fed) und die für Dezember erwartete zweite Zinserhöhung dieses Zyklus. Dies könnte zu einem kurzfristigen Anstieg der Volatilität führen, sollte sich die Fed nicht klar zu ihren Plänen für das nächste Jahr äußern“, so Woodward. Die Anleihenmarkterwartungen von Janelle Woodward bleiben dadurch jedoch unbeeinflusst. Die günstigen Fundamentaldaten der US-Wirtschaft, die weltweit unterschiedliche Geldpolitik und die Besonderheiten der Einzelwerte lieferten Argumente dafür, heißt es weiter.
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