Kommentar
17:10 Uhr, 15.11.2023

Selbst der Worst Case ist nicht schlimm

Bisher kommt der Aktienmarkt gut durch die Hochzins- und Hochinflationsphase. Die Möglichkeit einer zweiten Inflationswelle hängt allerdings wie ein Damoklesschwert über dem Markt.

Kommt eine zweite Inflationswelle, lässt sich eine Rezession kaum vermeiden. Notenbanken würden die Zinsen von einem ohnehin schon hohen Niveau aus weiter anheben. Wachstum und Arbeitsmarkt würden kippen, Anleiherenditen in die Höhe schnellen und Unternehmen bankrottgehen – und das alles in einem Umfeld, in dem der Staat kaum fiskalischen Spielraum hat.

Es klingt so, als ob Anleger zu Recht Angst vor einem solchen Szenario haben. Notenbanken nehmen die Angst vor einem solchen Szenario nicht. Stattdessen weisen sie immer wieder auf diese Möglichkeit hin. Kommt es dazu, sind die Parallelen zu den 70er-Jahren perfekt. Schon jetzt sind die Parallelen kaum zu übersehen. Das gilt nicht nur für die Inflation selbst (Grafik 1).

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Inflation ist der Faktor, der alles andere miteinander verbindet. Ist die Inflation hoch, steigen auch die Anleiherenditen. Auch bei diesen lassen sich Parallelen kaum noch leugnen (Grafik 2). Die Rendite wird nicht nur durch die Inflation bestimmt. Diese bestimmt allerdings den Leitzins und so über Umwegen die Renditen. Der Leitzins folgt ungefähr dem Schema von damals (Grafik 3).Selbst-der-Worst-Case-ist-nicht-schlimm-Kommentar-Clemens-Schmale-stock3.com-2
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Die letzte Hochinflationsphase war von hoher Arbeitslosigkeit geprägt. Die Arbeitslosenrate ist heute zwar deutlich niedriger, der Verlauf ähnelt sich trotzdem (Grafik 4). Bis vor Kurzem konnte beim Wirtschaftswachstum nicht von Parallelen gesprochen werden. Die Pandemie verzerrte das Bild zu sehr. Inzwischen ist das anders (Grafik 5).

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Die heutigen Umstände wirken fast wie eine exakte Wiederholung von damals. Man kann aber auch Unterschiede erkennen. Die Zinskurve verhält sich heute konträr zum damaligen Verlauf (Grafik 6). Insgesamt überwiegen die Ähnlichkeiten. Daher ist die Frage berechtigt, ob Wirtschaft und Aktienmarkt einem verlorenen Jahrzehnt entkommen können.

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Kurs gesagt: Er kann. Der große Bärenmarkt der 70er-Jahre, der die Kurse um 50 % einbrechen ließ, fand zu Beginn der Hochinflationsphase statt (1973/74). Auf heute umgelegt hat der Mark 2022 diesen Bärenmarkt bereits durchlebt. Der zweite Bärenmarkt fiel mit fast genau -20 % deutlich milder aus. Der dritte Bärenmarkt war mit 26 % abgehakt.

Beides sind schmerzhafte Rückgänge. Bleibt es dabei, dass die heutige Hochinflationsphase weniger volatil ist, wären die kommenden Rücksetzer Korrekturen, die es nicht zum Bärenmarkt (-20 %) schaffen. Das Schlimmste ist für den Markt bereits vorbei. Dass es so bleibt, ist nicht garantiert, doch auch der Verlauf des Aktienmarktes ist zu den 70er-Jahren ähnlich.

Die zweite Inflationswelle war für den Aktienmarkt weniger schrecklich als die erste. Wirtschaft, Markt und Anleger hatten sich bereits daran gewöhnt. Unter Schwankungen begann 1974 ein langanhaltender Aufwärtstrend (Grafik 7).

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Wieso der Markt heute mit weniger großen Rücksetzern durch die Hochinflationsphase kommt, ist schnell erklärt. Die Verläufe sind zwar ähnlich, doch die Ausgangslage ist eine andere. Die Arbeitslosenrate stieg damals von 4 % auf 6 %, danach von 4,6 % auf 9 % und zum Schluss sogar auf fast 11 % an. Ob Arbeitslosenrate, Renditen oder Leitzins, alles hat ein anderes Niveau und dieses macht einen großen Unterschied.

Der Worst-Case ist unter diesen Umständen gar nicht so schlimm. Einen Wermutstropfen gibt es allerdings. Die Bewertung ist heute deutlich höher als damals (Grafik 8). Solange Zinsen und Wirtschaft wie bisher bleiben, ist die Bewertung zwar hoch, aber nicht überzogen. Dies gilt vor allem für Unternehmen, die nicht zu Big Tech gehören. Dort ist die Bewertung deutlich zurückgekommen. Der Trend könnte weitergehen. In diesem Fall bleiben schnell aufeinanderfolgende Rezessionen zwar aus, doch die Kurse laufen für mehrere Jahre seitwärts, weil die Bewertung sinkt. Genau danach sieht es derzeit aus. So oder so, das Schlimmste ist eigentlich überstanden. Die Zeit nach dem ersten Bärenmarkt war weniger schlimm, als es häufig dargestellt wird.

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6 Kommentare

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  • masi123
    masi123

    Bei meiner kritischen Betrachtung zu Vergleichen mit der Vergangenheit (vgl. 1. Kommentar) habe ich noch drei wesentliche Punkte vergessen. So beruht der beispiellose Wirtschafts- und Börsenboom seit den 80er Jahren auf

    1. Digitalen Revolution (PC´s , Internet, Smartphone) mit neuen, bis dato unbekannten Geschäftsfeldern und Profiten. Dies hat zum Boom ibs. der Techwerte geführt.

    2. Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion und Gewinnung neuer Absatzgebiete v. a. in Osteuropa

    3. Aufstieg Chinas, womit sowohl ein riesiger Absatzmarkt (z.B. für Automobile) als auch sehr (zunächst) billige Arbeitskräfte in der Zuliefererkette verbunden waren

    In allen drei Punkten ist man in eine Sättigungsphase eingetreten. Die (natürlichen) Wachstumsraten früherer Jahre sind nicht mehr erreichbar; allenfalls temporär auf Kredit (Staatsverschuldung).

    Ich sehe deshalb keine Parallele zur Vergangenheit. Diese Aussagen beziehen sich primär auf die USA; so hatte ich auch den Artikel verstanden.

    12:31 Uhr, 16.11.2023
  • The Economist
    The Economist

    Lieber Herr Schmale, Sie sind einer der besten Macro Analysten in Deutschland und Ihre Berichte sind einfach top, interessant und lesenswert. Zwei Dinge fallen mir in vielen Analysen von Godmode Trader auf. Oft wird über "den Aktienmarkt" oder "die Wirtschaft" gesprochen. Dabei schreiben Sie im obigen Artikel von einer potentiellen Rezession und das "der Aktienmarkt gut durch die Hochzinsphase gekommen sei". Unklar ist in diesem Artikel und vielen anderen über welche Wirtschaft und welchen Aktienmarkt Sie sprechen. Die Wirtschaft in Europa befindet sich seit vielen Jahren in der Stagnation, hat seit 2008 gefühlt 6 Krisen/Rezessionen durchlaufen (Weltfinanzkrise 2008, Eurokrise 2013, Flüchtlingskrise 2015, Brexit Krise ab 2016, Corona Krise 2020, Ukraine Krise 2022, Energie & Inflationskrise 2022/23). Die führenden Aktienindizes in Europa (EuroStoxx 50, Dax, SMI) sind seit 2007 und/oder seit 2015 nach Abzug der Inflation stagniert oder negativ. Der einzige Index welcher in Europa seit der Einführung des Euro zu Beginn der Jahrhundertwende ("Euro=Teuro") steil nach oben zeigt ist der CPI Index welcher von 76.00 (im Jahr 2000) auf aktuell 124.5 gestiegen ist, ein Anstieg um fast 100%. In den USA hingegen ein ganz anderes Bild: Die Wirtschaft präsentiert sich über die letzten 20 Jahre und auch in diesem Jahr in blendender Form, "die" Aktienmärkte in den USA (!!!) haben sich auch vor dem Hintergrund der Hochzins- und Inflationsphase hervorragend entwickelt, auch in diesem Jahr!

    10:42 Uhr, 16.11.2023
  • pretender777
    pretender777

    Her Schmale...leider sind Sie auf dem Holzweg...also ich Anfang des Jahres den Weg in die Deflation prophezeite (weil das der normale Gang im Business Cycle ist) waren Sie und alle anderen Experten hier zu 100% bei der Inflation. Nun kann ich Ihnen eine Sache sagen...es wird schlimm!

    06:35 Uhr, 16.11.2023
  • Floh11
    Floh11

    In der Betrachtung fehlen mir Eindeutig Gold und Rohstoffe. Die besten Performer in diesem Zeitraum. Alles spricht derzeit für ein Goldener Schmetterling Portfolio. Wer viel will sollte in die niedrig bewerteten und deutlich geringer Verschuldeten (als damals) Emerging Markets investieren.

    Beim US Markt bin ich eher pessimistisch.

    Liebe Grüße

    18:29 Uhr, 15.11.2023
  • masi123
    masi123

    Der Vergleich mit z. B. 1973/74 ist aus verschiedenen Gründen schwierig:

    1. Die Arbeitslosenstatistik wurde (mehrmals) stark verändert. Mit der damaligen Erhebungsmethode ergäbe sich heute eine viel höhere Quote. Daneben beruht die Statistik in den USA nicht auf harten Daten, sondern unpräzisen telefonischen Umfragen.

    2. Die Staatsverschuldung (im Verhältnis zum BIP) ist heute wesentlich höher, was den Spielraum für Staatsausgaben, Konjunkturprogramme und Subventionen (z.B. inflation reduction act) zukünftig einschränken wird (Stichwort: Kredit-Rating).

    Wie will man unter diesen Rahmenbedingungen dem Teufelskreislauf aus Staatsverschuldung->Inflation->hohe Zinsen=hohe Zinslast (die Zinslast macht einen Großteil der Neuverschuldung aus) ohne schwere Rezession (aufgrund von Budgetkürzungen) entkommen?

    Ich bin hier nicht so optimistisch.

    17:47 Uhr, 15.11.2023
  • masi123
    masi123

    Beim Vergleich mit z.B. 1973/74 ist Einiges zu beachten:

    1. Die Arbeitslosenstatistik wurde (mehrfach) sehr stark verändert, nach der damaligen Ermittlungsmethode ergäbe sich heute eine wesentlich höhere Quote. Zudem beruht die Statistik in den USA nicht auf harten Daten, sondern (unpräzisen) telefonischen Umfragen.

    2. Die Staatsverschuldung steht heute auf einem viel höheren Niveau, welche die Ausgabemöglichkeiten begrenzen wird (Stichwort: Kredit-Rating). Daneben beruht ein nicht unerheblicher Teil der Wirtschaftsleistung aber gerade auf diesen Staatsausgaben bzw. Subventionen (z.B. inflation reduction act).

    Wie will man unter diesen Voraussetzungen den Teufelskreislauf von Staats-Verschuldung->Inflation->hohe Zinsen=hohe Zinslast (macht bereits heute einen hohen Teil der Neuverschuldung aus) entkommen und gleichzeitig eine schwere Rezession verhindern?

    Fazit: ich bin nicht so optimistisch

    17:36 Uhr, 15.11.2023

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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