Fundamentale Nachricht
12:58 Uhr, 02.09.2022

Russlands Energiewaffe verliert an Bedeutung

Europas Abhängigkeit von dem Giganten im Osten schwindet. Deutschland bezog bis vor kurzem im Schnitt mehr als die Hälfte seines Gases aus Russland. Nach jüngsten Schätzungen des BDEW ist der deutsche Gasverbrauch aus Russland im August auf 9,5 % gesunken. Im Vorjahr waren es noch 60 %.

Auch wenn ab Samstag die russischen Gasexporte Richtung Westen über die Pipeline Nord Stream 1 wieder anlaufen sollten, wie Buchungszahlen nahelegen: Fakt ist: Europa musste in den letzten Monaten einen starken Rückgang der Gaslieferungen aus Russland, seinem traditionell größten Energielieferanten, verkraften. Dies hat den Graben zwischen Brüssel und Moskau vertieft und das Risiko einer Rezession und Gasknappheit im Winter erhöht.

Moskau dürfte ab Samstag weiterhin nur einen Bruchteil früherer Kapazitäten liefern. Russland hatte die Exporte über die Pipeline Nord Stream 1 bereits auf 20 Prozent der Kapazität gedrosselt und derzeit wegen erneuter Wartungsarbeiten bereits das zweite Mal binnen weniger Wochen ganz unterbrochen.

Die Führung in Moskau und der staatlich kontrollierte Energieriese Gazprom begründen dies damit, dass die westlichen Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs Wartungsarbeiten beeinträchtigten. Die europäischen Politiker halten die Lieferkürzung und den jüngsten Wartungsausfall hingegen für ein politisches Manöver, das darauf abzielt, in der Europäuschen Union Unsicherheit zu verbreiten und die Energiepreise angesichts des Angriffs des Kremls auf die Ukraine in die Höhe zu treiben.

Russland sieht nun die Funktionsfähigkeit der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 1 insgesamt gefährdet. Grund sei, dass nur eine Turbine in einer wichtigen Kompressorstation in Betrieb sei, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Der russische Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin schlug Europa zur Lösung der Energiekrise stattdessen die Nutzung der derzeit still gelegten Gas-Pipeline Nord Stream 2 vor. Energiesicherheit sei ohne Russland unmöglich, erklärt der enge Verbündete von Präsident Wladimir Putin.

Agathe Demarais, Direktorin bei dem Forschungs- und Beratungsunternehmen The Economist Intelligence Unit, sagte dem US-Finanzsender CNBC, der Kreml scheine die Energieversorgung als Waffe einzusetzen und die Brücken zu Europa gänzlich abzubrechen. Europa stehe ein sehr schwieriger Winter bevor, „wahrscheinlich zwei Jahre lang eine sehr schwierige Anpassung mit hohen wirtschaftlichen Einbußen. Aber dann wird Europa unabhängiger werden, und sich mit Blick auf Energielieferungen stärker diversifiziert haben“, so Demarais. „Und das bedeutet, dass Russlands Energiewaffe an Bedeutung verlieren wird", fügte sie hinzu. „Wir sind der Meinung, dass Russland das weiß und deshalb bereits jetzt die Gaslieferungen unterbricht oder für Unsicherheit sorgt, weil es weiß, dass es Europa jetzt Schaden zufügen muss, wenn es das will. Es ist eine Frage von jetzt oder nie".

Deutschland bezog bis vor kurzem im Schnitt mehr als die Hälfte seines Gases aus Russland. Nach jüngsten Schätzungen des Energieverbands BDEW ist der deutsche Gasverbrauch aus Russland im August auf 9,5 Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es noch satte 60 Prozent.

Dennoch ist die größte europäische Volkswirtschaft derzeit dem Zeitplan in Sachen Gasspeicherung überraschend weit voraus. Laut neuesten Daten hat das Land seine unterirdischen Speicher zu über 84 Prozent gefüllt. Ein Niveau, das eigentlich erst in rund einem Monat hätte erreicht werden sollen.

Skeptisch äußerte sich heute der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, DIHK. Die deutsche Wirtschaft gerät wegen der hohen Energiepreise demnach zunehmend unter Druck. Nach einer DIHK-Erhebung sähen sich aktuell 16 Prozent der Industriebetriebe gezwungen, die Produktion aufgrund der hohen Energiepreise herunterzufahren oder einzuschränken, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian. „Eine Energiekrise, wie wir sie derzeit erleben, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben", betonte Adrian.