Kommentar
10:27 Uhr, 11.07.2025

Rüstungsboom: Zwischen Preisexplosion und strategischer Neuausrichtung

Die europäischen Staaten rüsten massiv auf. Im Zuge der neuen geopolitischen Lage haben die 32 Nato-Partner auf ihrem Gipfel im Juni eine signifikante Erhöhung der Verteidigungsausgaben beschlossen. Bis zum Jahr 2035 sollen die Mitgliedstaaten 5 % ihrer Wirtschaftsleistung in die Sicherheit investieren.

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  • Rheinmetall AG
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  • Rheinmetall AG - WKN: 703000 - ISIN: DE0007030009 - Kurs: 1.832,000 € (XETRA)

Dies entspricht einer gewaltigen Summe von 1,2 Billionen USD, verglichen mit 485 Mrd. USD im Jahr 2024. Allein Deutschland plant, seine Verteidigungsausgaben von gut 75 Mrd. EUR im laufenden Jahr auf 168 Mrd. EUR im Jahr 2029 zu mehr als verdoppeln. Die Industrie stößt an ihre Grenzen.

Industrielle Engpässe und eine drohende Preisspirale

Die enorme Nachfrage trifft auf eine Industrie, die jahrzehntelang auf geringe Stückzahlen ausgerichtet war. Die Folge sind lange Lieferzeiten und steigende Preise. "Wir müssen von Auftragsarbeit zur Massenfertigung übergehen, nur so können wir die Stückpreise von Panzern und Kampfjets drücken", mahnt Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Derzeit betragen die Lieferzeiten für einen Radpanzer Boxer (hergestellt von Artec, einem Gemeinschaftsunternehmen von Rheinmetall und KNDS) 24 Monate, bei komplexeren Systemen noch länger. Diese Produktionsengpässe bergen die Gefahr einer Preisspirale, bei der ein erheblicher Teil der zusätzlichen Mittel durch Kostensteigerungen aufgezehrt wird. Und natürlich werden die beteiligten Unternehmen nicht unglücklich darüber sein, an der einen oder anderen Stelle einen weiteren Preisaufschlag durchzudrücken - es lässt sich ja leicht begründen.

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Eine Sprecherin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) räumt denn auch ein: "Steigende Preise sind unvermeidbar". Sie verweist dabei sowohl auf steigende Lohn- als auch auf Materialkosten.

Der Zeitdruck ist enorm, auch bedingt durch die akute Bedrohungslage. Militärexperten gehen davon aus, dass Russland spätestens 2029 zumindest in der Lage sein könnte, einen Nato-Staat anzugreifen. "Im Zweifel müssen wir schon heute Nacht kämpfen können", unterstreicht der lettische Verteidigungsminister Andris Sprūds die Dringlichkeit.

Strategische Weichenstellungen für die Zukunft

Angesichts der Lage wird über die richtige strategische Ausrichtung der Investitionen debattiert. Moritz Schularick warnt davor, sich zu sehr auf traditionelle Waffensysteme zu konzentrieren. "Ich fürchte, dass wir einen schweren Fehler machen, wenn sich unsere heutige Antwort auf den russischen Imperialismus wieder auf bestehende Waffensysteme und eine Wehrpflicht beschränkt." Stattdessen müsse Europa massiv in technologische Fähigkeiten wie unbemannte Systeme, Künstliche Intelligenz und Satellitenaufklärung investieren. Der Forschungsanteil im deutschen Verteidigungshaushalt liege bei unter 5 %, kritisiert Schularick. "In Israel und den USA sind es 15 bis 20 %. Da müssen wir hin."

Gleichzeitig wird die Beschaffungspolitik neu justiert. In Deutschland soll das BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) beschleunigte Verfahren ermöglichen und hat intern bereits 80 von 160 Vorschriften außer Kraft gesetzt.

Dennoch gibt es einen Konflikt zwischen den Beschaffungsansätzen. Einerseits gibt es die Möglichkeit des Kaufs bewährter Systeme auf dem Weltmarkt, wie dem israelischen Luftverteidigungssystem Arrow oder amerikanischen F-35-Kampfjets. Andererseits gibt es aus guten Gründen auch das Ziel, die europäische Militärindustrie zu stärken.

Frankreichs Europaminister Benjamin Haddad stellt klar: "Wenn europäisches Geld fließt, sollte es auch der europäischen Industrie zugutekommen". Demgegenüber warnen Stimmen aus der Nato vor Protektionismus. "Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Wettbewerbsdruck, um die Preise zu senken und die Produktion zu beschleunigen", so ein hochrangiger Nato-Diplomat.

Rohstoffe und Lieferketten als Achillesferse

Ein weiterer kritischer Faktor ist die Abhängigkeit von Rohstoffen und komplexen Lieferketten. Ein einzelnes Panzergetriebe besteht aus rund 25.000 Einzelteilen, und ein Konzern wie Rheinmetall ist auf etwa 1.000 Zulieferer angewiesen. Eine aktuelle Studie der Londoner Denkfabrik IISS warnt, dass "potenzielle Gegner westlicher Staaten in einigen Fällen über eine nahezu monopolartige Kontrolle über die Versorgung mit wichtigen Materialien verfügen."

Dies betrifft strategische Rohstoffe wie Wolfram, das für Panzerstahl benötigt wird. Einer der Hauptlieferanten: Russland. Seltene Erden werden hauptsächlich von China kontrolliert. Aber auch vermeintlich einfache Vorprodukte wie Nitrozellulose, sogenannte Schießbaumwolle für die Munitionsproduktion, oder hochfester Panzerstahl sind knappe Güter (Lesetipp: SALZGITTER - Erste Spezialstahl-Zulassung für militärische Zwecke ist da!)

Diese Abhängigkeiten könnten die Produktionspläne bremsen und die Kosten weiter in die Höhe treiben. Es bleibt die Sorge, dass am Ende ein erheblicher Teil des Aufrüstungsprogramms in Preissteigerungen verpufft, anstatt die Sicherheit Europas nachhaltig zu stärken.

Fazit

Nachfrage groß, Angebot begrenzt, komplexe Beschaffung: Es ist klar, dass die massive Aufrüstung auch an den Preisen dreht. Mit doppelt so viel Geld wie vorher kann man eben nicht doppelt so viel Waffen kaufen, sondern deutlich weniger. Nicht nur steigen die Kosten tatsächlich, die Hersteller werden natürlich auch versuchen, mehr Marge zu machen - nachzulesen dann später in den Geschäftsberichten. Die Regierungen wären gut beraten, nicht blind in diese Falle zu laufen und vor allem nicht einfach mehr von allem zu kaufen, sondern verstärkt auf neue Technik zu setzen. Auch ist zu bedenken, dass sich in den nächsten Jahren viel tun wird, man denke an den massiven Fortschritt bei Drohnen, an Einbindung von KI, etc. Zu befürchten sind aber Multimilliarden-Investitionen in die Kriegsführung von gestern.

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