Kommentar
16:20 Uhr, 09.06.2020

Paradigmenwechsel: Aktien für immer höher bewertet?

Die Bewertung des Aktienmarktes ist blanker Wahnsinn, sagen die einen. Die anderen betonen: wir haben für immer niedrigere Zinsen und eine Geldschwemme. Es gibt einen Paradigmenwechsel. Was ist korrekt?

Es lohnt sich, die zwei Faktoren (Geldschwemme, niedrige Zinsen) nicht in einen Topf zu werfen. Die Geldschwemme ist nämlich ein geringerer Faktor als viele glauben. An anderer Stelle gehe ich darauf ausführlicher ein. Kurz zusammengefasst lässt sich aber sagen: die Verschuldung steigt schneller, als die Notenbanken Geld drucken. Es steht daher kein zusätzliches Geld für den Aktienmarkt bereit. Ein Argument (Geldschwemme) fällt für die dauerhaft höhere Bewertung weg. Bleibt das andere Argument, die niedrigen Zinsen. Diese spielen natürlich eine Rolle und man kann es ziemlich genau quantifizieren. Sind die Zinsen niedrig, wirken Aktien plötzlich interessant, selbst wenn sie stärker schwanken und damit ein höheres Risiko haben. Wir gehen davon aus, dass Aktienmarkt und Zinsniveau vor Beginn der Coronakrise in Einklang waren. Damals warf der S&P 500 eine Dividendenrendite von 1,9 % ab. Unternehmen des S&P 500 schütteten 2019 Dividenden von 58,11 Dollar aus. Gemessen am Kurs des Index entsprach das einer Rendite von 1,9 %.

Die Krise schmälert die Gewinne. Es werden weniger üppige Dividenden ausgeschüttet werden. Für dieses Jahr dürfen Anleger insgesamt mit 54,1 Dollar an Dividenden rechnen. Würden Anleger immer noch 1,9 % Rendite erwarten, dürfte der S&P 500 bei maximal 2.850 Punkten stehen. Der Markt steht aber höher.

Dividenden-Futures zeigen zudem, dass Anleger im kommenden Jahr noch einmal fallende Dividenden erwarten. Das ist sehr wahrscheinlich. Auch nach der Finanzkrise sanken die Dividenden zwei Jahre in Folge. Für 2021 werden 50 Dollar Dividenden erwartet. Bei 1,9 % Rendite entspricht das einem Kurs von 2.630.

Da der Markt höher steht und viele behaupten, dass das fair ist, muss sich etwas geändert haben. Anleger müssen sich mit einer geringeren Rendite zufrieden geben. Damit man den aktuellen Kurs und Dividenden in Einklang bringt, müssen Anleger mit einer Rendite von 1,5 % zufrieden sein (Grafik 1).


Langfristig steigen die Dividenden wieder. Futures sagen aktuell vorher, dass ein neues Hoch erst Ende des Jahrzehnts erreicht wird. Die Futures haben sich dabei in den letzten Wochen deutlich bewegt. Die Lücke aus dem aktuellen Future-Kursen und den Tiefs im März ist vor allem kurzfristig groß (Grafik 2). Je weiter man in die Zukunft blickt, desto geringer ist diese Lücke. Die Erwartung der Anleger für 2030 bleibt relativ stabil.

Wendet man auf diese Dividendenerwartung eine Rendite von 1,5 % an (was ja der aktuellen Rendite entspricht und fair sein soll), können Anleger bis 2030 lediglich Kurse von 3.900 Punkten erwarten, also weniger als 30 % Kursgewinn in 10 Jahren. Selbst wenn also ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat lässt dieser nicht mehr viel Platz nach oben. Wer den S&P 500 aktuell noch für billig hält, muss davon ausgehen, dass die Zinsen noch weiter fallen. In den letzten Wochen sind die Zinsen für Staatsanleihen (und die sind bestimmend) stark gestiegen.

Kurzfristig kann der Markt weiter steigen und sich von der Realität noch weiter entfernen. Mittel- und langfristig verkalkuliert sich jeder, der die Entwicklung der letzten Wochen weiter in die Zukunft projiziert.

Clemens Schmale


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1 Kommentar

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  • mariahellwig
    mariahellwig

    Die Zinsen sind aber nur so niedrig wegen der Geldschwemme. Laut Alan Greenspan lägen sie ohne Eingriffe der Notenbanken im zweistelligen Bereich.

    16:38 Uhr, 09.06.2020

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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