Kommentar
06:51 Uhr, 11.03.2011

Ölpreis: Die Lunte brennt...

Sehen wir uns nach diesem Ausflug in die europäische Politik einige aktuelle
Entwicklungen an. Es brodelt gerade ganz ordentlich: Als wir in der Dezember-
Ausgabe des Antizyklischen Börsenbriefs gewarnt hatten, man solle die
Möglichkeit einer Deflation keinesfalls aus den Augen verlieren, da haben uns
einige Kollegen milde belächelt. Noch bis vor wenigen Tagen galt es als ausgemachte
Sache, dass die Welt vor einem gigantischen Inflationsschub stehen
wird.

Doch die explosive Lage im Nahen Osten hat die Karten neu gemischt. Plötzlich
ist ein Aspekt ins Spiel gekommen, den viele Strategen bereits vollständig aus
den Augen verloren hatten: Seit ein paar Tagen explodieren die Ölpreise – und
schon beeilen sich die Konjunkturforscher, ihre Wachstumsprognosen für die
Weltwirtschaft nach unten zu korrigieren.

In der Tat sollte man die jüngste Entwicklung im Nahen Osten nicht auf die leichte
Schulter nehmen: Der steigende Ölpreis könnte die Weltwirtschaft in ernste
Schwierigkeiten bringen. Das deflationäre Szenario, das die Mehrheit bereits aus
den Augen verloren hat, könnte dann wieder die Oberhand gewinnen. Natürlich
nicht nächste Woche, auf Sicht einiger Monate sollte man diese Möglichkeit aber
durchaus im Hinterkopf haben.

Dabei ist der Einfluss steigender Ölpreise auf die Konjunktur heute glücklicherweise
geringer als noch vor einigen Jahrzehnten: Die Ölkrisen der 1970er Jahre hatten
die Industriestaaten dazu veranlasst, Wege aus ihrer Abhängigkeit vom Öl zu
suchen. Durch Verbesserungen der Energieeffizienz, eine Ausweitung des
Energiemixes, etwa durch den Ausbau regenerativer Energien, sowie den Bau
eigener Förderanlagen hat sich die Korrelation von Ölpreis und Konjunktur in den
vergangenen 30 Jahren deutlich vermindert. Insbesondere ist die benötigte
Rohölmenge je Sozialprodukteinheit, die so genannte Ölintensität, in fast allen
Industrieländern heute nur noch etwa halb so hoch wie in den 1970er Jahren.

Dennoch ist der Zusammenhang zwischen Ölpreis und Konjunktur enger, als es
der Rückgang der Ölintensität vermuten lässt: Während sich die Ölintensität halbiert
hat, ist der konjunkturelle Effekt nur um etwa 25 Prozent gesunken.

Deshalb reagieren die Aktienmärkte weiterhin sehr sensibel auf die geringeren
Gewinnmargen der Unternehmen im Zuge steigender Ölpreise. Niedrigere
Aktienkurse führen dann zu geringeren Investitionen und weniger Konsum.
Übersetzt heißt das: Ein dauerhaft steigender Ölpreis ist schlecht für die
Konjunktur, wenn auch nicht mehr ganz so schlecht, wie das noch vor einigen
Jahrzehnten der Fall war. Die Hurrarufe der Bundesregierung wegen der angeblichen
Wirtschaftserholung könnten deshalb schon bald verstummen: Der steigende
Ölpreis könnte das Wirtschaftswachstum auch in Deutschland schneller
abwürgen als gedacht.

Und natürlich ist das ein weltweites Phänomen: In den USA etwa bedeutet jeder
Anstieg des Ölpreises um einen US-Dollar einen Anstieg der Spritpreise um 2,5
Cent je Gallone. Und jeder Anstieg der Spritpreise um einen Cent, verursacht bei
den Konsumenten ein Loch von rund einer Milliarde US-Dollar, die für Ausgaben
an anderer Stelle fehlen. Allein in der vergangenen Woche ist der Ölpreis um rund
zehn US-Dollar gestiegen. Die Spritpreise in den USA dürften deshalb bereits kurzfristig
um 25 Cent steigen. 25 Milliarden US-Dollar werden den Konsumenten
demnach schon jetzt an anderer Stelle fehlen – und der Anstieg der Ölpreise hat
gerade erst begonnen.

PIMCO-Chef El-Erian warnt bereits vor den Folgen eines explodierenden Ölpreises.
Gegenüber der Financial Times betonte der Manager, dass mit einem
neuen Schock für die Wirtschaft zu rechnen sei. Höhere Ölpreise würden die
Produktionskosten erhöhen und gleichzeitig wie eine Art Konsumsteuer wirken.
Die westlichen Staaten haben indes kaum Möglichkeiten, diesen neuerlichen
Schock abzufedern. Ohnehin würden die meisten Staaten aktuell auf dem
falschen Fuß erwischt. Die Wirkung der Konjunkturprogramme laufe allmählich
aus. Gleichzeitig fehlen die Mittel, um neue Belebungsmaßnahmen zu
finanzieren.

Welche Dimensionen der Ölpreisanstieg bei einer Eskalation der Krise im Nahen
Osten annehmen könnte, das macht ein einfaches Rechenbeispiel: deutlich: Die
Unruhen in Libyen haben in den vergangenen Tagen zu einer Verteuerung des
Öls um rund zehn Prozent geführt. Nun besitzt das Land nur etwa zwei Prozent
der weltweiten Ölreserven. Saudi Arabien dagegen verfügt über das Zehnfache,
nämlich gut 20 Prozent des weltweiten Öls. Ölpreise im Bereich von 200 USDollar
je Barrel wären daher durchaus möglich, sollten auch die Menschen in
Saudi-Arabien auf die Barrikaden gehen.

Tatsächlich scheint es dort ebenfalls zu gären: In der vergangenen Woche hatte
der saudische König Abdullah Reformen und massive Finanzspritzen im Bereich
Wohnungsbau, Bildung und Sozialwesen angekündigt. Die Gehälter der saudischen
Staatsdiener sollen dabei um satte 15 Prozent angehoben werden. Bis zu
30 Milliarden Euro lässt das saudische Herrscherhaus dafür springen. Es bleibt
zu hoffen, dass die überraschenden Geschenke mögliche Unruhen im Keim
ersticken können.

Doch womöglich stehen noch ein weitere Brandherde kurz vor der Explosion: Wie
der irakischen Bevölkerung kürzlich mitgeteilt wurde, sind Öleinnahmen des
Landes in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar ganz plötzlich verschwunden. In der
Bevölkerung macht sich verständlicherweise Unmut breit über die dreiste
Transaktion der Regierung.

http://www.memrieconomicblog.org/bin/content.cgi?news=4280

Nun ist der Irak als sechstgrößter Erdölexporteur der Welt eine ganz andere
Hausnummer als Libyen, das auf Rang 17 zu finden ist. Eine wichtige irakische
Ölraffinerie musste kürzlich nach einem Bombenanschlag bereits geschlossen
werden:

[Link "http://www.wirtschaftsblatt.at/home/international/wirtschaftspolitik/461027/i" auf www.wirtschaftsblatt.at/... nicht mehr verfügbar]
ndex.do

Auch im Iran soll es zu Unruhen gekommen sein. Das Land ist mit einer geförderten
Ölmenge von 3,7 Millionen Barrel pro Tag nach Saudi-Arabien weltweit der
zweitwichtigste Erdöl-Produzent.
So ist es kein Wunder, dass der Blick auf den Kursverlauf des Öls derzeit wenig
Raum lässt für Interpretationen: In der vergangenen Woche sind die Notierungen
sehr dynamisch nach oben ausgebrochen. Auf dem Point & Figure Chart kam es
zu einem Anstieg über ein doppeltes Hoch.

Besonders prekär ist die Lage in Libyen: In der vergangenen Woche wurden erstmals
seit dem Jahr 2003 die Exporte eines wichtigen OPEC-Ölförderlandes vollständig
gestoppt. Die libyschen Verladehäfen standen unter der Kontrolle von
Regimegegnern. Verschärft wurde die Situation durch Gerüchte, wonach Libyens
Staatschef Muammar al-Gaddafi in einem Akt der Verzweiflung die Ölproduktionsanlagen
der libyschen Ölindustrie zerstören lassen könnte. Das japanische
Brokerhaus Nomura erwartet bereits, dass der Ölpreis bis auf 220 Dollar je Barrel
explodieren könnte, sollte in Libyen und Algerien die Ölproduktion ausfallen.

Nun wäre selbst eine Verdoppelung des Ölpreises historisch betrachtet kein einmaliges
Ereignis: Während des siebenmonatigen Golfkriegs Anfang der 1990er-
Jahre schnellten die Ölpreise um 130 Prozent in die Höhe. Saudi-Arabien musste
seinerzeit für die Kriegsparteien Kuwait und Irak in die Bresche springen, deren
Lieferungen ausgefallen waren. Sollte jetzt neben Libyen beispielsweise Algerien
seine Produktion über einen längeren Zeitraum einstellen, könnte sich das
Szenario mit einer Verdoppelung der Preise wiederholen.

Das ist auch vollkommen klar, denn die Profis durchschauen das scheinheilige
Spiel der OPEC natürlich als Erste: Für die Gemeinschaft Erdölexportierender
Länder wäre es eine einfache Übung, die Märkte mit der Ankündigung von
Produktionsausweitungen zu beruhigen. Allein Saudi-Arabien verfügt über
große Reservekapazitäten, deren Förderkosten weit unter den derzeitigen Ölpreisen
liegen.

Das bedeutet, der Ölpreis könnte schon heute viel niedriger sein, hätte die OPEC
ein Interesse an niedrigen Ölpreisen. Natürlich hat sie das nicht. Sie will zwar
keine neue Ölkrise heraufbeschwören, denn das würde den Ölpreis in den Keller
schicken. Der jüngste Anstieg der Ölnotierungen dürfte der OPEC aber sogar sehr
gelegen kommen. Und so lange der Anstieg einigermaßen moderat verläuft, werden
die Ölförderländer auch nicht intervenieren.

Unterm Strich kann man deshalb wohl davon ausgehen, dass sich die Lage kurzfristig
wieder etwas beruhigen dürfte. Auch hat Saudi-Arabien die Produktion
bereits ausgeweitet. Selbst ein Komplettausfall Libyens könnte damit kurzfristig
kompensiert werden. Längerfristig ist die Botschaft jedoch klar: Sollte der Ölpreis
jetzt dauerhaft, das heißt über einige Monate ansteigen, dann werden Konjunktur
und Aktienmärkte Schwierigkeiten bekommen.

Willkommener Anlass...

Die fast schon panikartige Reaktion der Aktienmärkte auf die steigenden Ölpreise
muss man vor dem Hintergrund der jüngsten Kursrally sehen: Der DAX notiert
rund 30 Prozent höher als vor einem Jahr. Seit September 2010 waren die Kurse
nahezu pausenlos gestiegen, eine Korrektur war längst überfällig.

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Zum Autor:
Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs, einem Service der BörseGo AG, und Geschäftsführer des Antizyklischen Aktienclubs. [Link "Börsenbrief" nicht mehr verfügbar] und Aktienclub, das komplette Servicepaket für die Freunde antizyklischer Anlagestrategien! Informationen finden Sie unter www.antizyklischer-boersenbrief.de und www.antizyklischer-aktienclub.de

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