Kommentar
09:02 Uhr, 20.01.2022

Notenbank oder Anleger, einer irrt sich gewaltig

Die Uneinigkeit zwischen Notenbanken und Anlegern war selten so groß wie jetzt. Es muss aber nicht zwangsweise in einem großen Knall enden.

Viel zu spät schwenken Notenbanken auf Inflationsbekämpfung um. Hätten sie Inflation verhindern wollen, wäre nur eines notwendig gewesen. Es hätte niemals die ziemlich direkte Staatsfinanzierung geben dürfen. Dieser Zug ist nun aber schon lange abgefahren.

Jetzt agieren Notenbanken. In den USA laufen die Wertpapierkäufe im März aus und wahrscheinlich werden im gleichen Monat die Zinsen zum ersten Mal angehoben. In schneller Abfolge dürften weitere hinzukommen. Das geschieht just in dem Moment, da die Inflation mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wieder sinken wird.

Dieser Meinung sind auch Anleger. Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie am Anleihemarkt. Trotz eines minimalen Anstiegs der Zinsen liegt die Rendite von 10-jährigen US-Anleihen immer noch auf tiefem Niveau. Noch nie seit Beginn der Datenerhebung waren die Zinsen bei so hoher Inflation so niedrig (siehe Grafik).

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Tendenziell besteht ein enger Zusammenhang zwischen Inflation und Anleiherenditen. Die Rendite setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen. Ein Faktor ist die Inflation. Wer Geld verleiht, möchte kompensiert werden. Zumindest einen Inflationsausgleich kann man erwarten.

Die Rendite sollte sogar höher als die Inflation sein, da es auch ein Ausfallrisiko des Staates gibt. Für dieses Risiko möchte man entlohnt werden. Als dritten Faktor gibt es die Laufzeitprämie. Je länger die Laufzeit einer Anleihe ist, desto größer sind Risiken wie die Veränderung der Inflationsrate oder des Leitzinses.

Anstatt für all diese Risiken entlohnt zu werden, erhalten Anleger so wenig Rendite, dass es nicht einmal die Inflation ausgleicht. Das ist, wenn man so will, die freie Entscheidung der Anleger. Sind Anleger mit der Rendite nicht zufrieden, können sie Anleihen verkaufen. Der Preis der Anleihen sinkt und die Rendite steigt, bis sie so hoch ist, dass sie wieder als adäquat empfunden wird.

Obwohl die Notenbank Anleihen kauft, legt sie die Rendite nicht fest. Es ist ein vom Markt bestimmter Zinssatz. Den aktuell niedrigen Satz akzeptiert man nur, wenn man von einem raschen Rückgang der Inflation ausgeht. Anleger glauben immer noch daran, woran die Notenbank nicht mehr glaubt (Inflationsanstieg ist vorübergehend).

Auf Dauer ist beides nicht möglich. Bleibt die Inflation für längere Zeit auf höherem Niveau, muss der Zins deutlich ansteigen. Umgekehrt, wenn der Zins fair ist, muss die Inflation rasch wieder sinken. Da auf Dauer beides nicht gleichzeitig geht (hohe Inflation, niedrige Rendite), irrt sich jemand gewaltig.

Der Irrtum liegt entweder bei der Notenbank, die inzwischen nicht mehr von vorübergehender Inflation spricht oder bei Anlegern. Egal, welcher der beiden irrt, es ist ein Problem für den Aktienmarkt.

Die Notenbank beschleunigt die geldpolitische Wende. Inzwischen wird für März sogar eine Zinsanhebung von 0,5 % befürchtet. Es wäre das erste Mal seit 20 Jahren, dass es zu einem so großen Zinsschritt kommt. Die Befürchtung hat auch die Marktzinsen (Anleiherenditen) nach oben gedrückt. Aktien reagieren aktuell darauf mit Abgaben.

Sinkt nun die Inflation wieder, was Anleger erwarten, hat die Fed die Politik zu stark gestrafft. Es kommt zu einem Abschwung und ein solcher ist für Aktien niemals gut. Irrt hingegen nicht die Notenbank, sondern irren Anleger, ist das ebenfalls problematisch. Da Anleger von fallender Inflation ausgehen, ist der Anpassungsbedarf groß, wenn es anders kommt.

Anleiherenditen sind viel zu niedrig für permanent höhere Inflation. Ändern Anleger ihre Meinung und schnellen Renditen auf 3 % und mehr nach oben, führt kein Weg an einer Aktienmarktkorrektur vorbei.

Die Gefahr für Aktien ist groß. Nur weil es ein Risiko gibt, bedeutet dies nicht, dass es sich auch materialisiert. Einen großen Knall muss es nicht geben. Die Fed wird zwar kurzfristig straffen, könnte aber bei wieder fallender Inflation auch schnell von weiterer Straffung absehen. In diesem Fall gibt es kurzfristig Volatilität, aber mittelfristig bleibt der Aufwärtstrend intakt.

Trotz Unsicherheit am Markt ist es zu früh, sich hier klar zu positionieren. Es ist gut möglich, dass der Markt nach dem nächsten Zinsentscheid am 26. Januar wieder in einen Rallymodus übergeht, nämlich dann, wenn die Notenbank die Angst vor dem Worst Case Szenario zerstreut (0,5 % Zinsanhebung im März).

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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