Kommentar
15:55 Uhr, 01.11.2019

Niederlande – Geburtsstunde der Optionsscheine

Kolumne von Dirk Heß, Co-Head EMEA Public Listed Products Sales & Distribution bei Citigroup Global Markets Europe AG zur „Geschichte der Derivate Teil 4“.

Derivate sind keine Erfindung der Neuzeit. Ihr Einsatz reicht Tausende von Jahren zurück. Gehen Sie mit uns auf Zeitreise und erkunden Sie in einer mehrteiligen Serie die spannende Geschichte der Derivate. Heute: Wie die Niederländer den Optionsschein erfunden haben und welche wichtigen Meilensteine dafür nötig waren.

Im Jahr 1497 entdeckte der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama den Seeweg nach Indien. Ein epochales Ereignis. Denn damit startete ein Wettrennen der europäischen Kolonialmächte um die besten Plätze beim Handel mit seltenen Gewürzen aus Fernost. Heiß begehrt waren zum Beispiel schwarzer Pfeffer aus Sumatra, Zimt aus Ceylon oder Muskatnüsse aus den Molukken. Waren anfangs noch die Portugiesen die dominierende Seemacht in den fernen Gewässern Asiens, stiegen gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Niederländer zur führenden Handelsnation in dieser Region auf. Dank ihrer technischen und militärischen Überlegenheit errichteten sie an den Küsten des indonesischen Inselreiches zahlreiche Handelsposten wie Batavia (das heutige Jakarta).

VOC – die Mutter aller Aktiengesellschaften

Der Gewürzhandel war für die Niederländer hochprofitabel. Aber nicht ungefährlich. Zum einen konnte die wertvolle Ladung durch Piratenangriffe oder Stürme verloren gehen. Zum anderen erwuchs den Holländern mit dem aufstrebenden England ein gefährlicher Konkurrent. Die niederländischen Kaufleute reagierten auf die neue Herausforderung, indem sie sich im Jahr 1602 zu einer gemeinsamen Handelsgesellschaft zusammenschlossen: der Vereenigden Oostindischen Comagnie, kurz VOC. Zur Finanzierung der Niederländischen Ostindien-Kompanie wurden Aktien ausgegeben. Die Emission war ein durchschlagender Erfolg. Die 1.143 Gründungsaktionäre stellten der VOC Eigenkapital in bis dahin noch nie gekannter Höhe zur Verfügung. 6,5 Millionen Gulden wurden eingesammelt. Das entsprach damals dem Gegenwert von 64 Tonnen Gold.

Amsterdam wird zum Zentrum des Aktienhandels

Dass sich Geldgeber an Unternehmen beteiligten, war zwar nicht neu. Revolutionär war aber, dass die Anteile an der VOC relativ einfach an Dritte übertragen werden konnten. Die VOC gilt daher bis heute als Urahn der modernen Aktiengesellschaft. Angezogen von der Aussicht auf hohe Kursgewinne und üppige Dividenden entstand in der niederländischen Kapitale Amsterdam schon bald ein lebhafter Handel mit den VOC-Aktien. Zunächst unter freiem Himmel auf einer Brücke in Nähe des Hafens. Dann, ab 1611, in einem vom niederländischen Bildhauer und Architekten Hendrick de Keyser entworfenen Börsenkomplex mit einem riesigen Innenhof. Dort wurden neben VOC-Aktien auch Waren aller Art gehandelt. Platz dafür war genügend vorhanden. Bis zu 5.000 Menschen fasste das neue Börsengelände.

Die Geburtsstunde von Aktienderivaten

Die Amsterdamer Börse war zwar nicht die erste Einrichtung dieser Art. In Antwerpen zum Beispiel gab es eine solche Räumlichkeit schon seit 1531. Doch die Amsterdamer Börse war der erste zentrale Platz, an der Aktien geregelt über einen Makler gehandelt wurden. Die Amsterdamer Börse stellt daher eine weitere Pioniertat der Niederländer in der Geschichte des modernen Finanzwesens dar. Jeder, der über genügend Geld verfügte, konnte sich am Aktienhandel beteiligen, egal ob Buchhalter, Witwe oder Adelsmann. Den Preis bestimmten alleine Angebot und Nachfrage. Doch die Innovationskraft ging noch weiter: Nur kurze Zeit später entwickelte sich in Amsterdam auch ein Derivatemarkt. Zwar kannten schon frühere Kulturen Terminkontrakte, jedoch ausschließlich auf physische Waren. Amsterdam war hingegen die erste Börse, in der Derivate auf Wertpapiere basierten, darunter Optionen, Future-ähnliche Kontrakte und andere derivative Instrumente. Der in Spanien geborene Kaufmann Josseph de la Vega hat das „Trading“ an der Amsterdamer Börse in seinem im Jahr 1688 veröffentlichten Buch „Confusion de Confusiones“ festgehalten. Es gilt als erster Börsenratgeber der Weltgeschichte.

1608: Aufkommen der Leerverkäufer

Ein weiterer prominenter Akteur an der Amsterdamer Börse war der Kaufmann Isaac le Maire. Er gründete 1608 ein Syndikat, das Aktien der VOC auf Termin verkaufte ohne sie zu besitzen. Er setzte also auf einen fallenden Kurs, um sich später billig einzudecken. Bei dem Geschäft handelte es sich somit um den ersten dokumentierten Leerverkauf in der Finanzgeschichte. Zunächst schien die Spekulation aufzugehen, denn der Kurs der VOC-Aktie geriet tatsächlich unter Druck. Doch dann erholten sich die Papiere, was Le Maire und seinen Mitstreitern erhebliche Verluste beschert haben soll. Die Amsterdamer Börse reagierte auf die spekulative Attacke und erließ 1610 ein Verbot für Leerverkäufe. Effektiv durchgesetzt wurde das Verbot jedoch nicht wirklich. Bis zum heutigen Tag sind Leerverkäufe – zu Neudeutsch auch Shortselling –möglich.

1728: Geburtsjahr des Optionsscheins

Im Laufe dieses regen Derivatehandels entstand 126 Jahre nach der ersten börsengehandelten Aktie (die erste Aktie gab es übrigens bereits 1288) eine weitere epochale Finanzinnovation in den Niederlanden, und zwar der Optionsschein. Ursprünglich wurden dieser nicht von Banken, sondern von Unternehmen in Verbindung mit der Emission einer Optionsanleihe ausgegeben. Abgetrennt von der Optionsanleihe konnten diese Optionsscheine separat gehandelt werden. Sie beinhalten das Recht, Aktien des Unternehmens zu einem bestimmten Preis, in einem bestimmten Bezugsverhältnis und innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu beziehen. Steigt der Preis der Aktie, nimmt der Wert des Optionsscheins überproportional zu. Das machte den Handel überaus reizvoll. Die ersten bekannten Optionsscheine dieser Art wurde bereits 1728 von der Keizerlijke Oostendse Compagnie, kurz Ostender Kompanie, herausgegeben. Die Gesellschaft wurde vor rund 300 Jahren von Kaufleuten aus Antwerpen, und Gent gegründet. Diese Städte gehörten damals zu den Österreichischen Niederlanden. Die offizielle Zulassung durch den Habsburger Kaiser Karl VI erfolgte im Jahr 1722. Der wollte als Reaktion auf die Erfolge der niederländischen und britischen Handelsgesellschaften wie der VOC ebenfalls vom Seefernhandel mit Gewürzen profitieren.

Nach der Erfindung des Optionsscheins dauerte es noch über 250 Jahre, bis Privatanleger in Deutschland 1989 systematisch Zugang zu diesen Instrumenten erhielten. Citi war dabei der Pionier mit der ersten hiesigen Optionsschein-Emission und stellt Privatanlegern seitdem ununterbrochen Optionsscheine und viele weitere Derivate für ihre persönliche Anlagestrategie zur Verfügung.

Lesen Sie auch:

Geschichte der Derivate Teil 1: Mesopotamien – die Wiege der Derivate

Geschichte der Derivate Teil 2: Griechenland – die Philosophie des Tradings

Geschichte der Derivate Teil 3: Italien – der Kaufmann von Venedig

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Über den Experten

Dirk Heß
Dirk Heß
Co-Head EMEA Public Listed Products Sales & Distribution bei Citigroup Global Markets Europe

Dirk Heß, Finanzexperte der Citigroup, schreibt zu aktuellen Markt- und Derivate-Themen. Als Co-Head EMEA Warrant Sales & Distribution bei der Citi besitzt er langjährige Expertise in allen Fragen rund um Börse und Investments. In seinem regelmäßigen Kommentar gibt Dirk Heß fundiertes Fachwissen weiter. Die Citigroup ist seit dem Jahr 1989 als Emittent von strukturierten Produkten permanent am deutschen Markt vertreten und feiert 2014 ihr 25-jähriges Jubiläum.

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