Märkte im Aufwärtstrend - Straffung der Geldpolitik fast vorbei
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Die Märkte sind im Aufwärtstrend. Wir hören das Grummeln der Bären, aber klare Anzeichen für eine wieder höhere Inflation oder eine harte Landung fehlen. Bei Geldmarktrenditen von drei Prozent bis sechs Prozent fällt der Verzicht auf Aktien ja auch sehr viel leichter, als wenn man mit Kassehaltung nichts verdient. Vielleicht liegen die Bären trotz steigender Kurse auch richtig: Manche risikobehaftete Assetklassen sind nicht mehr weit von ihrem Hoch des Jahres 2021 entfernt. Noch gilt aber die alte Börsenweisheit: The trend ist your friend.
Heißer Sommer? Zuletzt haben die Märkte haussiert. Der Konjunkturoptimismus sorgte für ordentliche Erträge. Bei Redaktionsschluss hatte der MSCI World seit Anfang Juli um 2,6 Prozent zugelegt, seit Ende März beträgt der Gesamtertrag internationaler Aktien elf Prozent und seit Jahresbeginn 18,3 Prozent. Konsens ist mittlerweile, dass den USA und anderen großen Volkswirtschaften eine weiche Landung gelingt – und weil die Inflation fällt, rechnet man auch nicht mehr mit so hohen Anleihenrenditen. Vor allem geht man für 2024 jetzt von sehr viel niedrigeren Leitzinsen aus. Zurzeit erwarten die Märkte für Juni 2024 30 Basispunkte weniger als auf dem Höhepunkt der Zinserwartungen. In Großbritannien ist es sogar noch dramatischer: Hier geht man jetzt von einem um 78 Basispunkte niedrigeren Zinsmaximum aus als zu Monatsanfang.
Weich oder hart? Die Straffung der Geldpolitik ist fast vorbei. Die jüngsten Marktentwicklungen zeigen, dass eine Lockerung bereits Anfang 2024 als immer wahrscheinlicher gilt. Aktien wie Anleihen haben davon profitiert. Ob das so weitergeht, hängt von der Konjunktur ab. Harte Landung, weiche Landung oder keine Landung – darüber ist man sich uneins. Aber die drei Szenarien sind nicht klar definiert. Für mich bedeutet harte Landung, dass von offizieller Seite die Rezession ausgerufen wird. In den USA ist das Aufgabe des National Bureau of Economic Research. Es definiert Anfangs- und Endpunkte von Rezessionen und Wachstumsphasen. In der Rezession fällt das BIP, entweder leicht wie 2001 oder stark wie 1981 und 2008/09. Außerdem nimmt die Arbeitslosigkeit zu. In allen vom NBER definierten Rezessionen seit den 1970er-Jahren ist die Arbeitslosenquote um mindestens zwei Prozentpunkte gestiegen, oft um sehr viel mehr.
Hart ist häufiger: Eine Rezession ist also eine harte Landung. Eine weiche Landung ist eine Situation, in der das BIP so stark fällt, dass neue Überkapazitäten die Inflation bremsen. Das Wirtschaftswachstum läge dann unter dem Langfristtrend, wäre aber noch immer positiv. Die Arbeitslosenquote stiege leicht um etwa ein Prozentpunkt, die Inflation ginge zurück. Das scheint akzeptabel. Es passiert äußerst selten, dass eine sehr hohe Inflation auf ein akzeptableres Niveau fällt, aber eine harte Landung vermieden wird. Bisweilen kam es aber vor, dass die Wirtschaft zumindest zeitweise weitergewachsen ist, wenn auch unterdurchschnittlich, und die Inflation bald keine Schwierigkeiten mehr machte. Aber dann war die Teuerung zuvor lange niedrig gewesen und nicht plötzlich massiv gestiegen.
Trendwachstum? Und diesmal? Seit Ende 2020 lag das US-BIP-Wachstum zum Vorquartal in etwa 50 Prozent der Zeit unter dem Trendwachstum. Im Schnitt betrug das amerikanische Wirtschaftswachstum in diesen beiden gut zweieinhalb Jahren 2,6 Prozent p.a., was sehr genau dem Langfristdurchschnitt entspricht. Unmittelbar vor Corona lag die Arbeitslosenquote bei 3,6 Prozent, so viel wie auch wieder im Juni 2023. Im Vergangenheitsvergleich ist das wenig, doch ist die Arbeitslosenquote seit der internationalen Finanzkrise strukturell gefallen. Das gilt auch für Europa (seit den frühen 2010ern) und für Großbritannien. Ist die Lage in den USA ähnlich wie 2019 – mit Vollbeschäftigung und einer zwar nicht sehr großen, aber doch vorhandenen Outputlücke?
Lauter Schocks: Natürlich haben wir seitdem einen großen Konjunkturschock erlebt. Die Pandemie traf erst die Produktion und dann die Preise. Die Optimisten unter den Investoren argumentieren, dass der Inflationsschock der beiden letzten Jahre vor allem ein Angebotsschock war und sich die Zweitrundeneffekte in Grenzen halten. Ein kurzzeitiges Wirtschaftswachstum unter dem Langfristtrend, ausgelöst durch steigende Realzinsen, würde dann reichen, um den verbleibenden Inflationsdruck zu beseitigen. In den letzten Wochen wurde diese Sicht mehr und mehr Konsens.
K. o. in Runde 1 – oder ein langer, harter Kampf? Gerne will man glauben, dass diesmal alles anders ist – und das ist nicht ungefährlich. Die Inflation ist stark gefallen, aber um sie wirklich auf zwei Prozent zurückzuführen, könnten noch sehr viel höhere Kapazitätsüberschüsse – also Produktionseinbußen – nötig sein. Wir wissen es einfach noch nicht. Investoren denken oft sehr kurzfristig; sie sehen, dass die Inflation fällt und rechnen irgendwann mit Zinssenkungen. Die Notenbanken haben viel gegen den Preisauftrieb getan, denken sie, und das Problem ist gelöst. Aber es kann auch anders kommen. Vielleicht kehrt die Inflation zurück, und die Geldpolitik muss mittelfristig noch mehr tun, auch wenn man es nicht glauben mag. Wenn aber die Wirtschaft mit Vollauslastung arbeitet, könnte eine Lockerung der Geldpolitik das Wachstum 2024 stärken und die Inflation erneut anheizen. Die Zinsen könnten dann nicht weiter gesenkt werden, die Risikoprämien von Anleihen würden hoch bleiben, und mit Aktien würde man nur schwerlich stetige Erträge erzielen können. Bei einer klassischen harten Landung würde die Arbeitslosigkeit hingegen kräftig steigen, die Inflation würde deutlich fallen – und die Notenbank könnte die Zinsen erkennbar senken und auf einem niedrigen Niveau belassen, um eine Erholung einzuläuten.
Es kommt alles noch: Natürlich war die US-Wirtschaft dieses Jahr überraschend stark. Das zeigen auch die gerade veröffentlichten Zweitquartalszahlen der Banken. Wenn eine harte Landung kommt, haben wir sie noch nicht gesehen. Meist fällt die Beschäftigung schon kurz vor der Rezession auf ihren Tiefststand, und man sollte nicht außer Acht lassen, dass die Arbeitslosenquote im Januar 3,4 Prozent betragen hat. Seitdem ist sie etwas gestiegen, vielleicht ähnlich wie in früheren Zyklen. Wir müssen uns aber in Geduld üben, bis wir wissen, was für eine Landung wir bekommen. Je mehr aber für eine harte spricht, desto unwahrscheinlicher sind anhaltende Kursgewinne. Investoren werden Aktien und High Yield dann neu einschätzen – selbst wenn die Indizes noch immer unter den Höchstständen der zweiten Jahreshälfte 2021 notieren.
Zunächst einmal gilt aber, dass Anleihen eine fallende Inflation lieben. Einstweilen sind die Geldmarktzinsen hoch und dürften das dieses Jahr wohl auch bleiben. Einjährige US-Schatzwechsel bieten 5,3 Prozent, französische 3,68 Prozent und einjährige Sterlingeinlagen über sechs Prozent. Die niedrigen Geldmarkt-Terminzinsen wiederum bedeuten, dass, wer heute sehr kurzfristig anlegt – in Tages-, 1-Monats- oder 3-Monats-Geld – irgendwann in Titel mit niedrigeren Renditen umschichten muss. Die Geldmarkterträge sind zwar gestiegen, aber das Maximum ist erreicht. Irgendwann werden sie weniger attraktiv sein.
Cash ist nicht immer King: Reicht das, um Anleger in länger laufende Titel zu treiben, Risiken von High Yield auf sich zu nehmen oder am Ende doch auf Aktien zu setzen? Seit Anfang 2022 liegen die Anleihenerträge unter ihrem Langfristdurchschnitt, und die Indizes notieren inzwischen um 10% bis 30% unter ihrem Langfristtrend. Es gibt also noch erhebliches Aufwärtspotenzial. Das passt auch zu den niedrigen Anleihenkursen. So notierten die Titel des Euro Corporate Bond Index (ICE Bank of America) im Schnitt bei 90,41, nach 103,4 Ende 2021. Märkte und Volkswirte sehen den neutralen Gleichgewichtszins deutlich unter den aktuellen Leitzinsen. Sie glauben, dass ein langsamer Rückgang der Leitzinsen in dessen Richtung zu einem generellen Renditerückgang führt – und zu Erträgen über dem Geldmarktzins.
US-Aktien bei einer harten Landung am stärksten gefährdet: Für Aktien ist entscheidend, ob wir eine harte oder eine weiche Landung bekommen. Wenn eine Rezession im nächsten Jahr die Unternehmensgewinne wirklich fallen lässt, scheinen US-Aktien teuer. Zurzeit notiert der S&P 500 beim 19-Fachen der erwarteten Gewinne für das kommende Jahr. Fallen die Gewinnerwartungen um fünf Prozent, steigt das KGV ceteris paribus auf 20. Dann erschienen Aktien bei einer Unternehmensanleihenrendite von 5,5 Prozent sehr teuer. Außerhalb der USA sind Aktien aber sehr viel günstiger, und zumindest in Europa sind auch die Anleihenrenditen niedriger. 2024 soll die Gewinnrendite des Euro Stoxx Index 8,3 Prozent betragen, bei 4,2 Prozent Rendite des Euro Corporate Bond Index.
Die konservativsten Anlageinstrumente bleiben Kasse und Kurzläufer. Am Geldmarkt wird man auf kurze Sicht weiter viel verdienen, doch kann sich das bei einer harten Landung schnell ändern. Risikobehaftete Titel dürften hingegen von einer weichen Landung profitieren, wenn die Unternehmensgewinne nur milde fallen und sich die Ausfälle von High Yield in Grenzen halten. Es fällt schwer, auch nur für irgendeine Assetklasse wirklich schwarzzusehen. Aber das kann sich schnell ändern, wenn sich die Daten verschlechtern. Bei Geldmarktanlagen, Anleihen und vielleicht auch Aktien rechnen wir wieder mit positiven Realerträgen, wenn die Inflation der Jahre 2022 und 2023 vorbei ist. Die Höchststände von 2021 sind nah – bei Aktien wie bei High Yield.
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