Kommentar
10:22 Uhr, 07.11.2012

Langfristige Zyklen am Aktienmarkt

Wie wichtig sind mittel- bis langfristige Zyklen am Aktienmarkt? Einige Disziplinen der Technischen Analyse gehen von eine großen Wichtigkeit derartiger Zyklen aus. So postuliert beispielsweise die Elliott-Wellen-Theorie die Existenz von zyklischen Entwicklungen, die sich über Monate, Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte erstrecken. Erstaunlicherweise wird selten untersucht, ob solche Zyklen tatsächlich existieren und wie wichtig sie für den Aktienmarkt sind.

Ein sehr mächtiges Werkzeug für derartige Untersuchungen ist die sogenannte Fast-Fourier-Transform (FFT). Dabei handelt es sich um ein mathematisches Näherungsverfahren, mit dem eine Zeitreihe (zum Beispiel Börsenkurse) in die darin enthaltenen Frequenz- und Amplitudenbestandteile zerlegt werden kann. Die FFT wird zum Beispiel zur Analyse von akustischen Signalen und seismischen Wellen eingesetzt.

Wir wollen uns im Folgenden nicht mit den mathematischen Details einer FFT herumschlagen, sondern die Methode auf den DAX anwenden, um festzustellen, wie groß der Einfluss von mittel- und langfristigen Entwicklungen auf den Aktienmarkt ist. Dazu sind allerdings noch ein paar Vorbemerkungen notwendig.

In der Fourier-Analyse geht man gewissermaßen als Arbeitshypothese davon aus, dass jede Zeitreihe aus unendlich vielen Schwingungen mit unterschiedlichen Frequenzen und Amplituden besteht. Ein Beispiel aus dem Alltag kann dies verdeutlichen. Wenn wir ein Geräusch hören, nehmen wir nicht eine einzelne Frequenz (=Tonhöhe) mit einer gewissen Amplitude (=Lautstärke) wahr, sondern jedes Geräusch im Alltag besteht aus ganz vielen unterschiedlichen Schwingungen mit jeweils eigener Frequenz und Amplitude. Deshalb hört sich der „gleiche“ Ton auch unterschiedlich an, je nachdem ob er von einem Klavier oder einer Trompete gespielt wird. Wir hören nicht die einzelnen Bestandteile, sondern die Überlagerung unterschiedlicher Frequenz- und Amplitudenbestandteile.

Das Ziel der FFT besteht nun darin, die einzelnen Bestandteile dieser Überlagerung zu isolieren. Das geht mit Börsenkursen ganz genauso wie mit akustischen Signalen. In der Signalverarbeitung und in der Physik ist die FFT eine mathematische Standardmethode zur Analyse von Zeitreihen und wird in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt. Umso erstaunlicher ist es, dass die Methode nur selten zur Analyse von Börsenkursen verwendet wird.

Wir haben eine FFT auf den DAX der vergangenen 16 Jahre auf Tagesschlusskurs-Basis angewendet. Die unten stehende Grafik zeigt das Resultat. Mit einem Klick auf das Bild können Sie dieses vergrößern. Wie ist die Grafik zu lesen? In einem normalen Chart wird auf der X-Achse die Zeit abgetragen und auf der Y-Achse der Kurs. In der durch die FFT erzeugten transformierten Datenreihe sehen wir nicht mehr den Kurs zu einzelnen Zeitpunkten, sondern die "Stärke" (=Amplitudenquadrat) von Schwingungen unterschiedlicher Frequenzen (Geschwindigkeiten). Auf der X-Achse wird die Frequenz der Schwingungen gezeigt. Eine niedrige Frequenz (links auf der X-Achse) bedeutet, dass es sich um Schwingungen mit einer großen Periode von mehreren Jahren handelt. Ganz rechts auf der X-Achse befinden sich Schwingungen mit hoher Frequenz und niedrigen Perioden, also Schwingungen, deren Periode nur einige Tage lang ist.

Die Grafik zeigt ganz deutlich, dass die Bedeutung der einzelnen Schwingungen mit zunehmender Frequenz stark abnimmt. Schwingungen mit niedriger Frequenz und Perioden von mehreren Jahren oder Jahrzehnten haben den stärksten Einfluss auf die Kursentwicklung. In der Statistik oder Signalverarbeitung nennt man einen solchen Rückgang der Amplitude mit zunehmender Frequenz übrigens 1/f-Rauschen ("Eins über F-Rauschen") oder auch "Rosa Rauschen", in Abgrenzung zum "Weißen Rauschen" (bei dem die Amplitude der einzelnen Signalbestandteile unabhängig von der jeweiligen Frequenz ist).

Was bedeutet das alles nun für die Wichtigkeit von mittel- bis langfristigen Zyklen? Die Beantwortung dieser Frage ist einfach: Langfristige Zyklen haben im Vergleich zu kurzfristigen Zyklen einen extrem starken Einfluss auf die Kursentwicklung, während kurzfristige Zyklen nur eine sehr geringe Bedeutung besitzen. Man kann auch sagen: Je kürzer der betrachtete Zeitraum, desto unwichtiger sind die jeweiligen Schwankungen für die Kursentwicklung.

Leider können mit der oben gezeigten Datenreihe die einzelnen Schwingungen im niedrigen Frequenzbereich nur unzureichend voneinander isoliert werden. Das hängt auch damit zusammen, dass der DAX erst seit 1988 berechnet wird und die Zahl der verfügbaren Daten begrenzt ist. Für die obige Berechnung wurden 4096 Tagesschlusskurse verwendet, die bis Ende 1994 zurückreichen. Andere FFT-Analysen von Aktienkursen haben ergeben, dass es an Aktienmärkten wichtige Zyklen mit Perioden von 6, 12 und 40 Monaten gibt. In unseren Daten gibt es erkennbare Amplitudenpeaks bei Schwingungen mit Perioden von 22, 28, 35, 37, 39, 47, 50, 60, 85, 113, 146, 171, 256 und 512 Handelstagen, wobei die zuletzt genannten Perioden den höchsten Amplitudenbeitrag liefern. Die Genauigkeit der langen Periodenlängen ist wegen der oben genannten Einschränkungen allerdings gering.

Hinweis: Bei der obigen Darstellung wurden einige mathematische Details ignoriert, um die Verständlichkeit nicht zu stark leiden zu lassen.

Oliver Baron

1 Kommentar

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  • OlafX
    OlafX

    dann könnte man den DAX also auch als mp3 kodieren?

    01:06 Uhr, 09.04.2014

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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