Kommentar
09:19 Uhr, 04.04.2012

Kursziele bestimmen mit Fibonacci

Hinweis: Dieses Interview ist in der aktuellen Ausgabe des "TradersJournal" erschienen, welches Sie hier kostenlos abonnieren können. TJ: Frau Roller, Ihr neues Buch heißt „Kursziele bestimmen mit Fibonacci“. Bitte erklären Sie unseren Lesern kurz, wer Fibonacci war und was es mit seiner Zahlenreihe auf sich hat.

KR: Leonardo da Pisa (* um 1180 in Pisa, † um 1241), genannt „Fibonacci“, war der bedeutendste Mathematiker des Mittelalters. Er führte in Europa die arabisch-indischen Zahlen 1 bis 9 und die Null ein. Kaiser Friedrich II, zu dessen Gelehrtenkreis Fibonacci gehörte, hat die »Kaninchen-Aufgabe« gestellt: Ein Paar Kaninchen lebt und vermehrt sich unter idealen Bedingungen. Wie lässt sich das Wachstum dieser Kaninchen-Population berechnen? Aus dieser Kaninchen-Aufgabe heraus lässt sich die Fibonacci-Zahlenfolge entwickeln. In wenigen Worten ausgedrückt – und ohne eine Formel zu verwenden – werden die beiden ersten Zahlen 0 und 1 vorgegeben und jede weitere Zahl ist die Summe ihrer beider Vorgänger. Also (0, 1), 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 55, 89 usw. Erstaunlicherweise hat Fibonacci keinen Zusammenhang „seiner“ Zahlenfolge mit dem Goldenen Schnitt = 1,618 hergestellt. Auch die vielen mathematischen Spielereien, die sich mit der Zahlenfolge anstellen lassen, wurden erst Jahrhunderte später entdeckt.

Für die Technische Analyse sind insbesondere die Ratios von Bedeutung: Das Verhältnis einer Zahl zur nächstniedrigeren Zahl beträgt gerundet 1,618, dem Goldenen Schnitt. Das Verhältnis einer Zahl zur nächsthöheren Zahl beträgt gerundet 0,618 (dem Kehrwert von 1,618). Daraus leitet sich die Kurszielbestimmung ab, zum Beispiel in einer Korrektur die 61,8% oder die 161,8% als nächstes Hoch oder nächstes Tief. Wie sich die Zahlen herleiten lassen, welche relevant sind und wie man sie korrekt anwendet ist ausführlich in meinem Buch mit „echten“ Charts beschrieben.

TJ: Als Naturwissenschaftlerin – Sie sind Diplom-Biologin – muss Ihnen der mathematische Ansatz ja gefallen. Technische Analyse an sich ist doch eigentlich mehr eine Kunst als Wissenschaft, oder?

KR: Da lässt sich trefflich diskutieren und auch philosophieren. Unter Wissenschaft versteht man die Erweiterung des Wissens durch Forschung und die Weitergabe durch Lehre. An Universitäten wird bereits an einigen mathematischen und volkswirtschaftlichen Fakultäten auf dem Gebiet der Technischen Analyse geforscht und gelehrt. Außerhalb der universitären Bildungsumgebung wird das Wissen rund um die Technische Analyse durch die VTAD e.V. (Vereinigung Technischer Analysten Deutschlands, www.vtad.de) vermittelt. Die VTAD ist der deutsche Landesverband der IFTA (www.ifta.org), der “International Federation of Technical Analysts“. Dieser legt weltweit anerkannten Qualitätsstandards fest und bietet eine international anerkannte Zertifizierung als Technischer Analyst an. In Bezug auf die Kunst gibt es die Redewendung „Kunst kommt von Können“. Wer sich also bei einem qualifizierten Lehrer ausbilden lässt beherrscht die Kunst, Technische Analyse korrekt anzuwenden.

Erfolgreich an der Börse zu sein hat nichts mit Zufall oder Glück zu tun, es ist harte Arbeit und erfordert eine fundierte Ausbildung. Es geht darum, die Wahrscheinlichkeit für einen Gewinn-Trade zu erhöhen und den möglichen Verlust durch gutes Risikomanagement zu minimieren. Beides lässt sich mit Hilfe der Technischen Analyse optimieren.

TJ: Man merkt Ihrem Buch an, dass es von einer Wissenschaftlerin geschrieben wurde. Das ist positiv gemeint! Die meisten Trader haben keinen akademischen Hintergrund. Wie haben Sie den Weg von der Biologie zur Börse gefunden und was fasziniert Sie daran?

KR: Den Weg zur Börse habe ich Ende des letzten Jahrtausends ganz klassisch als Aktionär gefunden, mit Aktien aus dem DAX, Dow Jones und auch aus dem Neuen Markt. Einmal mit dem Börsenvirus infiziert, gab es kein Zurück mehr. Als Freelancer begann ich an der Börse Stuttgart zu arbeiten, legte die Börsenhändlerprüfung ab, arbeitete zuletzt in der Handelsüberwachung. Ich wurde Mitglied in der VTAD, machte die Prüfungen zum Certified Financial Technician (CFTe), leite seit vielen Jahren die Regionalgruppe in Stuttgart, gehöre dem Vorstand an und schreibe Bücher über Technische Analyse. Die Faszination der Börse besteht darin, als kleiner Fisch im Haifischbecken seine Chancen zu suchen und zu nutzen – und das praktisch von zu Hause aus und bei freier Zeiteinteilung.

TJ: Gehen wir davon aus, dass die Märkte tatsächlich an Fibonacci-Marken drehen bzw. dort markante Kursziele erreichen. Was glauben Sie woran das liegt? Orientieren sich die Marktteilnehmer ganz einfach an diesen Marken, im Glauben dass die anderen es auch tun („self fulfilling prophecy“) oder ist es mehr ein natürlicher, fast schon „magischer“ Zusammenhang, ein Phänomen kollektiven, ungeplanten Zusammenspiels der Menschen, die an der Börse handeln?

KR: Von jedem etwas. Aber im Ernst, viele Marktteilnehmer orientieren sich an den Fibonacci-Marken. Sei es beim Öffnen einer Position an einem Retracement-Level oder beim Schließen an einer Fibonacci-Extension. Jeder mag sie etwas anders anwenden, weil jeder Trader zum Beispiel ein anderes Risikomanagement hat und ein anderes Setup für den Einstieg und Ausstieg verwendet. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass das Verwenden der Fibonacci-Ratios zum einen nicht der heilige Gral beim Trading ist und zum anderen in Kombination mit anderen Methoden der Technischen Analyse zu verwenden ist. Da sind insbesondere die Erkenntnisse aus der Dow-Theorie zu nennen, den Basics der Technischen Analyse.

Der Goldene Schnitt fasziniert die Menschen seit Jahrtausenden. Er ist in der Natur allgegenwärtig. In der griechischen Antike galt er als Inbegriff von Ästhetik und Harmonie und fand in der Architektur und Kunst seine Anwendung. Wenn wir uns einen Chart betrachten, dann finden wir harmonische Bewegungen, die mit den Fibonacci-Ratios korrespondieren. Bereits R. N. Elliott hat in den 30ern des vergangenen Jahrhunderts erkannt, dass Marktbewegungen massenpsychologisch bedingte Phänomene sind – und die mathematische Basis für das von ihm entwickelte Elliott-Wave-Principle sind die Fibonacci-Ratios.

Und vor allen Dingen: Solange Fibonacci-Levels „funktionieren“ und sich damit Geld verdienen lässt – wieso sollte man sie dann nicht verwenden?

TJ: Da haben Sie Recht. Wir danken Ihnen für das Gespräch!

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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