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12:05 Uhr, 05.09.2022

Kapriolen am Gasmarkt nur der Anfang?

Der vorläufige Lieferstopp Russlands über die Pipeline Nord Stream 1 sorgt zu Wochenbeginn für eine Preisexplosion beim Gaspreis. Der europäische Future TTF sprang am Vormittag um mehr als 72 Euro auf zuletzt 281 Euro je Megawattstunde an. Das waren rund 35 Prozent mehr als am Freitag.

Bis auf Weiteres will Russland kein Gas mehr durch die Pipeline Nord Stream 1 liefern. Der russische Staatskonzern Gazprom hatte die Lieferungen am frühen Mittwochmorgen ausgesetzt. Zunächst war die Rede von drei Tagen Pause, doch obwohl die Buchungen für neue Lieferungen schon wieder hereinkamen, war auch am Samstagmorgen kein Gas in Sicht. Gazprom teilte zuvor mit, es liege an technischen Problemen, die letzte laufende Turbine sei defekt. Vermutet wird aber, dass Russland den Westen im Konflikt um die Ukraine an der kurzen Leine hält.

Siemens Energy, Hersteller und Lieferant der Pipeline-Technik und Turbinen, widersprach der russischen Darstellung. Der Konzern teilte mit, dass die Servicetechniker einsatzbereit seien und für Gazprom jederzeit erreichbar. Es gebe aber keinen konkreten Reparaturauftrag von den Russen. Eine nach Angaben von Siemens Energy reparierte und einsatzbereite Turbine für Nord Stream 1 steht zudem weiter in Mülheim an der Ruhr und wartet auf den Weitertransport.

Der vorläufige Lieferstopp Russlands über die Pipeline Nord Stream 1 sorgt zu Wochenbeginn für Kapriolen beim Gaspreis. Der europäische Future TTF sprang am Vormittag um mehr als 72 Euro auf zuletzt 281 Euro je Megawattstunde an. Das waren rund 35 Prozent mehr als am Freitag. Der TTF-Kontrakt gilt als Maßstab für das europäische Preisniveau.

CMC Markets Experte Stanzl wies auf die Gefahr weiterer Verwerfungen am Gasmarkt hin. Wegen der Diskussion um den Energiepreis-Deckel sei die Zahl der offenen Kontrakte in den vergangenen Tagen zurückgegangen. „Damit könnte die Fähigkeit der Energiehändler und Stromerzeuger beeinträchtigt worden sein, sich gegen den erneuten Preisanstieg abzusichern oder aus bestehenden Positionen auszusteigen,“ sagte Stanzl laut Reuters. Sollten Anleger die durch den aktuellen Anstieg fällige nachträgliche Sicherheitsleistungen an die Börse nicht leisten können, droht die Zwangsauflösung von Geschäften. „Das könnte zu unkontrollierten und von den tatsächlichen Verhältnissen zwischen Gasangebot und -nachfrage losgelösten Preissteigerungen führen,“ wird Stanzl zitiert.

Die unzuverlässigen und letztlich fehlenden Gaslieferungen aus Russland dürften jedenfalls massive Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben. Davon geht ifo-Präsident Clemens Fuest aus. „Eine Rezession ist kaum noch zu vermeiden“, sagte Fuest der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Das ist wirklich ein düsteres Szenario.“ Forscher schätzen die Folgen eines Lieferstopps auf die deutsche Wirtschaftsleistung als etwas geringer ein als während der Corona-Pandemie. 2020 war die deutsche Wirtschaft um fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr geschrumpft

Die Frage der Fragen lautet: Wird Deutschland genügend Gas für den Winter haben. Obwohl die Speicher mittlerweile zu gut 85 Prozent gefüllt sind, müssen Industrie und Bürger weiter sparen. Beide sollen den Verbrauch um rund 25 Prozent gegenüber den Vorjahren senken. „Es steht und fällt mit dem Verhalten der privaten Haushalte“, sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, der FAZ. In der ersten Septemberwoche sei der Verbrauch der privaten Haushalte leicht gestiegen. Die Heizungen müssten eingestellt werden, fordert Müller.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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