Kommentar
16:10 Uhr, 12.04.2017

Ist Trading ein Problem ohne Lösung?

Es war wohl die bitterste Pille, die ich in den ganzen Jahren Trading und Börse schlucken musste. Als mir diese Erkenntnis kam, war ich am Boden zerstört. Alles was ich bisher getan hatte, fühlte sich sinnlos an. Dabei war es die wertvollste Erkenntnis meiner ganzen Trading-Karriere.

Ich kann den Markt nicht schlagen.

Ich kann den Markt nicht dauerhaft korrekt prognostizieren.

Ich werde kein System finden, das mir hilft, die Kurse von morgen hervorzusagen.

Ich war am Boden zerstört.

Es war wieder eine dieser kräftezehrenden Phasen mit Stunden vor den Monitoren und eine Idee, die sich vor wenigen Tagen noch so verheißungsvoll angefühlt hatte, war gegen die Wand der Realität gefahren.

Wieder saß ich in einer dieser quälenden Verlustpositionen fest, mit denen mir der Markt zeigte, wie unbedeutend ich für ihn war.

Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie viele Dinge ich ausprobiert habe.

Ich kann Ihnen heute nicht mal im Einzelfall sagen, was ich mir schon zurechtgebogen habe, um meine Trades zu rechtfertigen.

Ohne Mist, ich hab schon die verrücktesten Sachen interpretiert und gesehen.

Eine Zeit lang habe ich Prognosen von Analysten in die Zukunft verschoben. Ich war der Meinung, wenn die meisten Analysen kurzfristig scheitern, muss das ja nicht bedeuten, dass sie auch langfristig versagen. Sie kennen dieses Phänomen, dass man manchmal einige Tage später feststellt, dass die eigene Idee über Umwege doch noch aufgegangen ist, man zwischendurch aber ausgestoppt oder einer anderen Ideen nachgegangen war.

Eine ganz raffinierte Methode, die ich wirklich eine Zeit lang verbissen verfolgt habe, war Kursmuster in die Zukunft zu projizieren. Ich hatte eine Datenbank von Kursverläufen der letzten Tagen und Wochen und ließ den Computer fortwährend nach Ähnlichkeiten im aktuellen Tagesverlauf suchen. Entwickelte sich der aktuelle Kursverlauf so ähnlich wie ein Kursmuster der Vergangenheit, dann wettete ich darauf, dass sich die Märkte auch dieses Mal ähnlich entwickeln würden.

Dieses Vorgehen war gar nicht so ein Hirngespinst, wie es sich im ersten Moment anhört.

Es gibt Hedgefonds, die mit vergleichbaren, aber natürlich viel größeren Datenbanken arbeiten. Paul Tudor Jones z.B. hatte schon 1987 den Crash "erraten", weil er Gemeinsamkeiten zwischen dem Kursverlauf des S&P 500 zwischen 1987 und 1929 festgestellt hatte. Ohne Witz, können Sie nachlesen.

Und dennoch, so richtig haben nie die Korken in meinen Depots geknallt. Immer kam dieser eine große Verlusttrade dazwischen, der alle Träume zunichte machte.

Es dauerte manchmal nur Stunden um die Erfolge von Monaten zu zerstören.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich etwas komplett falsch machen musste.

Ich hab mich dann hingesetzt und mich gefragt: „Ok Jakob, für was war diese ganze Odyssee jetzt gut? Das ganze muss doch irgendeinen Sinn gehabt haben.“ (Hatte es nicht)

„Man kann ja nicht nur Scheitern, ohne etwas daraus zu lernen.“

Mir ist erst viel später klar geworden, was die Message war, die ich lernen durfte.

Ich kann den Markt nicht kontrollieren, aber ich kann mein Verhalten an den Märkten kontrollieren.

Kurze Zeit später las ich dann bei Charlie Munger, dem Geschäftspartner von Warren Buffett, über das "Konzept der Inversion". Munger sagt, dass Umkehrung ein Instrument ist, um Probleme zu lösen.

Daraus folgt, dass manchmal die Unmöglichkeit der Lösung die Lösung selbst ist oder anders gesagt, manchmal gibt das Problem den richtigen Hinweis auf die Lösung.

Ich mache ein Beispiel.

Wir können die Gewinneraktien von morgen nicht treffsicher bestimmen, richtig?

Ok.

Das ist das Problem.

Wir können nicht mit Sicherheit die Aktienkurse von morgen hervorsagen, genauso wie wir keine zukünftigen Fußballergebnisse oder Lottozahlen kennen.

Das Problem ist die Lösung.

Inversion: Drehe das Problem um.

Ich kann nicht die Gewinneraktien von morgen bestimmen, also investiere ich einfach in alle Aktien.

So ist Investieren mit ETFs die Lösung eines Problems, in dem es das Problem nicht löst, sondern auf den Kopf stellt.

Beim Trading ging es mir ähnlich.

Problem: Ich kann den Markt nicht hervorsagen.

Ich kann den Markt nicht kontrollieren.

Das ist die Realität, ich hatte mich damit abzufinden.

Inversion.

Ich kann den Markt nicht kontrollieren, aber ich kann mich kontrollieren.

Hier noch eine Inversion:

Ich kann gegen den Markt nicht gewinnen, aber ich kann versuchen, nicht mehr zu verlieren.

Aha!

Ich wurde risikoscheuer.

Ich wurde vorsichtiger.

Ich wurde konzentrierter.

Ich begann anders zu denken.

Nicht nur über das Trading, sondern auch über das Investieren und über meinen gesamten Umgang im Wirtschaftsleben.

Indem ich anfing mich nur noch darauf zu konzentrieren NICHT MEHR ZU VERLIEREN statt verkrampft zu versuchen jeden Tag zu gewinnen oder die Börse richtig zu prognostizieren, öffnete sich plötzlich eine ganz neue Tür zu den Märkten.

Viele Grüße
Jakob Penndorf

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Über den Experten

Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

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