Kommentar
13:46 Uhr, 11.11.2016

Inflationsziele purzeln

Der neueste Hit in der Geldpolitik ist ein Paradoxon: Einerseits wird die Geldpolitik restriktiver und wird gestrafft, andererseits wird über neue Ziele weiter gelockert.

Ob diese paradoxe Vorgehensweise wirklich System hat oder vielmehr ein Zeichen der Verzweiflung ist, ist nicht ganz klar. Zunächst lohnt aber ein Blick auf das, was die Notenbanken zuletzt veranstaltet haben.

Bei praktisch jeder Notenbanksitzung gab es ein Thema, welches immer angesprochen wurde: Inflation. Die Fixierung auf das Thema Inflation ist nachvollziehbar, denn die meisten Notenbanken haben nur ein einziges Mandat: Preisstabilität.

Über das, was Preisstabilität bedeutet, lässt sich streiten. Die meisten Notenbanken sehen 2 % Inflation als stabil an. Das ist natürlich rein formal nicht korrekt, denn wenn die Preise jedes Jahr um 2 % steigen, sind sie nicht stabil. Preisstabilität als Anstieg der Preise zu definieren ist ein Widerspruch. Dennoch hat das Ziel von 2 % einen Sinn.

Bei einer Teuerung von 2 % ist Deflation weit genug entfernt und der Preisauftrieb ist noch gering genug, um die Wirtschaft nicht aus den Fugen geraten zu lassen. 2 % sind eine Art Kompromiss, um Deflation zu verhindern und Konsumenten vor exzessiven Preissteigerungen zu schützen.

Um das 2 % Ziel zu erreichen, haben sich Notenbanken viele Dinge einfallen lassen. Dazu gehört die Nullzins- bzw. Negativzinspolitik ebenso wie der Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen sowie Aktien. Nun stellt sich allerdings immer mehr heraus, dass diese unkonventionellen Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen.

Die Grenzen werden aus zwei Gründen erreicht. Einerseits gehen den Notenbanken teilweise die Assets aus, die sie noch kaufen könnten (z.B. Eurozone), andererseits haben noch niedrigere Zinsen inzwischen keinen positiven Effekt mehr. Eine weitere Zinssenkung bringt keinen Nutzen mehr. Anstatt die Lage zu verbessern, dürften sie die Lage verschlechtern.

Aus diesem Grund hat die japanische Notenbank angefangen die Zinskurve zu managen. Es geht nicht mehr darum, die Zinsen weiter zu senken, sondern die Zinsen stabil zu halten. Das soll geschehen, obwohl nach wie vor an die 800 Mrd. Dollar an frisch gedrucktem Geld in den Markt fließen sollen. Wie das funktionieren soll, ist offen.

Notenbanken können teils aus technischen Gründen nicht weiter lockern. Paradebeispiel ist die EZB, der die Anleihen ausgehen. Andere Notenbanken können nicht weiter lockern, weil sie sonst mehr Schaden als Nutzen anrichten. Trotzdem sind die meisten Wirtschaftsräume noch weit entfernt von ihrem 2 % Inflationsziel.

Nun können die Notenbanken nicht weiter lockern und müssen teilweise den Ausstieg aus ihren QE Programmen vorbereiten. Wie kann nun das Inflationsziel erreicht werden, obwohl man nicht weiter lockern kann?

Diese Frage beschäftigt die Notenbanken seit einigen Monaten. Einige glauben darauf eine Antwort gefunden zu haben. Das Inflationsziel von 2 % wird angepasst. Es ist nicht ganz klar, ob die Anpassung erfolgt, um die Inflation nach oben zu drücken oder ob sie erwogen wurde, um den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik zu erleichtern.

Aus rein akademischer Perspektive sollte die Anhebung des Inflationsziels zu einem Anstieg der Inflationserwartungen führen. Daraus resultiert letztlich ein realer Inflationsanstieg. Passt eine Notenbank ihr Ziel nach oben an, dann sollte der Markt daraus schließen, dass die Geldpolitik viel länger locker bleibt und das Erreichen des Ziels wahrscheinlicher wird. Daraus erfolgt die Anpassung der Inflationserwartungen.

So schlüssig die Idee auf theoretischer Ebene ist, praktisch hat sie sich bisher nicht bestätigt. Das ändert jedoch nichts daran, dass Notenbanken rund um die Welt ihre Inflationsziele anpassen. Die Grafik zeigt den bisherigen Status und die neue Politik. Unter dem alten Regime hatten die meisten Notenbanken ein Punktziel von 2 %. Ein minimaler Spielraum nach oben und nach unten wird erlaubt. Die australische Notenbank verfolgte bisher ein Ziel von 2-3 % Inflation.

Unter dem neuen Regime bleiben bisher nur die Notenbanken der USA und der Eurozone bei ihrem bestehenden System. In Japan gilt ab sofort, dass 2 % nicht mehr das Ziel, sondern die Untergrenze sind. Kanada bleibt grundsätzlich beim Ziel, passt aber die Messgröße an, was mehr Spielraum erlaubt. Die britische Notenbank hat klar gesagt, dass sie ein Überschießen über 2 % erlauben wird. Bis 2,7 % scheint sie sich wohlzufühlen. Australien bleibt grundsätzlich bei dem 2-3 % Ziel, gestattet sich jedoch etwas mehr Flexibilität.

Global gesehen wackeln die Inflationsziele. Viele wurden bereits aufgeweicht. Das kann eine Reaktion auf die Verfehlung des Ziels sein. Immerhin haben die meisten Notenbanken ihr Inflationsziel seit 4 Jahren nicht mehr erreicht. Es kann aber auch etwas anderes dahinterstecken.

Die Inflation bildet derzeit global einen Boden aus und steigt an. Dieser Anstieg kommt für viele überraschend und auch mit vergleichsweise hohem Tempo. Viele Länder werden das bisher gültige Inflationsziel rasch erreichen. Die Notenbanken müssten entsprechend jetzt reagieren und die Zinsen anheben, um ein Überschießen zu verhindern.

Steigen Notenbanken nun hastig aus der Niedrigzinspolitik aus, dann würgt das die Wirtschaft ab. Sie können nicht einfach aussteigen. Sie brauchen viele Jahre, um die Politik zu normalisieren. Es kann also gut sein, dass die Inflationsziele nach oben angepasst werden, um nicht abrupt straffen zu müssen, wenn das Ziel übertroffen wird. Notenbanken sichern sich quasi durch eine Anpassung des Ziels schon einmal vorsorglich gegen Kritik ab, wenn die Inflationsziele gerissen werden.

Clemens Schmale

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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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