Fundamentale Nachricht
14:41 Uhr, 21.12.2022

Inflation wird 2023 hartnäckiger bleiben als erwartet

Shamik Dhar, Chefökonom bei BNY Mellon Investment Management, geht davon aus, dass die Inflation hartnäckig bestehen bleibt, ausgelöst durch eine Lohn-Preis-Spirale in den USA und Problemen auf der Angebotsseite in Europa.

Die entscheidende Frage für das kommende Jahr ist, ob es tatsächlich zu einer Rezession kommt oder sich die Hoffnung aller Zentralbanker auf eine "weiche Landung" erfüllt, bei der sich die Inflation auf das Zielniveau zubewegt, ohne dass es zu einem erheblichen Rückgang der Produktion und einem wesentlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt. Das sagt Shamik Dhar, Chefökonom bei BNY Mellon Investment Management. Jedoch führt eine anhaltend hohe Inflation fast immer zu einer Rezession - das letzte Mal, dass die US-Wirtschaft bei einer so hohen Inflation wie heute eine Rezession vermeiden konnte, war in den 1950er Jahren.

„Wir gehen davon aus, dass die Inflation hartnäckig bestehen bleibt, ausgelöst durch eine Lohn-Preis-Spirale in den USA und Problemen auf der Angebotsseite in Europa. Deshalb werden weitere Zinserhöhungen erforderlich sein, um die Inflation zu senken, obwohl die US-Notenbank letzte Woche die Zinsen nach viermaligen Zinserhöhungen in Folge von 0,75 % erstmalig nur um 0,5 % angehoben hat und die EZB ebenfalls wie erwartet um 0,5 %. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass diese Phase ewig andauern wird, und unser Hauptszenario sieht die Inflation bis Anfang 2024 wieder auf oder sogar unter dem Zielwert. Die US-Wirtschaft wird wahrscheinlich nicht in der Lage sein, einen längeren Zeitraum mit Zinssätzen von mehr als 6 % zu verkraften - die Anleger wissen das, und wir sehen eine Chance auf eine umgekehrte Renditekurve, definiert als die Differenz zwischen zehnjährigen Renditen und dem Leitzins, in der ersten Hälfte des nächsten Jahres.

Die Schlüsselfrage, die sich daraus ergibt, ist, wieviel Schaden die Wirtschaft verkraften muss, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Unser zentrales Szenario ist nach wie vor, dass wir Anfang nächsten Jahres in eine weltweite Rezession eintreten, die durch die rasche Anhebung der US-Leitzinsen ausgelöst wurde. Diese wird wahrscheinlich einer typischen geldpolitisch bedingten Rezession sehr ähnlich sein, wobei die Produktion ihren früheren Höchststand innerhalb von ein paar Jahren wieder erreichen dürfte und die Arbeitslosenquote voraussichtlich ihren Peak bei 7,5 % hat, bevor sie wieder zurückgeht.

Der Euroraum sieht sich mit zusätzlichem Gegenwind rund um die Gaslieferungen konfrontiert, auch wenn es dem Euroraum im dritten Quartal gelungen ist, eine Rezession zu vermeiden. Sowohl das Tempo der Substitution von russischen Lieferungen als auch die Fähigkeit der Wirtschaft, diesen Übergang zu verkraften, hat viele in diesem Jahr überrascht. Eine Rezession ist trotzdem nach wie vor wahrscheinlicher als keine Rezession - auch wenn die Leitzinsen wahrscheinlich nicht so hoch wie in den USA ausfallen werden. Ein großes Problem könnte die Energieknappheit werden, insbesondere wenn der Winter kälter als erwartet ausfällt.

Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Wiederbelebung der chinesischen Wirtschaft dramatisch auf das globale Wachstum oder die Finanzbedingungen auswirken wird. Sicherlich wird sich die chinesische Wirtschaftstätigkeit verbessern, wenn die Beschränkungen der Null-Covid-Politik weiter gelockert werden. Darüber hinaus sieht sich Peking mit zunehmendem strukturellem Gegenwind aus dem Immobiliensektor, dem allgemeinen Wohlstand und der Abkopplung des Technologiesektors von den wichtigsten Wirtschaftspartnern konfrontiert - alles Faktoren, die die Stimmung der Investoren verschlechtern und den Umfang einer nachhaltigen Erholung der Binnennachfrage begrenzen dürften.

Die Kombination aus hoher Inflation, steigenden Zinsen und schwachem Wachstum zeichnet ein düsteres Bild für die Finanzmärkte. Aktien werden wahrscheinlich weiter fallen, und der Dollar könnte auf seinem hohen Niveau verharren oder seine Rally könnte sich noch eine Weile fortsetzen. Allerdings sind geldpolitisch bedingte Rezessionen in der Regel recht kurz, und wir gehen davon aus, dass in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres wieder eine risikofreudige Stimmung herrschen wird. Aber es besteht nach wie vor das Risiko, dass die Entwicklung deutlich schlechter ausfällt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der S&P 500 unter 3000 fällt, liegt bei fast 20 %. Wenn es der Fed gelingt, eine weiche Landung zu erreichen, kann dies aber eventuell vermieden werden. Dann dürfte eine risikofreudige Stimmung einsetzen, die Aktien steigen und der Dollar schwächer werden.“

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