Kommentar
11:35 Uhr, 21.03.2016

Helikoptergeld: Die EZB und das bedingungslose Grundeinkommen

“The next big thing” in der geldpolitischen Eskalationsspirale oder undurchführbare Feuchtträume der Zentralbänker?

Der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi wurde in der jüngsten Pressekonferenz von einem Journalisten auf die Idee "Helikoptergeld" angesprochen. Draghis Antwort: Im Zentralbankrat wurde bisher nicht darüber nachgedacht oder gar gesprochen,aber es handele sich um ein "sehr interessantes Konzept", welches derzeit unter Ökonomen heiß diskutiert werde...

Was ist Helikoptergeld

Der Begriff geht zurück auf den ehemaligen Chef der US-Notenbank Fed, Ben Bernanke.

Um die weitreichenden Möglichkeiten der Fed zu illustrieren zeichnete er das Bild einer Zentralbank, die im Extremfall auch einfach Geldscheine von Helikoptern auf die Bevölkerung regnen lassen könnte, sollten die traditionellen Transmissions-Mechanismen der Geldpolitik nicht mehr zur gewünschten Wirkung führen (Ankurbelung der Wirtschaft + Erzeugung von Inflation in Richtung des Inflationsziel von 2 %)

Was ist das Ziel von Helikoptergeld

Die Zentralbanken verfolgen Inflationsziele (meist 2 % p.a.), die zum Großteil seit einiger Zeit nicht erreicht werden. Während früher die Aufgabe der “Währungshüter” die Eindämmung einer zu hohen Inflation war, ist seit dem Ausbruch der Finanzkrise der Fokus auf Deflations-Verhinderung verschoben worden.

Der klassische Transmissions-Mechanismus der Geldpolitik erzeugt Inflation grundsätzlich durch folgenden Prozess:

Fallende Zinsen führen zu erhöhter Kreditnachfrage, dadurch mehr Investitionen und Konsum > steigende Nachfrage > steigende Preise (>steigende Löhne usw)

Aus diversen Gründen funktioniert das in der Praxis derzeit nicht mehr so wie früher. Denken Sie an Fakten wie überschuldete Haushalte, Kostendruck durch Globalisierung etc.

Da das Endziel der Geldpolitik ohnehin die Anregung der Nachfrageseite ist, ließe sich diese auch direkt ankurbeln, so die Überlegung der Helikoptergeld-Befürworter. Und zwar ohne die unangenehmen Nebenwirkungen der traditionellen Geldpolitik (dazu später mehr).

Rechtliche und bilanzielle Hindernisse

Die Grundidee, frisch gedrucktes Geld direkt an die Bürger zu verteilen, trifft in der Realität auf harte juristische Grenzen, die auch nicht leicht zu überwinden sind.

In der traditionellen Geldpolitik vergibt die Zentralbank entweder Kredite an Banken gegen Sicherheiten oder kauft Wertpapiere am Markt auf, wie das z.B. im Rahmen des Quantitative-Easing-Programms geschieht.

In beiden Fällen kommt es zu einer Bilanzverlängerung auf Seiten der Zentralbank - während auf der Passivseite die Guthaben der Banken steigen, kommt es analog zu einem Anschwellen der Position Forderungen bzw. Wertpapiere auf der Aktivseite. Der Gewinn der Zentralbank ist von den Operationen nur insoweit tangiert, als Zinserträge bzw. Kursgewinne/-verluste realisiert werden

Anders sieht es bei der pursten Form des Helikoptergeldes aus. Würde man Geld direkt an die Bürger verteilen, sei es in bar oder als Überweisung auf ein Konto, dann käme es auf der Passivseite zu einer Erhöhung der Zentralbank-Verbindlichkeiten, während auf der Aktiv-Seite keine korrespondierende Position dem gegenüberstünde. Denn die Zentralbank kauft den Bürgern in diesem Modell keine Wertpapiere ab. Das gesamte “verschenkte” Geld schmälert in dieser Variante den Gewinn der Zentralbank und verringert somit das Eigenkapital. Letztlich würden alle Anteilseigner der Zentralbank das Helikoptergeld also bezahlen und am Ende der Steuerzahler selber, womit nichts gewonnen wäre. Abgesehen davon könnte die EZB im derzeitigen rechtlichen Rahmen gar nicht so vorgehen - auf eigene Faust riesige Verluste produzieren, um das Inflationsziel zu erreichen, übersteigt das Mandat jeder Zentralbank.

Um diese offenkundigen Probleme zu umgehen, wurden verschiedene Vorschläge gemacht.

Lesetipp: Die EZB kann doch noch zaubern

Ein beliebtes Gedankenspiel: Der Staat soll zinslose, ewige Anleihen emittieren, die direkt oder über Umwegen (je nach Zentralbank und deren juristischer Grenzen) bei der Zentralbank landen. Der Staat wiederum verteilt das Geldgeschenk an seine Bürger, z.B. über eine Steuergutschrift.

Auch dieser Lösungsversuch würde derzeit scheitern. Denn eine ewige Anleihe mit einem Zins von 0 % hat einen Gegenwartswert von ebenfalls Null. Auch wenn man pro forma einen sehr niedrigen Zinskupon ansetzen würde, entstünde schon beim geringsten Zinsanstieg ein riesiger Abschreibungsbedarf auf diese “Wertpapiere”, was wiederum das Zentralbank-Eigenkapital belasten würde. Denn auch Zentralbanken müssen nach gängigen Standards bilanzieren.

Man hat es also mit zwei Kernthemen zu tun: Bilanzierungsrichtlinien und rechtlicher Rahmen (im Falle der EZB die EU-Verträge, die ja unter anderem auch ein Verbot der direkten Staatsfinanzierung enthalten)

Nun wissen wir aus der jüngeren Vergangenheit, dass die EZB in der Interpreation ihres Mandats sehr weit geht. Aber diese Hürden sind von ihr alleine nicht zu nehmen.

Fazit: Helikopter-Geld der EZB wird es ohne Zutun der Politik nicht geben!

Was ist realisierbar?

Entweder die Euroländer ändern die EU-Verträge und/oder die Bilanzierungsrichtlinien, was ein langwieriger Prozess voller Widerstände wäre, und gibt der EZB damit künftig eine noch größere Macht. Oder man geht einen einfacheren Weg.

Die EU-Staaten könnten sich gegenseitig darauf verständigen, ihre Verschuldung auszubauen und einen Anteil X an ihre Bürger zu verschenken. Das funktioniert aber nur, wenn die entsprechenden Anteile nicht in die Verschuldungsgrenzen gemäß Euro-Stabilitätspakt einfließen. Darauf müssten sich alle EU-Staaten verständigen.

Dazu muss man sich vor Augen halten, dass schon jetzt die effektive Verschuldung der Staaten in dem Maße geringer ist als die offiziell ausgewiesene, wie die in den EZB-Bilanzen schlummernden Staatsanleihen deren Bücher nie mehr verlassen bzw. auslaufende Anleihen sofort wieder am Markt im gleichen Volumen erworben werden.

Freilich schwebt darüber das Damokles-Schwert einer künftig womöglich geänderten Zentralbank-Politik. Dies kann z.B. dann passieren, wenn die Inflationsraten deutlich anziehen. Dann könnte es zur Wahrung des Mandats nötig werden, Anleihen zu verkaufen.

Wie ist Helikoptergeld zu bewerten?

Insoweit Helikoptergeld alternativ und nicht zusätzlich zur schon laufenden ultralockeren Geldpolitik ins Auge gefasst wird, ist das Konzept grundsätzlich überlegenswert, steckt aber auch voller Probleme.

Wird die aggregierte Nachfrage der Volkswirtschaft direkt angeheizt, könnte sich das auch relativ schnell direkt auf die Preise auswirken und die Inflationsrate sich im gewünschten Bereich der Zentralbank bewegen. Dann könnte man die Zinsen etwas anheben, was das größte Problem der derzeitigen Zinspolitik mildern könnte.

Die “Nebenwirkungen” von QE und Nullzins sind nämlich drastisch steigende Preise vor allem von Immobilien, aber auch von anderen Sachwerten wie Aktien.

Wen man bedenkt, dass die meisten Finanzkrisen mit überbewerteten Immobilienmärkten zu tun hatten, ist der mittelfristige Handlungsbedarf offenkundig. Stand jetzt weist die EZB hier jede Verantwortung von sich und verweist auf ggf. nötige “makroprudentielle Maßnahmen” zur Eindämmung von Spekulationsblasen, die aber nicht annähernd so wirkungsvoll sind wie höhere Zinsen und zudem eine dramatische Verteilungswirkung haben. So führt z.B. eine drastisch erhöhte Eigenkapitalanforderung beim Immobilienkauf (das ist eine typische makroprudentielle Maßnahme) dazu, dass nur noch ohnehin schon gut Betuchte in den Genuss der extrem niedrigen Kreditzinsen kommen.

Der Nullzins macht auch in anderen Bereichen große Probleme, von Altersrückstellungen bis hin zu Sparplänen. Wenn man durch Helikoptergeld von den ultraniedrigen Zinsen wegkommt, so ist das genauso überlegenswert wie jede andere Maßnahme, welche zu diesem Ziel führt.

Auf der anderen Seite stellt sich aber auch die Frage der Gewöhnung an das zusätzliche Geld und die Konsequenzen daraus.

Gelingt es z.B. in Periode 1, durch einen einmaligen “Abwurf” von Heligeld das Preisniveau anzuheben, aber das Lohnniveau bleibt gleich, so droht in Periode 2 bei gleichbleibender Inflation reale wirtschaftliche Stagnation (“Stagflation”) oder alternativ wiederum der Abfall der Inflationsrate. So könnte man in eine Interventionsspirale geraten, die das Helikoptergeld zur dauerhaften Einnahmequelle der Bürger macht.

Aber ist das nicht ohnehin unsere Zukunft?


Ausblick: Vom Helikoptergeld zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Wenn Heligeld ein “heißes Thema” bei Zentralbank-Watchern ist, so gilt dies im politischen Gegenzug ganz sicher für das bedingungslose Grundeinkommen.

Dieses soll bestehende Sozialleistungen ersetzen und bündeln und als Grundvoraussetzung jedem Bürger das Existenzminimum sichern.

Das BGE wird schon seit geraumer Zeit diskutiert und ist mit einigen konzeptionellen Problemen behaftet, die hier nicht besprochen werden können. (Insbesondere wäre eine sinnvolle, wenn nicht sogar notwendige Voraussetzung eine extrem hohe Technisierung/Automatisierung der Volkswirtschaft)

Was aber in Zukunft interessant werden könnte, ist die Finanzierung des BGE.

In bisherigen Ansätzen kommt es diesbezüglich noch zu erheblichen argumentativen Verrenkungen. Man spart sich natürlich vieles ein (nämlich alle bisherigen Sozialleistungen) es ergäbe sich aber dennoch eine riesige Lücke, wenn man das BGE wirklich allen Bürgern zukommen lassen will - also auch der großen Mehrheit mit Einkommen. Nur dann verdient es diesen Namen wirklich. Verrechnet man das BGE mit den gewöhnlichen Einnahmen der Bürgr, dürfte die Akzeptanz bei der Bevölkerung nicht sehr hoch sein.

Wie könnte man die Lücke schließen? Wäre das Helikoptergeld dafür geeignet?

Ich denke ja - vor allem im Zusammenhang mit einem neuen Geldsystem.

Akut wird m. E. nicht viel in diese Richtung passieren, aber den Systemwechsel (der übrigens keineswegs mit einem Zusammenbruch des aktuellen Systems gleichzusetzen ist!) in Richtung Vollgeldsystem halte ich in den nächsten 20 Jahren für realistisch.

3 Kommentare

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  • Bullentango
    Bullentango

    Helikoptergeld wird es dann als Anreiz bei der Abschaffung des Bargeldes geben.

    Denn es wird etwas brauchen, um die Massen zu bewegen.

    Denkt an diesen Beitrag, wenn es dann in 1-2 Jahren soweit ist.

    14:45 Uhr, 21.03.2016
  • Löwe30
    Löwe30

    Im Vollgeldsystem finanziert der Staat alle Ausgaben mit neu geschaffenem Geld der "unabhängigen" Zentralbank.

    Wenn das ein tragfähiges System wäre, könnte man doch gleich allen Bürgern erlauben auch ihre Ausgaben direkt mit neu geschaffenem Geld zu finanzieren. Jeder holt sich das Geld, was er braucht, gleich von der Zentralbank. - Gleiches Recht für alle! - Dann käme sehr schnell heraus, wohin so etwas führt, nämlich in den Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft und der Spuk hätte ein schnelles Ende.

    12:53 Uhr, 21.03.2016
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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