Fundamentale Nachricht
16:51 Uhr, 29.06.2022

Geldpolitik verdrängt Geopolitik

Umfragen unter Fondsmanagern zufolge ist die Geldpolitik laut Angelika Millendorfer, Leiterin des Teams Emerging Markets Aktien bei Raiffeisen Capital Management, inzwischen Sorge Nummer eins bei Investoren und hat die Geopolitik von Platz eins verdrängt.

Globaler Überblick: Sowohl Fed als auch EZB geben derzeit ein etwas irritierendes Bild ab. Aussagen werden in kurzer Zeit revidiert und eine gewisse Sprunghaftigkeit von Entscheidungen und Maßnahmen in den letzten Monaten ist unübersehbar. Laut Umfragen unter Fondsmanagern ist die Geldpolitik inzwischen Sorge Nummer eins bei Investoren und hat die Geopolitik von Platz eins verdrängt.

Es ist absolut möglich, dass sich die Konjunktur kräftig abschwächt, während die Inflationsraten vorerst noch hoch bleiben. Dass die Notenbanken dann trotzdem weiter unbeirrt die Zinsen anheben, ist sicherlich möglich, erscheint aber recht unwahrscheinlich. Irgendwann im zweiten Halbjahr 2022 oder spätestens im ersten Halbjahr 2023 könnten sich Rhetorik und Zinsausblicke der Notenbanken daher zumindest abmildern. Die Finanzmärkte dürften in den kommenden Monaten versuchen, das zu antizipieren.

Unterdessen haben sich die Bewertungsrelationen für Schwellenländer-Aktien und -Anleihen weiter verbessert. So nützlich und positiv dies für langfristige Investmententscheidungen ist, so ungeeignet ist es, um die unmittelbare Zukunft zu prognostizieren. Bis auf weiteres könnten EM-Aktien und -Anleihen noch weiter unter US-Dollar, Inflationsdruck und Wachstumsabschwächung leiden.


China
: Zu den wirtschaftlichen Problemen zählen ein weiterhin angeschlagener Immobilienmarkt, eine nachlassende Exportdynamik und die Zero-Covid-Strategie. Alle drei Faktoren haben gemeinsam, dass sie das Wachstum bremsen - möglicherweise ganz erheblich. Die gute Nachricht: Diese Problemfelder scheinen inzwischen weitgehend eingepreist. Chinesische Aktien scheinen attraktiv gepreist, sie könnten in den kommenden Monaten outperformen.

Indien: Mit gezielten Steuersenkungen (bspw. bei Treibstoffen) versucht die Regierung, den steigenden Preisen entgegenzuwirken. Zugleich stockt das Land seine Käufe von russischem Öl und Kohle zu Discountpreisen massiv auf. Bis zu 30 % Preisnachlass sind starke Argumente für den drittgrößten Ölkonsumenten der Welt.

Brasilien: Die Wirtschaftsdaten entwickeln sich weiterhin überwiegend positiv. Zugleich überraschte die Inflation nach oben. Mitte Juni erhöhte die Notenbank den Leitzins SELIC daher abermals, von 12,75 % auf 13,25 %. Ein Ende des Zinsanhebungszyklus ist aktuell kaum abzuschätzen.

Russland: Die Wirtschaft hält sich weiterhin recht gut, wenn man die aggregierten Zahlen sieht, aber unter der Oberfläche beginnen die beispiellosen Sanktionen deutlich Wirkung zu zeigen. Russland hat in den letzten Jahren viel versucht auf dem Gebiet der Importsubstitution, auch mit einigem Erfolg, aber es scheint, dass die Fortschritte sehr viel geringer waren als gedacht. Die hohen Preise für Öl, Gas und Metalle haben zwar die Handelsbilanzüberschüsse massiv anschwellen lassen. Damit lässt sich aber trotzdem nicht das Wegbrechen erheblicher Bereiche der Binnenwirtschaft dauerhaft kompensieren. Positiv ist, dass die Inflation nicht so stark steigen dürfte, wie von der Notenbank befürchtet, zum Teil aufgrund des starken Rubels.

Türkei: Die Inflation kletterte auf 73,5 % p.a. Und es mehren sich die Anzeichen, dass die galoppierende Inflation zunehmend negative Spuren beim Wirtschaftswachstum hinterlässt. Klar ist, dass die aktuelle Verschuldungs-, Inflations-, und Leistungsbilanzdynamik nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten ist. Außenpolitisch profitiert die Türkei weiterhin vom Ukraine-Krieg, stellt sich auf keine Seite und Präsident Erdogan versucht, maximales Kapital aus der Situation und der geostrategischen Position der Türkei zu schlagen. Zugleich bereitet man eine massive Großoffensive im Norden Syriens gegen die Kurdenmiliz YPK vor.

CE3 (Polen, Tschechien, Ungarn): In den CE3-Staaten ist die Wirtschaft im ersten Quartal über Erwarten robust gewachsen. Negativ ist die hohe Inflation in allen drei Ländern. Trotz mehrfacher Zinsanhebungen dürfte die Geldpolitik vor allem in Ungarn und Polen derzeit noch immer zu locker und expansiv sein, um die Inflationsdynamik zu brechen. Der Hochpunkt der Inflation dürfte erst im zweiten bis dritten Quartal erreicht werden.

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