Kommentar
10:20 Uhr, 27.10.2017

Geldpolitik: Ein bisschen mehr Normalität

Der Ausnahmezustand, den die Notenbanken verhängt haben, wird nach und nach aufgehoben. Das zeigt sich auch auf dem Anleihemarkt.

Ein Stück Normalität kehrt zurück. Der Prozess hat allerdings das Tempo einer Schnecke. Die EZB hat das mit einer Verlängerung und Reduzierung von QE gerade erst unterstrichen.

Es ist noch nicht lange her, da herrschte Panik. Vor einem Jahr erreichte das globale Zinsumfeld seinen Tiefpunkt. Unter Investoren wütete blanke Kaufhysterie. Man konnte gar nicht genug Anleihen kaufen und am besten solche, die mindestens erst in 30 oder sogar 50 Jahren fällig werden.

Dänemark konnte sich im September 2016 für 0 % Zinsen für 10 Jahre Geld leihen. In Deutschland ging das sogar für -0,2 %. Selbst für 30-jährige Papiere musste der deutsche Staat lediglich 0,3 % berappen. In Japan erreichten die 10-jährigen Papiere ein Tief bei -0,3 % und die 40-jährigen bei 0,2 %. Rekordhalter ist vermutlich die Schweiz. Hier gingen 10-jährige Anleihen zu einer Rendite von -0,6 % über den Ladentisch und selbst die 50-jährigen Anleihen notierten kurzfristig im negativen Bereich.

Inzwischen ist das anders. Die meisten Anleihen mit Laufzeiten von 10 Jahren und mehr notieren wieder im positiven Bereich. Ausnahme bleibt derzeit noch die Schweiz. Dafür müssen andere Staaten wieder richtig tief ins Portemonnaie greifen. Japan zahlt für 40-jährige Anleihen inzwischen wieder 1,1 %.

Die große Kaufpanik ist vorbei. Die Zinsen sind immer noch niedrig, aber ein klein wenig normalisiert sich die Lage wieder. Global notierten im vergangen Jahr für kurze Zeit 12 Billionen an Anleihen im negativen Bereich (Grafik 1). Das waren fast 20 % aller ausstehenden Staatsanleihen.

Im vergangenen Jahr konnte man bei steigenden Gesamtschulden sagen: je höher die Verschuldung, desto niedriger die Zinsen. Das gilt heute so nicht mehr. Noch immer notieren an die 8 Billionen an Anleihen im negativen Bereich, doch das ist ein Drittel weniger als noch vor einem Jahr. Die Normalisierung wird Wirklichkeit, wenn auch langsam.

Die Normalität kehrt glücklicherweise langsam ein. Einen Crash des Anleihemarktes kann sich einfach niemand leisten. Durch den Anstieg der Preise (=fallende Rendite) konnten viele Unternehmen der Finanzbranche Buchgewinne aufbauen, die als Eigenkapital gelten. Würden diese Gewinne schlagartig wegfallen, wäre so manches Unternehmen plötzlich nicht mehr so gut kapitalisiert.

Am allerwenigsten können sich Regierungen höhere Zinsen leisten. Das gilt auch für Deutschland. Rechnet man mit einem Zinsniveau, welches vor der Krise herrschte, hätte Deutschland in den letzten Jahren keinen Schuldenabbau betreiben können. Die Schulden wären in etwa konstant geblieben.

Die Normalisierung muss langsam erfolgen, um Staaten nicht zu überfordern. Staaten müssen sparen. Das geht nicht von heute auf morgen, wenn man die Wirtschaft nicht abwürgen will. Es brauchte Zeit, gerade in der Eurozone, bis viele Länder wieder auf einen Wachstumskurs zurückkehren konnten. Jetzt, da sich die Wirtschaft mehr oder minder selbst trägt, die Steuereinnahmen steigen und die Inflation zurückkehrt, können auch minimal höhere Zinsen verkraftet werden.

Noch kauft die EZB deutlich mehr Anleihen als neu auf den Markt kommen (Grafik 2). Das wird sich ab Ende 2018 oder 2019 ändern. Schon jetzt sind die Zinsen in Erwartung des QE Ausstiegs gestiegen, wenn auch moderat und verkraftbar. Der Markt wird in den kommenden Tagen nach dem EZB Entscheid wieder etwas zurückrudern. Dennoch: die Normalisierung hat begonnen und zwar ziemlich unspektakulär. Das ist gar nicht so schlecht.

Clemens Schmale

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4 Kommentare

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  • Bigdogg
    Bigdogg

    Ja, das klingt nach der Sowjet-Wirtschaft zu ihren besten Zeiten, nur mit einem pseudo-marktwirtschaftlichen Anstrich. Was an der Situation in Europa gut sein soll ist mir schleierhaft. Tanzt einer aus der Reihe fällt wahrscheinlich alles um. Wenn es Deutschland ist (was leider nicht passieren wird) geht das Licht sofort aus.

    09:18 Uhr, 30.10.2017
  • JürgenSK
    JürgenSK

    In den USA steht die Infaltion offiziell auch bei etwa 2%...laut Shadowstat beträgt sie 6%..hier in Deutschland reden manche Ökonomen von 3-5%. realer Inflation...alles was an Zinsen darunter liegt und an Lohnerhöhungen, bedeutet für jeden von uns Verlust...wir werden ausgeraubt!!!!

    12:39 Uhr, 27.10.2017
  • Zukunft21
    Zukunft21

    hier kann man doch nicht von Normalisierung sprechen es wird weiter Geld in den Markt gepumpt weil er sonst nicht da stehen würde wo er jetzt steht.

    Und eine Inflationsrate von 1,5 % ist weit und breit nicht zu sehen die steht wahrscheinlich um die 3-4%

    also weiter mit der verarsche denn die Zinsen können nicht steigen schon alleine wegen dem schönen Italien.

    10:30 Uhr, 27.10.2017

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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