Fundamentale Nachricht
10:07 Uhr, 11.11.2015

Gegenläufige Strömungen in Europa

Die EZB könnte den Investmentexperten von Franklin Templeton Investments zufolge gezwungen sein, ihr quantitatives Lockerungsprogramm (QE) auszuweiten.

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San Mateo (GodmodeTrader.de) - Abgesehen von der institutionellen Krise durch Griechenlands Schuldenprobleme wirkt der Ausblick für die Eurozone in diesem Jahr bislang einigermaßen freundlich. Ultralockere Geldpolitik drückte den Euro und steigerte den Export, wie die Investmentexperten von Franklin Templeton Investments in der Oktober-Ausgabe von „Globale Märkte im Fokus“ schreiben.

Niedrige Zinsen hätten das Kreditgeschäft beflügelt. Die Unternehmensrentabilität steige. Der Einbruch der Ölpreise erhöhe die Realeinkommen und heize den Konsum an. An der politischen Front verliere die populistische Welle offenbar an Dynamik. Angesichts der harten wirtschaftlichen Realität zeige sich die in Griechenland Ende Januar gewählte linksradikale Syriza-Partei geläutert und entwickle sich zu einer linksorientierten Volkspartei. Bei den Wahlen in Portugal Anfang Oktober hätten die Populisten nicht punkten können, obwohl das Land nach einer internationalen Rettungsaktion 2011 weitreichende Einschnitte vornehmen musste, heißt es.

„Viele der Katalysatoren, die Europa stabilisieren, sind intakt, doch andere bilden sich allmählich zurück. So haben sich die Ölpreise seit Ende August gefangen. Außerdem meldete die Eurozone Anfang Oktober enttäuschende Daten. Mit Spanien wies ein Musterschüler der Eurozone im August einen Rückgang der Industrieproduktion von 1,4 Prozent gegenüber dem Vormonat aus – noch mehr als die aus Deutschland gemeldeten 1,2 Prozent. In Deutschland gingen auch die Fabrikaufträge im Juli und im August zurück. Nach einem Wachstumsschub, der der Eurozone im zweiten Quartal ein Wachstum von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr ermöglichte, sprechen diese Daten erneut für Widerstände in manchen der großen Volkswirtschaften des Währungsraums. Die jüngste Abschwächung der globalen Konjunktur erfasst Europa offenbar genau in dem Moment, in dem sich die Region aus mehrjähriger Rezession und Starre lösen will. Insbesondere die deutsche Wirtschaft ist stark von China abhängig, ihrem viertgrößten Exportmarkt. Wenig hilfreich ist auch die bei besserer Stimmung für die Eurozone und einem Abflauen der letzten Griechenlandkrise gegenüber einer Reihe von Währungen zugelegt, den US-Dollar eingeschlossen“, so die Franklin-Templeton-Experten.

Doch auch hartnäckig niedrige Inflation trübe Europas Aussichten. Laut Eurostat sei die Gesamtinflation im September wieder ins Minus gerutscht. Die Preise seien 0,1 Prozent niedriger als im Vorjahr gewesen. Ein wichtiges Barometer für die langfristigen Inflationserwartungen des Marktes, die fünfjährige Termin-Breakeven-Inflationsrate in fünf Jahren, die die Erwartungen der Anleger zur Inflationsentwicklung auf lange Sicht angebe, sei Ende September unter 1,6 Prozent gefallen. So niedrige Inflationsraten und -erwartungen lägen trotz des im März eingeleiteten quantitativen Lockerungsprogramms der Europäischen Zentralbank (EZB) vor. Mit diesem habe sich die Zentralbank verpflichtet, für 60 Milliarden Euro im Monat Anlagen (auch Staatsanleihen) zu kaufen, um die Inflation wieder auf ihren Zielwert von knapp unter zwei Prozent einzunorden, heißt es weiter.

„Zumindest bis vor kurzem waren viele Beobachter noch zuversichtlich, dass die Eurozone einen Zyklus mit beständig fallenden Preisen vermeiden kann. Dass die Inflation in Europa zurückgeht, ist niedrigeren Energiekosten geschuldet. Die Inflation ohne Energie erreichte im September einen Jahreswert von 0,9 Prozent (was noch deutlich unter dem EZB-Ziel liegt). Die aus Asien importierte Deflation bleibt eine Gefahr. Der nominale Zuwachs der Stundenlöhne in der Eurozone lag im zweiten Quartal im Jahresvergleich bei mickrigen 1,6 Prozent. Die Arbeitslosenquote blieb im August unverändert bei elf Prozent. Das bedeutet, Lohninflation gibt es nur auf bestimmten Lokalmärkten. Der plötzliche Zustrom an Migranten aus außereuropäischen Ländern in diesem Jahr – insbesondere nach Deutschland, wo Arbeitskräfte gebraucht werden – spricht weiterhin für schwachen Lohndruck“, so die Investmentexperten weiter.

Daher könnte die EZB gezwungen sein, ihr quantitatives Lockerungsprogramm (QE) auszuweiten – vor allem, wenn die Abschwächung in den Schwellenländern die Exporte in der Eurozone weiter so belasteten und der Aufwärtsdruck auf den Euro anhalte. Es gebe zwar kaum schlüssige Belege aus Japan, Großbritannien und den USA, dass QE-Programme die Inflation auf ihr Zielniveau anhöben, doch vielleicht fühle sich die EZB unter Zugzwang, zu handeln, bevor rückläufige Inflationserwartungen zu rauerem Geschäftsklima führten. Eine EZB-Sitzung Ende Oktober habe keine Kursänderung ergeben, doch EZB-Präsident Mario Draghi habe deutlich gemacht, dass die Bank „einsatzbereit“ sei, wenn der Aufschwung in der Eurozone weiter enttäuschend verlaufe, und dass „der Grad der geldpolitischen Lockerung auf unserer geldpolitischen Sitzung im Dezember neu zu prüfen ist“, heißt es weiter.

„Falls, und das erscheint durchaus möglich, die eigenen Wachstums- und Inflationsprojektionen der EZB im Dezember herabgesetzt werden, sind die Voraussetzungen für eine Palette neuer Maßnahmen gegeben: etwa eine Ausweitung des QE-Programms der EZB über sein Verfallsdatum im September 2016 hinaus, aber auch ein höheres Kaufvolumen für Anleihen (derzeit rund 60 Milliarden Euro im Monat), eine breiteres Spektrum an QE-geeigneten Anlagen neben Staatsanleihen und bestimmten Bankdarlehen sowie weitere Senkungen der bereits negativen Einlagenzinsen, die für bei der Zentralbank gehaltenen Bankreserven erhoben werden. Zweifellos radikale Zeiten für die Geldpolitik“, so die Franklin-Templeton-Experten.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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