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12:15 Uhr, 20.06.2022

Gasmarkt: Entspannung nicht in Sicht, Berlin legt Sofortmaßnahmen auf

Die Lage am europäischen Erdgasmarkt wird immer ungemütlicher. Bis letzte Woche waren es nur Erwartungen, dass Moskau dem Westen den Gashahn zudreht. Nun ist die Befürchtung zur Realität geworden.

Die gedrosselten Gas-Lieferungen von Russland nach Deutschland/Europa über die Nord Stream-Pipeline sorgten vergangene Woche für einen satten Anstieg des TTF-Erdgaspreises auf in der Spitze 147 Euro je MWh. Das ist das höchste Niveau seit Beginn des Ukraine-Krieges.

Die Gaslieferungen Russlands über Nord Stream I lagen zuletzt nur noch bei gut 700 GWh pro Tag und damit 60 Prozent niedriger als zu Monatsbeginn. Russland begründet die Drosselung mit den Sanktionen, die die Auslieferung von dringend benötigten Turbinen verhindern würden. Die deutsche Regierung sieht dagegen politische Gründe hinter der Maßnahme des staatliche kontrollierten Energiekonzerns Gazprom.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat den Ernst der Lage erkannt und fahndet nun nach Möglichkeiten, den Gasverbrauch zu deckeln, um die für den Winter dringend benötigte Auffüllung der Speicher in Deutschland nicht zu gefährden.

Im Gespräch sind erste Sofortmaßnahmen, sogar den verstärkten Einsatz der ungeliebten Kohlekraftwerke. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken. Wir müssen und wir werden alles daran setzen, im Sommer und Herbst so viel Gas wie möglich einzuspeichern“, schrieb Habeck in seinem Regierungspapier, das am Wochenende bekannt wurde.

Außerdem soll Industrie-Gas im Sommer über Auktionen erworben werben. Industrielle Gasverbraucher erhalten dabei Anreize, um Gas einzusparen. Senken sie ihren Gasverbrauch, bekommen sie für die Verringerung Mittel, wenn sie das Gas anderen zur Verfügung stellen.„Alles, was wir weniger verbrauchen, hilft“, sagte Habeck. Die Industrie sei dazu ein Schlüsselfaktor.

Im ZDF-"heute journal" zeigte sich der Wirtschaftsminister zuversichtlich, dass die Versorgung für kommenden Winter sichergestellt werden könne. „Entscheidend ist, dass die Gasspeicher zum Winter hin gefüllt sind - und zwar bei 90 Prozent liegen." Derzeit seien es 57 Prozent. Es sei "eine Art Armdrücken", bei dem Kremlchef Wladimir Putin zunächst den längeren Arm habe. „Aber das heißt nicht, dass wir nicht durch Kraftanstrengung den stärkeren Arm bekommen könnten", sagte Habeck.

Aus der Industrie kommt Verständnis und Unterstützung für die Pläne aus Berlin. „Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattstunde zählt", sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm der Deutschen Presse-Agentur. Deutschland müsse zudem möglichst viele andere Quellen auftun. Unternehmen müssten umstellen zum Beispiel auf Öl, wo das gehe. „Aber eine Reihe industrieller Prozesse funktioniert nur mit Gas. Ein Gasmangel droht zum Stillstand von Produktion zu führen“, so Russwurm. Die Gasverstromung müsse gestoppt und es müssten sofort Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden, bekräftigte er. Erneuerbare Energien müssten deutlich beschleunigt werden.

Die aktuellen Füllstände der Speicher in Deutschland liegen bei knapp 57 Prozent. Die Regierung muss sie laut Gesetz zum 1. Oktober mit 80 Prozent und zum 1. November zu 90 Prozent befüllen, um im Winter Engpässe zu vermeiden.

Laut den Analysten der Commerzbank ist am europäischen Gasmarkt eine Entspannung kurzfristig nicht in Sicht. Ein weiterer Anstieg des Gaspreises sei wahrscheinlich.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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