Kommentar
15:50 Uhr, 25.07.2022

"Front-Loading" in der Geldpolitik: Was steckt dahinter?

Notenbanken heben nicht nur die Zinsen an, sie tun es besonders schnell. Was steckt hinter diesem „Front-Loading“ und wieso macht es Sinn?

Im Vergleich zu früheren Zinserhöhungszyklen sind viele Notenbank dieses Mal sehr schnell unterwegs. In den USA stieg der Leitzins innerhalb von vier Monaten um einen Prozentpunkt und wird bis Jahresende wohl um 2,5 bis 3 Prozentpunkte ansteigen. Dieser Anstieg wäre der schnellste seit Jahrzehnten. Im Gegensatz zur Fed war die EZB bisher zurückhaltend. Das änderte sich vergangene Woche schlagartig, als der Markt mit einer Zinserhöhung von 50 Basispunkten überrascht wurde. In der Pressekonferenz wurde das Vorgehen als Front-Loading bezeichnet und auch gleich definiert. Beim Front-Loading werden geplante Zinserhöhungen vorgezogen. Hat eine Notenbank vor, den Leitzins über den gesamten Zyklus z.B. um zwei Prozentpunkte anzuheben, wird ein Großteil der Anhebungen gleich zu Beginn des Zyklus umgesetzt. Das endgültige Niveau des Leitzinses, in diesem Fall eine Erhöhung um zwei Prozentpunkte, ändert sich nicht. Die ersten Zinserhöhungen fallen nur einfach größer aus. In den vergangenen Jahrzehnten verfolgten Notenbanken eine andere Politik. Leitzinsen stiegen, wenn überhaupt, nur sehr behutsam.

Die Fed benötigte vier Jahre, um den Leitzins um 2,25 Prozentpunkte zu erhöhen. Die Bank of England versuchte sich an einer Zinswende in den Jahren 2017 bis 2020 und schaffte gerade einmal zwei Zinsschritte im Gesamtumfang von einem halben Prozentpunkt.

Jetzt ist plötzlich alles ganz anders und es liegt nicht nur an der Inflation. Wenn Notenbanken in diesen Tagen über die Zinspolitik sprechen, werden zwei Dinge miteinander verbunden. Zum einen soll die Inflation bekämpft werden, zum anderen soll ein Soft Landing gelingen. Eine Rezession soll vermieden werden.

Rasche Zinserhöhungen zu Beginn eines Zyklus widersprechen dem auf den ersten Blick. Eine Vollbremsung durch die Zinspolitik und eine weiche Landung passen nicht gut zusammen. Genau davon gehen Notenbanker derzeit jedoch auf. Gerade um ein Soft Landing zu erreichen, müssen die Zinsen zu Beginn schnell ansteigen.

Die Logik ist alles andere als intuitiv. Die Historie scheint aber genau darauf hinzudeuten. Zinserhöhungszyklen, die in einem Soft oder Hard Landing enden, haben gewisse Gemeinsamkeiten. Die Nominalzinsen steigen in beiden Fällen in ähnlichem Umfang. Bei einem Soft Landing ist der Realzinsanstieg jedoch deutlich geringer und auch die Dauer des Zinserhöhungszyklus ist kürzer (Grafik 1).


Kommt es zu einem Soft Landing, lässt sich auch feststellen, dass Notenbanken den Großteil der Zinsschritte zu Beginn des Zyklus durchführten. Genau das ist Front-Loading. Es scheint sich als Idee durchgesetzt zu haben, dass schnelle Zinserhöhungen früh im Zyklus ein Soft Landing begünstigen.

Ob diese Idee Sinn macht, steht auf einem anderen Blatt. Ohnehin ist die Ausgangslage derzeit eine komplizierte. Ob Soft oder Hard Landing, in der Vergangenheit waren die Umstände anders. Die Inflation ist deutlich schneller gestiegen als in anderen Konjunkturzyklen. Ob Inflationsanstieg, Inflation, Wirtschaftswachstum oder unbesetzte Stellen, der aktuelle Zustand ist extrem. Grafik 2 zeigt die Einordnung. So liegt der aktuelle Wert des Inflationsanstiegs bei 100. Relativ zu allen anderen Zyklen ist der aktuelle Anstieg besonders markant.


Umgekehrt ist es bei der Arbeitslosenrate. Diese ist sehr niedrig. Im Vergleich zu anderen Zyklen ist sie sogar extrem niedrig. Die Umstände sind im Vergleich zu anderen Zyklen nicht nur anders, sie sind extrem. Ob da die Front-Loading-Logik, die auf wackeligem Grund steht, die richtige ist, darf bezweifelt werden.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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