Kommentar
17:06 Uhr, 07.10.2019

Ex-Notenbanker warnen vor nie dagewesener Krise

Hochkarätige ehemalige Notenbanker kritisieren die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) scharf. Neben einer "Zombifizierung" europäischer Unternehmen befürchten die Notenbanker auch eine Krise von nie dagewesenem Ausmaß.

Eigentlich ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Notenbanker die Geldpolitik ihrer Nachfolger nicht kritisieren, jedenfalls nicht öffentlich. Doch über dieses Gesetz haben sich jetzt sechs hochkarätige ehemalige Notenbanker aus Deutschland, Frankreich, Österreich und den Niederlanden nun hinweggesetzt. In einem "Memorandum" kritisieren die Notenbanker scharf, dass die EZB weiter an ihrer ultralockeren Geldpolitik festhält.

"Als ehemalige Zentralbanker und als europäische Bürger beobachten wir den anhaltenden Krisenmodus der EZB mit wachsender Sorge", schreiben die hochkarätigen Autoren des Memorandums, zu denen die ehemaligen EZB-Chefvolkswirte Otmar Issing und Jürgen Stark, der ehemalige Bundesbank-Chef Helmut Schlesinger sowie ehemalige Notenbankpräsidenten aus Österreich und den Niederlanden zählen.

Die EZB habe nun für mehrere Jahre eine extrem lockere Geldpolitik verfolgt, trotz Wirtschaftswachstum und Preisstabilität in der Eurozone, heißt es in dem Memorandum. Besonders scharf kritisieren die Autoren auch, dass die EZB nun angesichts einer erneuten Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivität neue Anleihenkäufe angekündigt hat und den Einlagezins weiter in den negativen Bereich gesenkt hat.

Im Einzelnen kritisieren die Autoren die folgenden Punkte:

  • Die EZB habe in den vergangenen Jahren das Inflationsziel von "unter zwei Prozent" umgedeutet in Richtung einer gewünschten Inflation, die möglichst nahe an zwei Prozent liegen müsse. Dies entspreche aber nicht mehr dem 1988 vom EZB-Rat definierten Inflationsziel. Die ultralockere Geldpolitik sei zudem mit der Gefahr einer Deflationsspirale gerechtfertigt worden. "Es bestand jedoch nie die Gefahr einer Deflationsspirale, und die EZB selbst sieht diese Gefahr seit einiger Zeit weniger und weniger. Dies schwächt ihre Logik, eine höhere Inflationsrate anzustreben. Die Geldpolitik der EZB basiert daher auf einer falschen Diagnose. Das häufig verwendete Argument, dass die EZB bei niedrigen Inflationsraten ihr Mandat verletzen würde, ist einfach unzutreffend. Der Vertrag von Maastricht verankert dieses Mandat, wonach das vorrangige Ziel der EZB die Wahrung der Preisstabilität ist."
  • Die neuere Auslegung des Inflationsziels als "symmetrisch" sei eine klare Abweichung von einer Geldpolitik, die auf Preisstabilität ausgerichtet ist. Dies gelte ganz besonders, wenn nach einer längeren Zeit des Unterschreitens des Inflationsziels auch eine längere Zeit des Überschreitens akzeptiert werde. "Und wie gedenkt die EZB im Übrigen nach Jahren erfolgloser 'Inflationspolitik' die Öffentlichkeit und die Märkte davon zu überzeugen, dass es ihr gelingen wird, die Inflation rechtzeitig auf einem bestimmten Niveau zu stoppen?", fragen die Autoren des Memorandums.
  • Es gebe einen breiten Konsens, dass nach Jahren des Quantitative Easings weitere Anleihenkäufe kaum noch positive Auswirkungen auf das Wachstum hätten, heißt es in dem Memorandum. Dies mache die Logik der EZB, neue Anleihenkäufe anzukündigen, wenig verständlich. "Der Verdacht, hinter dieser Maßnahme stehe die Absicht, hochverschuldete Regierungen vor einem Zinsanstieg zu schützen, wird dagegen immer begründeter. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die EZB bereits in das Gebiet der monetären Finanzierung von Staatsausgaben eingetreten, was im Vertrag strengstens verboten ist."
  • Inzwischen überwiegen nach Einschätzung der Autoren des Memorandums die negativen Nebenwirkungen durch sehr niedrige oder negative Zentralbankzinsen. Die sogenannte "Reversal Interest Rate"-Theorie lege sogar nahe, dass ab einem bestimmten Zinsniveau weitere Zinssenkungen die Wirtschaft nicht mehr unterstützen, sondern sogar bremsend wirken. "Die negativen Auswirkungen des Niedrigzinsumfelds erstrecken sich vom Bankensystem über Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds auf den gesamten Finanzsektor." Außerdem gebe es zunehmende soziale Spannungen dadurch, dass die Eigner von Sachvermögen durch die Niedrigzinspolitik gegenüber Gläubigern und dem Rest der Bevölkerung bevorzugt würden. "Die Umverteilungseffekte zugunsten der Eigentümer von Sachwerten führen zu gravierenden sozialen Spannungen. Die jungen Generationen sehen sich der Möglichkeit beraubt, durch sichere festverzinsliche Anlagen für ihr Alter vorzusorgen. Die Suche nach Rendite treibt den Preis von Vermögenswerten künstlich auf ein Niveau, das letztendlich zu einer abrupten Marktkorrektur oder sogar zu einer tiefen Krise führen kann."
  • Durch Kredite zu extrem niedrigen Zinsen würden schwache Banken und schwache Unternehmen, die eigentlich nicht lebensfähig seien, künstlich am Leben gehalten. Dies führe zu einer zunehmenden "Zombifizierung" der Wirtschaft. Vor allem die gezielten längerfristigen Refinanzierungsoperationen (TLTROs) der EZB für die Banken hätten diesen Effekt.
  • Durch ihre Forward Guidance, also ihr Versprechen, für längere Zeit an der ultralockeren Geldpolitik festzuhalten, schreibe die EZB ihre ultralockere Geldpolitik für die Zukunft fort und erschwere einen Ausstieg. "Vor einem Jahrzehnt leistete die Geldpolitik der EZB einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der schweren Rezession und zur anschließenden Konsolidierung des Wachstums. Je länger die EZB jedoch ihren äußerst akkommodierenden Kurs beibehält, desto stärker überwiegen die negativen Auswirkungen. Die Zinssätze haben ihre Steuerungsfunktion verloren und die Risiken für die Finanzstabilität sind gestiegen. Je länger die Tiefst- oder Negativzinspolitik anhält und die Liquiditätsüberschwemmung an den Märkten anhält, desto größer ist die Gefahr eines Rückschlags. Sollte eine große Krise zuschlagen, wird sie eine ganz andere Dimension haben als diejenigen, die wir zuvor gesehen haben." Dadurch gefährde die EZB auch ihre Kontrolle über die Geldschöpfung sowie ihre Unabhängigkeit.

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Die folgenden beiden Screenshots zeigen das Memorandum im Originaltext.

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EZB-Präsident Mario Draghi dürfte die Kritik aber kaum belasten. In einem Interview mit der "Financial Times" zeigte sich Draghi vor kurzem fast schon stolz, dass die EZB die alte Stabilitätspolitik der deutschen Bundesbank, nach deren Vorbild die EZB ursprünglich konzipiert worden war, überwunden habe. "Sie hatten vor 20 bis 50 Jahren eine angesehene Institution, die Bundesbank, mit einer erfolgreichen Geldpolitik - als fast alle anderen auf der Welt einen politischen Fehler nach dem anderen machten. Aber mit dem Euro hatten wir eine neue Welt betreten. Und diese Welt veränderte sich schnell", sagte Draghi in dem Interview.


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52 Kommentare

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  • Gänseblümchen
    Gänseblümchen

    irgendwie kommt man bei GMT zum Thema Biokartoffel leichter zu einer Diskussion als zum Thema Börse - aber vermutlich haben die Jungs heute wieder genauso wenig Ahnung vom Markt wie gestern - traurig, traurig, traurig

    17:37 Uhr, 08.10.2019
  • G3ckOoo
    G3ckOoo

    Ist doch ganz einfach. Seit der Finanzkrise ist das System nicht mehr überlebensfähig und im künstlichen Koma. Durch den 0 Zins werden schlechte Unternehmen am Leben erhalten. Das nennt sich Planwirtschaft. Der gesamte Währungsraum verweigert sich dem Wettbewerb. Gleich Zeit pumpt man Unmenge an Geld ins System. In einer solchen Stagflation performt Gold besser als Aktien. Das ist auch logisch, da trotz steigender Kurse die reale Wirtschaftsleistung gemessen in Gold rückläufig ist.

    14:43 Uhr, 08.10.2019
  • Gänseblümchen
    Gänseblümchen

    an den Nachkommastellen werde ich noch arbeiten - versprochen

    08:59 Uhr, 08.10.2019
    1 Antwort anzeigen
  • benz49
    benz49

    Antwort des Finanzmarktes auf diese Situation: Aktienmärkte steigen, Gold sinkt.

    07:12 Uhr, 08.10.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Goethe63
    Goethe63

    Es kochen alle nur mit Wasser, und ist schon immer gefährlich gewesen, denen zu glauben, oder hinterher zu laufen. die behaupten sie kochen mit Superwasser.

    Da gibt es ganz einfache bewährte Gesetzmässigkeiten, denen nan eher glauben sollte, als den leider zahlreichen Zauberlehrlingen. sehr lesenswert, im übrigen....

    05:59 Uhr, 08.10.2019
  • kingmidas
    kingmidas

    Kein Wunder das für solche wichtige, Niederschmetternden Aussagen kein Platz im Mainstream TV ist. Da erzählen wir den Leuten lieber was wiedermal die Grünen für eine Idee haben oder wo sich Greta Thunfisch gerade tummelt, um ihre Show abzuziehen.

    Traurig das den Kindern heute kein Wissen über Wirtschaft in der Schule beigebracht wird. Stattdessen werden sie indoktriniert von ihren Lehrern die ebenso wenig von Wirtschaft verstehen und stattdessen lieber als Aktivisten die Kinder als ihre Schafsherde nutzen.

    Würde den Kindern in ihrem Schulleben gezielt beigebracht werden welchen Schund die EU und die EZB gerade treiben, würden hunderttausende in Brüssel protestieren anstatt im Wald um paar Bäume zu retten.

    23:55 Uhr, 07.10.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Glattsteller
    Glattsteller

    Der Crash wird dann kommen, wenn niemand mehr den Crashpropheten glaubt.

    23:19 Uhr, 07.10.2019
  • JürgenSK
    JürgenSK

    wenn der nächste Crash kommt,wird Geld auf dem Konto nichts mehr gross nutzen.Deswegen reicht etwas Erspartes,den Rest kann man in die Börsen drücken....

    22:57 Uhr, 07.10.2019
  • JürgenSK
    JürgenSK

    man muss sich schon wundern,dass dieses System überrhauptbis heute überlebt hat.Irgendwann in den nächsten Jahren wird schon der Stecker gezogen werden...https://www.goldseiten.de/arti...

    22:52 Uhr, 07.10.2019
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