Kommentar
08:06 Uhr, 16.08.2016

Es ist wieder da!

In den vergangenen Wochen ist etwas geschehen, das zu Jahresbeginn noch undenkbar erschien: Das blinde Vertrauen in die Zentralbanken ist zurück.

Zu Jahresbeginn, als Anleger über Assetklassen hinweg fast alles bis auf Staatsanleihen liquidierten, sah es kurzfristig so aus, als würde das wichtigste Gut der Zentralbanken verloren gehen: das Vertrauen. Das Vertrauen in die Notenbanken ist im Prinzip gleichzusetzen mit dem Vertrauen in unser Geldsystem. Geht es verloren, dann zerbricht sehr viel mehr als dieses abstrakte Gut.

Wie es den Notenbanken überhaupt möglich war, das Vertrauen zurückzugewinnen, ist unklar. Es lässt sich lediglich beobachten, dass die starke Risikoaversion von Anfang 2016 verschwunden ist. Anleger und Investoren sind wieder bereit, mehr Risiko auf sich zu nehmen. Die Zinsen für Unternehmensanleihen, besonders Hochzinsanleihen, sind stark gefallen.

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Das Renditeniveau von Hochzinsanleihen ist einer der besten Indikatoren für das Ausmaß des Vertrauens in die Wirtschaft. Dieses Vertrauen war zu Jahresbeginn stark beschädigt. Das hieß letztlich auch nichts anderes, als dass der Glaube an die Allmächtigkeit der Notenbanken verloren ging. Bis dahin war der Markt überzeugt, dass es die Notenbanken schon richten würden. Anfang des Jahres war das für einige Wochen nicht mehr der Fall. Das war eine extrem kritische Situation.

Inzwischen hat sich der Ausnahmezustand noch verschärft. Das liegt nicht nur an den im März angekündigten Maßnahmen der Europäischen Zentralbank, sondern auch an den kürzlich beschlossenen Aktionen der Bank of England. Diese ist dankenswerterweise so transparent und macht viele Jahrhunderte an Statistiken frei zugänglich. So lässt sich auf einen Blick erkennen, wie außergewöhnlich der aktuelle Zustand ist.

Grafik 1 zeigt die von der Notenbank aufgezeichneten Zinsen über mehrere Jahrhunderte hinweg. Die Zeit von 1695 bis 1822 war ziemlich unspektakulär. Zinspolitik gab es praktisch nicht. In den darauffolgenden 100 Jahren schwankten die Zinsen im Normalfall zwischen 2 Prozent und 6 Prozent. In Ausnahmefällen gingen die Zinsen auch etwas höher.

Der letzten ganz großen Krise (die globale Wirtschaftsdepression der 1930er-Jahre) wurde mit einem Zinsniveau von 2 Prozent begegnet. Das muss man sich einmal vorstellen: Der Krisenzinssatz lag einmal bei 2 Prozent! Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein. Mit der Senkung auf 0,25 Prozent stellte die Bank of England einen neuen Rekord auf.

Ignoriert man alles andere bis auf das Zinsniveau und nimmt man an, dass die Zinsen ein Maßstab für den Ernst der Lage sind, dann ist die aktuelle Situation so gut wie hoffnungslos. Wir haben ein Niveau erreicht, welches mindestens über einen Zeitraum von 300 Jahren einmalig ist. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten: Die Lage ist aktuell so schlimm wie nie.

Das kann man so natürlich nicht unterschreiben. Derzeit ist die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern niedrig. Mit der Zeit der Großen Depression lässt sich das überhaupt nicht vergleichen. Die Armutsquoten waren extrem hoch. Im Vergleich dazu haben wir heute „blühende Wiesen.“

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Es drängt sich der Verdacht auf, dass nicht die Lage per se so außergewöhnlich schlimm ist, sondern vielmehr nur ein Faktor als historisch bezeichnet werden kann: das Zinsniveau und das Ausmaß des Eingriffs der Notenbanken in den Markt.

Niedrige Zinsen sind keine Erfindung der vergangenen Jahre. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg entschuldeten sich viele Länder durch ultraniedrige Zinsen. Es geschah jedoch auf eine ganz andere Art und Weise. Insbesondere griffen die Notenbanken nicht so exzessiv in den Markt für Staats- und Unternehmensanleihen sowie in den Pfandbriefmarkt ein.
Obwohl die Lage auf den ersten Blick nicht katastrophal ist, veranstalten Notenbanken ein Spektakel, welches man nur für den Katastrophenfall erwartet. Da verwundert es nicht, dass viele Wirtschaftsakteure verunsichert sind und mit der Situation wenig anzufangen wissen. Es besteht fast schon ein Reflex, sich gegen diese einmalige Notenbankpolitik schützen zu wollen.

Einige vermuten ja, dass die Lage sehr viel schlimmer ist, als man auf den ersten Blick erkennt. Es wird von den außergewöhnlichen Maßnahmen abgeleitet, dass die Wirtschaft und das Geldsystem kurz vor dem Kollaps stehen. Persönlich glaube ich das nicht. Die Gnadenfrist mag zwar schon laufen, doch eine solche Frist kann sehr lange – Jahrzehnte – dauern.

Trotzdem: Ein ungutes Gefühl bleibt. Effektiv absichern kann man sich dagegen nicht.

Edelmetalle werden gerne als Absicherung gegen alles nur Erdenkliche gehandelt. Das ist etwas zu kurz gegriffen. Vergleicht man z.B. den Silberpreis mit dem US-Wirtschaftswachstum seit 1870, bot das Edelmetall in Zeiten, in denen die Wirtschaft stark schrumpfte, keinen Schutz.

Edelmetalle sind trotzdem eine gute Idee. Dank der Notenbankpolitik kommt der Kollaps vermutlich nicht in Form von negativem Wachstum und Deflation, sondern in Form eines Inflationsanstiegs. Dagegen schützen Edelmetalle wiederum hervorragend.

Geht das Vertrauen in die Notenbanken verloren, dann geht das Vertrauen in das Geldsystem verloren. Die Folge: eine großangelegte Flucht in Sachwerte und dadurch ein unerwarteter Anstieg der Inflation. Edelmetalle sind dann genau das Richtige.

Clemens Schmale

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3 Kommentare

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  • Mitdenker
    Mitdenker

    Also wer Vertrauen in die Zentralbanken hat, hat sie nicht mehr alle

    10:14 Uhr, 16.08.2016
  • Husky
    Husky

    die Ramsch-Unternehmensanleihen steigen, weil viele gute Unternehmensanleihen dank EZB-Käufen (und BoE hat ja nun auch nachgezogen) keine Rendite mehr abwerfen. Diese Ausweich-Bewegung treibt die Kurse und somit ist es als erzwungenes höheres Risiko für eine bestenfalls gleiche Rendite wie zuvor zu betrachten.

    Als zurückgekehrtes Vertrauen in die ZB würde ich dies nicht interpretieren.

    09:56 Uhr, 16.08.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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