Emerging Markets: Kommt ein „indisches Jahrzehnt“?
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Globaler Überblick: Die Zeichen stehen weitgehend synchron in allen Regionen auf Abschwung. Die zeitweilig stark erhöhte Nachfrage bei Privathaushalten und Unternehmen geht massiv zurück, die restriktivere Geldpolitik der Notenbanken verstärkt diesen Effekt. US-Anleiherenditen und der US-Dollar werden vorerst noch Aufwärtsdruck verspüren. Das wiederum heißt weiter anhaltenden Gegenwind für Aktien, Anleihen und Währungen der Schwellenländer.
Zugleich gibt es Anzeichen für einen signifikant nachlassenden Inflationsdruck in den kommenden Quartalen. Dadurch dürfte die US-Notenbank ihren aggressiven Kurs geldpolitischer Straffungen bis auf Weiteres noch beibehalten und frühestens im 1. Quartal 2023 etwas vom Gas gehen. Sobald sich ein Ende der Zinsanhebungen in den USA abzeichnet, könnten zumindest anfänglich EM-Anleihen (in Hart- und Lokalwährung) sogar stärker profitieren als EM-Aktien.
China: Xi Jinping wurde zum dritten Mal zum Generalsekretär gewählt und hat die innersten Machtzirkel von möglichen Opponenten gesäubert. Das bedeutet einen markanten Bruch. Ob dies die innenpolitische Stabilität erhöht oder untergräbt, werden die kommenden Monate und Jahre zeigen. Die Konjunktur bleibt schwach. Zugleich tickt die demografische Zeitbombe lauter. So wird die Bevölkerung im kommenden Jahrzehnt schrumpfen, nicht wachsen. Das nimmt zwar einerseits tendenziell Druck vom Arbeitsmarkt, ist aber negativ fürs Wirtschaftswachstum und die Immobiliennachfrage. Und der Immobilienmarkt ist derzeit noch immer einer der wichtigsten Faktoren für Wirtschaftswachstum sowie höhere Einkommen der Bevölkerung.
Unterdessen bewegen sich die Lagerbestände der Unternehmen auf Rekordniveaus bzw. knapp darunter. Folge: Es kommt ein disinflationärer (wenn nicht gar deflationärer) Impuls aus China für die Weltwirtschaft. Dieser „Export von Deflation“ trifft auf den „Export von Inflation“ aus den USA. China hat selbst kein Inflationsproblem, braucht in dieser Konstellation aber eine schwächere Währung und muss zugleich verhindern, dass eine massive Kapitalflucht erfolgt. Der Yuan hat folgerichtig zuletzt stark nachgegeben.
Indien: Die Volkswirtschaft gehört weiterhin zu den robusteren und widerstandsfähigeren in der Welt, doch auch für Indien gehen die Wachstumsprognosen für das laufende Fiskaljahr 2022/23 stetig nach unten. Mit real 6 bis 7 % liegen sie allerdings weiterhin höher als für die meisten anderen großen Volkswirtschaften und auch jener Chinas. Generell könnte das kommende Jahrzehnt im Zeichen Indiens stehen, das gute Chance hat, gegenüber China markant aufzuholen. Dafür wird es aber auch weitere Reformen und massive Infrastrukturinvestitionen benötigen.
Brasilien: Lula gewinnt knapp die Präsidentschaftswahl, regiert künftig ein tief gespaltenes Land und hat eine rechte Parlamentsmehrheit gegen sich. Auch die wirtschaftlichen Herausforderungen sind beachtlich: massive soziale Probleme, ein sehr enger Finanzspielraum des Staates durch eine hohe Schuldenlast, Inflation, Sanierung der überaus prekären Staatsfinanzen, um nur einige zu nennen. Wie Lula diese Themen angehen wird, ist derzeit noch weitgehend unklar.
Russland: Die Wirtschaft leidet unter Krieg und Sanktionen weniger stark als zunächst von vielen erwartet. Dabei gehen die Prognosen stark auseinander. Für den Moment deuten die harten Daten auf eine Stabilisierung und fortgesetzte Widerstandsfähigkeit. Gut möglich, dass die recht hastig und panisch anmutenden Maßnahmen gegen Russland eher die globalen Ölmärkte aus der Bahn werfen werden als die Volkswirtschaft Putins. Unterdessen hat Russland Teile der Ukraine annektiert und zusätzliche 300.000 Soldaten mobilisiert. Ein rasches Kriegsende ist weiterhin nicht in Sicht und eine Ausweitung des Krieges bis hin zu unkontrollierten Eskalationen bleibt eine akute Gefahr.
Türkei: Das Land ist von einer galoppierenden Inflation (die offizielle Rate erreichte zuletzt 83 % p.a. und damit den höchsten Stand seit 24 Jahren) und einer zunehmend fragilen Volkswirtschaft im Inland betroffen (gut ausgebildete, junge Arbeitskräfte verlassen das Land, bis April 2023 muss der Staat rund 180 Milliarden US-Dollar zurückzahlen), aber rückt zunehmend in eine stärkere geopolitische Position. Russland und die Türkei vereinbarten, die Türkei zu einer zentralen Schnittstelle für Erdgaslieferungen zu machen. Auch die geplante Gaspipeline von Israel/Libanon nach Europa als Alternative bzw. als Ergänzung zu russischem Gas wird wohl über die Türkei führen. Es ist zu erwarten, dass Präsident Erdogan mit dieser wachsenden geopolitischen Stärke der Türkei massiv Wahlkampf machen wird. Ob das für eine Wiederwahl im Frühjahr 2023 reichen wird, bleibt abzuwarten und scheint aktuell eher unwahrscheinlich.
CE3 (Polen, Tschechien, Ungarn): Die Inflation in den CE3- Staaten steigt noch immer. In Polen hat die Inflation zuletzt fast 18 % p.a. erreicht, trotz aller Bemühungen der Notenbank, sie einzudämmen. Noch schlechter sieht es in Ungarn aus, wo die Teuerung trotz sehr aggressiver Zinsanhebungen der Notenbank sogar die 20 %-Marke überschritten hat. Tschechiens Wirtschaft schrumpft und der Ausblick für das 4. Quartal 2022 ist wenig ermutigend. Technisch würde Tschechien damit als eines der ersten Länder in der EU in eine Rezession rutschen. Was die Konjunktur angeht, so zeigt sie in den Ländern zunehmende Ermüdungsanzeichen.
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