Kommentar
12:20 Uhr, 02.07.2014

Die Weltwirtschaftserholung rund um den Globus bleibt auf Kurs

«Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.» Diese weisen Worte des dänischen Physikers und Nobelpreisträgers Niels Bohr mahnen uns, zur Jahresmitte unsere Szenarien zu überprüfen. Sind unsere Prognosen von November 2013 in den letzten Quartalen eingetroffen, und bleiben sie auf absehbare Zeit gültig? Das Fazit lautet: Unsere zentrale Annahme einer breiten Konjunkturerholung hat sich bestätigt. Wir sehen keinen Grund, von unserer Übergewichtung risikoreicher Anlagen abzurücken, raten den Anlegern aber zu einer partiellen Absicherung ihres Portfolios. Diese ist derzeit günstig zu haben.

Es ist manchmal ernüchternd, aber immer lohnend, Prognosen mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Im Großen und Ganzen erholt sich die Weltwirtschaft weiter, wenn auch langsamer und holpriger als ursprünglich von uns erwartet. Gleichzeitig hat sich die Chance auf einen breit gefassten Aufschwung erhöht. Wir haben daher die Wahrscheinlichkeiten unserer drei Konjunkturszenarien nur marginal revidiert. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent dominiert das Szenario «synchroner Aufschwung» nach wie vor. Deutlich weniger ins Gewicht fallen die Szenarien «Rückfall in die Stagnation» und «Inflationsängste kommen auf».

Die USA erholen sich von der Kälteperiode

Im ersten Halbjahr 2014 war das Bild uneinheitlich. Das schwache erste Quartal in den USA und die Konjunktureintrübung in den Schwellenländern belasteten die Weltwirtschaft. In der Eurozone und in Japan entsprach die Entwicklung dagegen den Erwartungen, und die britische Wirtschaft überraschte positiv. Was erwarten wir für die zweite Jahreshälfte? Unserer Meinung nach sind die Aussichten recht gut (siehe Grafik 1): Die schwachen USZahlen im ersten Quartal waren wohl nur ein wetterbedingter Ausrutscher, und in den Schwellenländern macht sich die Abwertung der Landeswährungen mit einer Verzögerung positiv bemerkbar. Zudem können sich viele Nationen einfacher finanzieren. In China schlagen sich die Maßnahmen, mit denen die Bremswirkung des lahmenden Immobilienmarkts ausgeglichen werden soll, allmählich in besseren Konjunkturdaten nieder.

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Was werden die Notenbanken tun?

Im ersten Halbjahr lagen die Inflationsraten in allen Industrieländern – zumindest bis vor kurzem – unter den Erwartungen. Das ermöglichte den wichtigsten Notenbanken, weiter einer lockeren Geldpolitik das Wort zu reden. Es war die Europäische Zentralbank (EZB), die den Worten Taten folgen ließ. Anfang Juni überraschte sie die Märkte mit einer Reihe von unkonventionellen Maßnahmen, die das Deflationsrisiko verringern und die Kreditvergabe in der Eurozone ankurbeln sollen. Die Entscheidung der Währungshüter fiel einstimmig. Offenbar gelingt es EZB-Präsident Mario Draghi, die Deutsche Bundesbank – von jeher ein Bollwerk gegen alle inflationstreibenden Maßnahmen – ins Boot zu holen.

Doch die Notenbanken werden nicht ewig Liquidität in die Märkte pumpen (siehe Grafik 2). Die US-Notenbank Fed dürfte ihre Wertpapierkäufe («Quantitative Easing», QE) im Herbst beenden. Dies wird einen Wendepunkt in der amerikanischen Geldpolitik darstellen, auch wenn der Leitzins möglicherweise noch eine ganze Weile nahe bei null belassen wird. Tatsächlich hat der S&P 500 Index seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 nur in den QE-Phasen zugelegt. Und da die Notenbanken irgendwann die Geldschleusen schließen werden, kann man mit Recht sagen, dass Kurszuwächse an den Aktienmärkten künftig über steigende Unternehmensgewinne verdient werden müssen.

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Die Risiken: Zinserhöhungen und Ölpreissprünge

Was könnte die von uns erwartete breite Konjunkturerholung zunichtemachen und uns folglich zu einer Änderung der Szenarien bewegen? Hauptsächlich zwei Risiken: Erstens könnte eine Blasenbildung an den Finanzmärkten einen Eingriff der um finanzielle Stabilität besorgten Notenbanken provozieren. Das ist jedoch nicht unsere Hauptsorge. Die Fed- Vorsitzende Janet Yellen erklärte vor kurzem erneut, dass ihr die Bewertungen über alle Anlageklassen hinweg nicht überzogen erscheinen. Lediglich eine «Suche nach Rendite» sei feststellbar. Für die EZB und die Bank of Japan sind in die Höhe schießende Wertschriftenkurse kein Thema – ganz im Gegenteil. Nur der Bank of England bereitet der überhitzte Londoner Immobilienmarkt allmählich Sorgen. Das zweite Risiko betrifft die ungelösten Krisen in der Ukraine und im Irak. Höhere Ölpreise infolge anhaltender Gewalt im Zweistromland könnten die Konjunkturerholung auf breiter Front abbremsen.

Portfolio teilweise gegen Marktkorrektur absichern

Das aktuelle Umfeld – extrem lockere Geldpolitik, moderates Wirtschaftswachstum und ordentliche Unternehmensgewinne – ist für die Finanzmärkte trotz der Gefahr eines Überschießens günstig. Die «Normalisierung» der Geldpolitik – wie auch immer sie ablaufen mag – hat für Staatsanleihen und viele Unternehmensanleihen zweifellos bescheidene Ertragsaussichten zur Folge. Erste Anzeichen von Überschwang – diesen Begriff verwendete der frühere Fed-Vorsitzende Alan Greenspan, um vor einer Blasenbildung an den Märkten zu warnen – sind bereits erkennbar. So dreht sich das Fusions- und Übernahmekarussell auf Hochtouren und es werden Hochzinsanleihen mit verringertem Gläubigerschutz begeben. Dennoch sind die Anleger noch nicht vom «Goldlöckchen»-Szenario – einer Konjunkturerholung bei niedrigen Zinsen – überzeugt und die Stimmung ist (noch) nicht so euphorisch, wie dies für ein historisches Markthoch typisch ist.

Vorerst sehen wir keinen Grund, von unserer «Übergewichtung» risikoreicher Anlagen, insbesondere von Aktien, abzurücken. Dabei achten wir auf die Bewertungen und auf Wendepunkte in der Geldpolitik. Wir empfehlen Anlegern jedoch, ihr Portfolio teilweise gegen eine Korrektur der Aktienmärkte abzusichern. Dank der rekordtiefen Volatilität ist ein solcher Schutz derzeit preislich sehr attraktiv.

Autor: Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel

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