Kommentar
08:17 Uhr, 11.07.2012

Die wahre Manipulation des Zinses

Die Diskussion um die Manipulation der Zinsen im Interbankenhandel hat etwas Bizarres an sich. Natürlich ist es nicht in Ordnung, was da von einigen Großbanken veranstaltet wurde - und es passt vortrefflich in das Bild des gierigen Bankers, das Politiker und einige Medien so gerne pflegen.

Aber die Machenschaften beim Libor sind ein Fliegenschiss im Vergleich zur größten Zinsmanipulation, die die Welt je gesehen hat. Diese passiert vor unser aller Augen. Sie dauert bereits seit Jahren an, ein Ende ist nicht abzusehen. Und dabei sind nicht die Banken die treibende Kraft. Sie ist vielmehr das Werk von Politikern und Notenbankern - also genau derjenigen, die sich besonders laut über die LIBOR-Manipulationen echauffieren.

Der Zins ist eine der wichtigsten Größen einer Volkswirtschaft. Er hängt gewissermaßen wie ein Preisschild an jeder Form der Geldanlage und gibt Auskunft über deren vermeintliches oder tatsächliches Risiko. Umso dramatischer ist es, dass dieser Zins seit Jahren an etlichen Stellen des Finanzsystems verfälscht und manipuliert wird.

Sicher, es gehört zur Aufgabe der Notenbanken, die Zinsen bei kurzen Laufzeiten zu bestimmen oder zumindest mitzubestimmen. Sie sind die Herren des Leitzinses. Man kann darüber streiten, ob sie das in der Vergangenheit gut oder weniger gut gemacht haben. Seit einigen Jahren jedoch greifen die Notenbanken (und andere staatliche Vehikel) immer stärker in die langen Laufzeiten und in Renditen weniger bonitätsstarker Schuldner ein und verfälschen damit die Preissignale, die der Markt sendet.

Beispiele gefällig? Erstens die Käufe toxischer Immobilienpapiere in den USA zur Stützung des Finanzsektor durch die FED. Zweitens die Käufe von Anleihen der europäischen Krisenländer durch EZB und die Rettungsschirme. Drittens wilde Kauforgien heimischer Staatsanleihen durch die Notenbanken in den USA, Großbritannien und Japan. Auch bei den Leitzinsen kann man durchaus von einer Verzerrung sprechen. Wenn die Bank of England den Leitzins bei einem halben Prozent hält obwohl gleichzeitig die Preise um drei oder vier Prozent steigen, dann ist das eine Verzerrung und eine Verhöhnung der ursprünglichen Aufgabe einer Notenbank: die Stabilität des Geldes zu sichern.

Ein ganz besonders anschauliches Beispiel der Marktmanipulation ist das, was uns die Federal Reserve als "Operation Twist" verkauft. Die amerikanische Notenbank verkauft Staatsanleihen aus ihrem Besitz, sobald diese in die Nähe der Fälligkeit kommen. Gleichzeitig kauft sie Anleihen mit längerer Laufzeit. Sie manipuliert also damit die Zinsstrukturkurve. Sie wird durch das Eingreifen der Fed flacher als sie eigentlich wäre. Lange Laufzeiten signalisieren ein geringeres Risiko als sie dies ohne den Einfluss der Notenbank tun würden.

Hinter diesen Manipulationen des Zinses steckt in vielen Fällen das Ziel der finanziellen Repression: der bewussten Enteignung von Sparer zugunsten eines überschuldeten Staates. Indem Zinsen deutlich unter die Inflationsrate geschleust werden, erleiden Sparer einen realen Verlust. Die Hoffnung, die dahinter steckt, ist, dass die Schulden von Regierungen und Banken „weginflationiert“ werden können.

Dass dies kaum funktionieren kann, habe ich in meinem Buch "Wirtschaftliche Selbstverteidigung" beschrieben. Viele Kosten des Staates sind inflationsindexiert, das bedeutet, dass sie steigen, wenn die Inflation steigt. Das gilt für Renten- und Pensionszahlungen, für Gehälter im öffentlichen Dienst und teilweise für Ausgaben im Gesundheitsbereich.

Außerdem wird die Einnahmenseite des Staates geschädigt. Historische Zahlen zeigen, dass durch starke Inflation die realen Löhne massiv sinken. Die Bürger zahlen weniger Steuern und Abgaben – und die Verarmung nimmt zu. Das bedeutet geringere Einnahmen und höhere Kosten für den Staat. Schulden durch Inflation zu beseitigen ist in etwa so wirkungsvoll, wie sich aus Schulden herauszusparen. Es verläuft geräuschloser, weil der größte Teil der Bevölkerung es kaum bemerkt. Das Ziel, die Schulden zu senken, wird jedoch genauso wenig erreicht – zu besichtigen derzeit in den Straßen von Athen, Madrid und Lissabon.

Über den Autor:

Roland Klausarbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und ist aktiver Investor. Für n-tv, N24 und den amerikanischen Finanzsender CNBC berichtete er von der Frankfurter Börse. In seinem Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“ analysiert er die Schuldenkrise und liefert konkrete Ratschläge, wie man sich vor den entstehenden Risiken schützen kann. Sie erreichen Ihn unter www.wirtschaftliche-selbstverteidigung.de

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