Kommentar
09:55 Uhr, 08.10.2021

Die Stagflation ist da!

Stagflation ist für Notenbanken ein Horrorszenario. Im Gegensatz zu allen anderen Szenarien können sie während einer Stagflation nur falsch handeln.

Im Normalfall ist die Aufgabe der Notenbank einfach. Befindet sich die Wirtschaft in einem Abschwung, wird die Geldpolitik gelockert. Droht die Wirtschaft heiß zulaufen, wird die Geldpolitik restriktiver. Der Normalfall ist relativ einfach zu handhaben, weil alles in Einklang ist. Ein Abschwung bedingt höhere Arbeitslosigkeit und niedrige Inflation. Es ist vollkommen klar, dass da die Zinsen gesenkt werden oder Wertpapierkäufe gestartet werden. Im umgekehrten Fall ist es ebenso klar. Bei Hochkonjunktur ist die Arbeitslosigkeit niedrig und die Inflation steigt. Notenbanken können sich auf die Inflationsbekämpfung konzentrieren. Aktuell gibt es keinen Normalfall, sondern einen Sonderfall. Es ist der Alptraum eines jeden Notenbankers. Die Wirtschaft kühlt sich ab, doch die Inflation steigt. In einem Wort beschrieben handelt es sich um Stagflation.

Viele halten Stagflation für einen Unsinn, vor allem im Moment. Die Wirtschaft boomt doch angeblich. Das Wirtschaftswachstum ist hoch. Genauer gesagt, es war hoch. Das Wachstumstempo verlangsamt sich derzeit rasant. Kaum etwas bringt das Problem so auf den Punkt wie der Vergleich des Auftragseingangs der Industrie und der Preisentwicklung (Grafik 1).


Die Auftragsbücher der Unternehmen haben sich nach der Krise schnell gefüllt. Das Wachstum des Auftragseingangs geht inzwischen wieder deutlich zurück. Das gilt nicht nur für die USA, sondern für alle Länder gleichermaßen. Das Problem ist außerhalb der USA sogar noch größer. Gleichzeitig müssen Unternehmen immer höhere Preise für den Input zahlen. Das ist die Definition von Stagflation.

Die Frage ist nicht, ob das Wirtschaftswachstum zu stagnieren beginnt, sondern ob die Inflation hoch bleibt. Lieferengpässe deuten daraufhin. Länder werden unterschiedlich stark betroffen sein. In Großbritannien ist das Problem derzeit besonders groß. Selbst die Güter, die es gibt, schaffen es nicht mehr in die Regale. Es fehlt an LKW-Fahrern. Regale bleiben leer und Tankstellen müssen schließen. Unter diesen Voraussetzungen kann man kein Wachstum erwarten.

Großbritannien ist ein Extremfall. Das Prinzip gilt jedoch auch in Deutschland oder den USA. Wenn Preise und Auftragseingänge wie jetzt divergieren, gab es in der Vergangenheit nur zwei Varianten. Entweder kam es zur Stagflation wie in den 70er Jahren oder zu einer kurzen Rezession (Grafik 2).


In beiden Fällen haben Notenbank schwere Entscheidungen zu treffen. Sie müssen wählen. Entweder bekämpfen sie die Inflation oder sie stützen die Wirtschaft. Beides gleichzeitig geht nicht.

Anleger bilden sich gerade eine Meinung darüber, was Notenbanken tun werden. In den USA erwartet niemand, dass die Notenbank als Reaktion die Zinsen rasch anheben wird. Bis Februar 2023 traut man der Notenbank nur einen Zinsschritt zu (Grafik 3). Noch vor wenigen Tagen waren es fast zwei Zinsschritte, die man der Fed zutraute. Da nun jedoch langsam die Erkenntnis reift, dass die sich die Wirtschaft abkühlt, erwarten Anleger länger anhaltende tiefe Zinsen. Die Fed dürfte sich zugunsten der Wirtschaft entscheiden.


In Großbritannien könnte es anders sein. Die Bank of England liebäugelt mit einem Zinsschritt Anfang 2022. Sollte die Inflation nicht auf wundersame Weise plötzlich rückläufig sein, wird die Notenbankpolitik global bis Ende 2022 stark divergieren. Aktien hilft dies selten.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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