Fundamentale Nachricht
10:21 Uhr, 23.02.2016

„Die Märkte sind bisweilen einfach verrückt“

Die neuartige Kopplung von Ölpreis und Aktienkursen zeigt nach Meinung von Didier Le Menestrel, Chairman von La Financière de l’Echiquier, die Fehleinschätzung der Märkte.

Erwähnte Instrumente

  • WTI Öl
    ISIN: XC0007924514Kopiert
    Kursstand: 32,84 $/Barrel (Deutsche Bank Indikation) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Paris (GodmodeTRader.de) – Vor nicht allzu langer Zeit, als der Barrelpreis für Erdöl bei 140 US-Dollar lag, kostete ein Liter Öl so viel wie eine Flasche des französischen Mineralwassers Perrier. Aufgrund des Preissturzes bei Öl auf unter 30 US-Dollar in Verbindung mit einem stabil gebliebenen Mineralwasserpreis haben wir heute eine überraschende Situation: Der Sprudel ist jetzt fünfmal teurer als Öl, wie Didier Le Menestrel, Chairman von La Financière de l’Echiquier, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Diese amüsante Feststellung, die von einem großen Brokerhaus veröffentlicht worden sei, dürfte die Arbitrageure nicht weiter stören, denn der Liter Perrier sei nicht an der Börse notiert. Auffälliger sei hingegen – nicht nur für die Arbitrageure, sondern für die Finanzwelt insgesamt – die in letzter Zeit zu beobachtende Korrelation zwischen den Aktienkursen und dem Rohölpreis. Am 20. Januar beispielsweise, habe sich der Rückgang der Terminkontrakte auf Erdöl beschleunigt und infolgedessen habe der Dow Jones mehr als vier Prozent eingebüßt. Als der Ölpreis abends wieder angezogen sei, hätten sich die Aktienkurse unmittelbar danach erholt. Diese in ihrem Ausmaß außergewöhnliche Börsensitzung veranschauliche ein neues Phänomen: Seit Jahresbeginn sei der Ölpreis zur erklärenden Variablen der Aktienkurse geworden, heißt es.

Auf lange Sicht sei die Korrelation zwischen Ölpreis und Aktienkursen allerdings sehr gering. Warum also diese neuartige Kopplung? Und vor allem: Warum werde der Ölpreisrückgang, der ursprünglich als unterstützender Faktor für den Konsum und somit für das Wachstum galt, nunmehr als ein negativer Faktor für unsere Aktienmärkte gewertet, fragt Le Menestrel.

„Es ist nachvollziehbar, dass die Heftigkeit des Ölpreisrückgangs sehr negative Auswirkungen auf die Ölindustrie und die Erzeugerländer hat. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt einen jährlichen Umsatzrückgang von 2400 Milliarden US-Dollar für Erdölproduzenten und von 400 Milliarden US-Dollar für Kohleproduzenten. Der amerikanische Energiesektor steht unter Druck: 73 Prozent der US-Unternehmen haben mittlerweile ein Rating auf Junk-Bond-Niveau. Das Schieferöl-Abenteuer, in das so viel Hoffnung gesetzt wurde, wird zu einem schmerzlichen Verlustgeschäft: 60 Prozent der Kapazitäten wurden innerhalb eines Jahres geschlossen. Um bei schwindelerregenden Zahlen zu bleiben: Die Marktkapitalisierung der zehn größten weltweit tätigen Unternehmen des Erdöl- und Erdgassektors ist im Vergleich zu den Kursen von Ende 2014 um 750 Milliarden zurückgegangen“, so der Finanzexperte.

Doch das Leid der Produzenten sei die Freude der Importeure. Für China, das täglich 7,5 Millionen Barrel verbrauche, entspreche ein Ölpreisrückgang um zehn Prozent einem zusätzlichen Wachstum von 0,3 Prozent. Gleiches gelte für Indien (0,5 Prozent) oder Indonesien (0,3 Prozent). Schließlich räumten selbst die pessimistischsten Ökonomen ein, dass der Nettoeffekt billigen Öls insgesamt positiv für das Wachstum der Weltwirtschaft sei, da die Nutznießer solcher Rahmenbedingungen zahlreicher seien als die Leidtragenden. Was also sähen die Märkte, was die Wirtschaftsexperten übersehen hätten? In Wirklichkeit sähen sie nichts; sie erinnerten sich mit Sorge daran, dass im Jahr 2008 nur ein einziger Sektor (der Immobiliensektor) genügt habe, um den Großbanken die Bilanzen zu verhageln und das weltweite Wachstum aus dem Takt zu bringen. Die Verschuldung des Erdölsektors und die bevorstehenden Ausfälle weckten Erinnerungen an die Situation vor der Subprime-Krise. Hinter den stillgelegten Bohrtürmen könnte die Rezession lauern, heißt es weiter.

„Mit dieser Einschätzung begehen die Märkte allerdings zwei Fehler. Der erste ist ein Maßstabsfehler: Auf Immobilienanlagen entfielen im Jahr 2007 etwa 6,5 Prozent des amerikanischen BIP, während Anlagen im Erdölsektor heute nur 0,5 Prozent ausmachen. Zudem entsprach die Verschuldung in Zusammenhang mit dem Immobiliensektor damals 70 Prozent des BIP, während die des Erdölsektors heute nur drei Prozent ausmacht. Die zweite Annahme ist eine Fehleinschätzung des Wirkungskreises. Die Subprime-Krise war auch deswegen so verheerend, weil die schlechten Schulden sich über strukturierte Produkte in fast allen Händen fanden. Beim Erdöl gibt es nichts Vergleichbares. Die Ansteckungsgefahr ist hier unendlich geringer. Die Märkte haben gute Gründe, nervös zu sein. Aber wenn sich ihr Rückgang an dem des Ölpreises ausrichtet und der Preis von Brent-Rohöl ihr Leitstern wird, werden wir Chancen nutzen können, indem wir uns daran erinnern, dass die Märkte bisweilen einfach verrückt sind“, so Le Menestrel.

Passende Produkte

WKN Long/Short KO Hebel Laufzeit Bid Ask
Keine Ergebnisse gefunden
Zur Produktsuche

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

Mehr Experten