Kommentar
14:05 Uhr, 26.07.2017

Die drei "Ps" des Herrn Draghi

in der nachrichtenarmen Sommerzeit dreht sich alles um die Notenbanken. Machen sie wirklich alles richtig?

  • Aus heutiger Perspektive macht die Strategie der Europäischen Zentralbank Sinn, die Wertpapierkäufe nicht zu schnell auslaufen zu lassen.
  • Auf längere Sicht ist es aber problematisch: Die geldpolitische Normalisierung würde, wie es jetzt aussieht, wenigstens bis zum Jahr 2024 dauern. Das ist zu lange.
  • Richten Sie sich darauf ein, dass die Geldpolitik in Zukunft einen Zahn zulegen muss. Dann wird es früher oder später zu Irritationen an den Märkten kommen.


Die drei "Ps" von Mario Draghi könnten in die Geschichte eingehen. Es sind die Eigenschaften Persistence, Prudence und Patience (Beharrlichkeit, Vorsicht und Geduld). Die Europäische Zentralbank nannte sie als die Maximen, an denen sie sich beim Exit aus der ultralockeren Geldpolitik orientieren will. Sie will ihre Ziele beharrlich verfolgen, sie will dabei vorsichtig vorgehen und sie will geduldig sein. Das ist Notenbank-Philosophie "at its best". Lieber etwas mehr Zeit nehmen, als die Volkswirtschaft unnötigen Risiken aussetzen.

Es gibt derzeit vor allem in Deutschland eine heftige Diskussion über die Politik der EZB. Aus aktueller Sicht halte ich Draghis Kurs für richtig. Es macht keinen Sinn, die Märkte jetzt unnötig zu beunruhigen. Aber längerfristig? Hier möchte ich Zweifel anmelden. Es könnte sein, dass sich die Ruhe, die die EZB derzeit in die Märkte bringen will, auf lange Sicht als Fehler erweist.

Ich habe mir dazu einmal vergleichbare Phasen geldpolitischer Normalisierung in früheren Zeiten angeschaut. Da es in Europa noch nicht so viele Beispiele gibt, habe ich auf amerikanische Erfahrungen zurückgegriffen. In den letzten 30 Jahren gab es zwei vergleichbare Fälle. Sie verliefen durchaus nach unterschiedlichen Regeln (siehe Grafik).


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Quelle: Fred

Die erste Phase war der Zinsanstieg Anfang der 90er Jahre. Damals erhöhte die Federal Reserve die Zinsen in gut eineinhalb Jahren von 3 % auf 6 %. Das war eine Rosskur für Wirtschaft und Finanzmärkte. Sie führte zu erheblichen Turbulenzen. Heute würden wir sagen, das war nicht gut.

In der zweiten Phase wurden die Zinsen noch stärker erhöht, nämlich von 1 % auf 5 %. Die Federal Reserve ging mit gleichem Tempo vor. Dabei hat sie ihre Politik aber wesentlich besser erklärt. Das hat sich ausgezahlt. Die Finanzmärkte reagierten außerordentlich gelassen. Aus heutiger Sicht war das eine gelungene Aktion, an der man sich diesmal durchaus orientieren könnte.


»So lange kann sich die Wirtschaftspolitik nicht aus der stabilitätspolitischen Verantwortung verabschieden.«


Die Federal Reserve tut das aber nicht. Sie geht viel, viel langsamer und vorsichtiger vor. Vor vier Jahren hat sie angekündigt, dass sie aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen will. Jetzt sind zwar die Wertpapierkäufe beendet. Die Bilanz der Federal Reserve ist aber immer noch voll von Wertpapieren, die sie früher gekauft hat. Die Leitzinsen sind immer noch nicht höher als 1 %.

Eigentlich hat die US-Notenbank bisher kaum mehr als die Hälfte der Normalisierung erreicht. Wenn sie in diesem Tempo weitermacht, wird sie erst 2020 mit der Aktion fertig sein. Dabei unterstelle ich, dass sie die Leitzinsen nicht auf frühere Niveaus anhebt, sondern sich mit einem Leitzinsniveau von 3 % zufrieden gibt. Wenn nicht, dauert es noch länger.

Die EZB hat mit dem Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik bisher überhaupt noch nicht begonnen. Aber bei ihr muss man mit einer ähnlichen zeitlichen Perspektive rechnen. 2018 wird sie wohl die Neukäufe von Wertpapieren beenden. 2019 wird sie mit Zinserhöhungen beginnen. Wenn man drei Erhöhungen pro Jahr ansetzt, dann wird sie dafür bis zum Jahr 2022 brauchen. Wenn sie dann mit dem Verkauf von Wertpapieren anfängt, muss man vermutlich noch einmal mit zwei bis drei Jahren rechnen. Mit anderen Worten: Wenn die EZB Ende des Jahres mit dem Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik beginnt, wird sie wohl bis 2024 oder 2025 brauchen, um das zu beenden.

Diese Perspektive hat mich erschreckt. Noch acht Jahre, bis wir wieder normale monetäre Verhältnisse haben? Nun kann man sagen, dass wir auch aus einer der schlimmsten Krisen der letzten hundert Jahre kommen. Auch nach der Weltwirtschaftskrise dauerte es lange, bis wieder normale Verhältnisse herrschten. Besser, es dauert etwas länger und geht ohne Verwerfungen an den Märkten ab, als schneller, dafür aber mit mehr Turbulenzen.

Andererseits muss man aber auch die Probleme sehen. Das ist erstens die Unsicherheit auf den Finanzmärkten im Hinblick auf die steigenden Zinsen. Anleger werden noch sehr lange Zeit vorsichtig sein müssen mit Investitionen in längerfristige Bonds. In der Realwirtschaft steigen die Schulden und vernünftige Investitionsrechnungen sind schier unmöglich.

Ein zweites Problem ist die beschränkte Handlungsfähigkeit der Zentralbanken. Was ist, wenn es in der Zwischenzeit eine Rezession gibt? Die Zentralbank kann dann nur darauf reagieren, indem sie die geplante Normalisierung der Zinsen und der Liquidität noch weiter hinausschiebt. Das ist relativ wenig. Dies insbesondere in einer Zeit, in der die Fiskalpolitik durch eine hohe (und bei steigenden Zinsen noch wachsende) Staatsverschuldung gehandicapt ist. Mit anderen Worten: Die Wirtschafts- und Währungspolitik steht bei wirtschaftlichen Krisen (die in den nächsten acht Jahren mit Sicherheit kommen werden) mit leeren Händen da. Ich halte das nicht für vertretbar. So lange kann sich die Wirtschaftspolitik nicht aus der stabilitätspolitischen Verantwortung verabschieden.


Für den Anleger

Die Märkte sind nach der Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank in der letzten Woche verunsichert. Sie wissen nicht, ob sie mit einer schnelleren oder mit einer langsameren Gangart der geldpolitischen Normalisierung rechnen müssen. Ich vermute, dass es aus den genannten Gründen zunächst noch langsam, dann aber eher schneller gehen wird. Die EZB braucht "Munition" zur Bekämpfung künftiger Rezessionen. Das kann aber zur Irritationen an den Märkten und zu Spannungen in der Währungsunion führen.

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

3 Kommentare

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  • JürgenSK
    JürgenSK

    Ich glaube mal nicht, dass dies 2024 noch ein Thema ist, da haben wir ganz andere Probleme....ich glaube dann gibt es keinen Euro mehr und von Deutschland wird anhand der Verpflichtungen nicht mehr viel übrig sein...

    22:39 Uhr, 26.07.2017
  • Kahroba
    Kahroba

    Wenn man die Entwicklung der Wirtschaft und Leitzinsen besonderes bei Amerikaner anschaut, sieht man dass die Zinsen eigentlich (Copyright Robert Halver) finanzielle Massenvernichtungswaffen waren. Die Krisen sind nach Meinung von Halver eigentlich durch zu schnelle zu hohe Zinserhöhungen gekommen als durch (durchaus reale problematische Hintergründe der) Weltwirtschaft. Wenn wir die Immobilien Krise der USA 2007 als Beispiel nehmen, wäre es zu einem Problem überhaupt gekommen wenn Bernanke die Zinsen nicht so brachial auf 5% erhöht hätte? oder 2001 als Greenspann auf die unglaublich 11% erhöht hätte?

    Jetzt stelle ich mir die Frage, wozu braucht man "Munition zur Bekämpfung künftiger Rezessionen" wenn die Munition selbst das Problem ist??

    17:14 Uhr, 26.07.2017
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