Kommentar
15:50 Uhr, 07.09.2014

Die drei Methoden zur Definition des sinnvollen Positionsausstieges (Teil 1)

Die wohl gefährlichste Falle an der Börse ist nicht das Halbwissen, sondern die fehlerhafte Einschätzung, das Halbwissen sei schon ausreichend, um profitabel zu sein. Und damit fokussiert man auf Einstiege und selten auf die Ausstiege. Doch das ist falsch.

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  • DAX
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Börsenhandel im Allgemeinen und Day-Trading im Besonderen, mit all seinen unterschiedlichen Fassetten und Spielregeln, zeichnet sich dadurch aus, dass hier ein hoher Grad an Unsicherheit über den Ausgang eines laufenden Ereignisses gegeben ist. Wir wissen nie wirklich, ob unsere Aktivitäten (Eingehen einer Position, Schließen einer Position) zu diesem Zeitpunkt richtig und von Erfolg gekrönt sein werden. Wir wissen nie, ob wir alle Faktoren überschauen und wir müssen ständig darauf gefasst sein, von plötzlichen Entwicklungen überrascht zu werden, mit denen wir entweder überhaupt nicht gerechnet oder welche wir in ihrem Ausmaß falsch eingeschätzt oder gar unterschätzt haben. Die Fehlerquoten in unserem Handeln kann hier höher sein, als in vielen anderen Berufen. Und dieser Sachverhalt zwingt uns, unser Handeln durch eine Kombination aus Regeln, deren Einhaltung und eiserner Disziplin zumindest in einem akzeptablen Rahmen abzusichern.

Doch das ist zunächst Theorie, in der Praxis sieht es meist anders aus. Die Börse ist nämlich nicht nur ein Ort, der von dauernden Unsicherheiten geprägt ist, sie ist auch ein Ort, an dem Glück und Geschick sehr eng beieinander liegen und folglich das Risiko steigt, dass beides miteinander verwechselt wird. Das Missverstehen der Rolle des Glücks resultiert meist oder immer aus der Tatsache, dass die Zeit für Erfahrungen, welche man selbst an der Börse macht, zu kurz war. Es sind die Risiken, mit denen man nicht rechnet, jene, die man nicht auf Anhieb erkennt und welche sich auch über lange Zeitabstände nicht zeigen. Der Trader, Professor für Mathematik an der New York University und Autor diverser Bücher zum Thema Risiko, Glück und Zufall, Nassim Nicholas Taleb, vergleicht den Umgang mit den Risiken an der Börse mit einem russisch Roulett-Spiel, wobei in diesem Falle der Revolver nicht sechs Kammern hat, sondern „tausende“. Taleb umreißt jetzt das Problem wie folgt: „Nach ein paar Dutzend Versuchen vergisst man die Existenz der Kugel und wiegt sich in einem betäubenden, falschen Gefühl der Sicherheit“ (Taleb / Narren des Zufalls / 2002 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA / Weinheim / Seite 46). Man wird zu sicher, man wird im Bezug auf gefühlte „Kleinigkeiten“ nachlässig. Man feilt an seinen Positionseinstiegen und vernachlässigt die Positionsausstiege. Man verkennt die Funktion und Bedeutung des Stopp-Kurses und setzt sich als oberstes Ziel, möglichst jede Trading-Chance in bare Münze umzuwandeln, wobei man im Umgang mit der Risikobetrachtung nachlässig wird. Je sicherer und erfolgreicher man sich fühlt, umso mehr läuft ein Trader Gefahr, sein Tun im Handel mit dem in einem Videospiel zu verwechseln. Und dann kann es plötzlich geschehen, das Unfassbare, Unerwartete, nicht hätte eintreten dürfende. An der Börse nennt man ein solches Ereignis den „Blow-up“, das Ende und Resultat einer Ereigniskette, welche man im Vorfeld bereits nicht mehr übersah. Und die Kernursache dieser Problematik ist, dass „Spieler, Investoren und Entscheidungsträger … nämlich das Gefühl (haben), dass die Dinge, die anderen widerfahren, ihnen selbst nicht notwendigerweise passieren würden“ (ebenda).

Weil wir so sind, wie wir sind, und nur deshalb, ist der Einsatz eines Trading-Planes, das Festlegen eines Risiko-Limits und dessen strikte Einhaltung, sowie das klare Definieren und Durchsetzen von Ein-, aber auch ganz besonders der Ausstiegsregeln das A und O an der Börse. Ich habe oft erlebt, dass mit fortschreitendem Erfolg im Handel, sich für den einen oder anderen Händler die Prioritären zu verschieben begannen. Und damit hatte das Ganze etwas mit einem vergleichbaren Spaziergang auf den Gleisen eines ICE-Zuges zu tun, dessen Fahrzeiten man nicht kennt. Ich kann es nur immer wiederholen: wenn Sie beginnen sich sicherer zu fühlen, Ihre Ergebnisse ansprechend werden und Sie das Gefühl bekommen, die ersten Regeln verinnerlicht zu haben, dann schalten Sie in der Aufmerksamkeit, Disziplin und Vorsicht noch einen Gang hoch, ganz bewusst und zwingen Sie sich, alles noch genauer zu nehmen. Damit bremsen Sie Ihr Tempo, aber reduzieren die Fehlerquellen, die sich gerade jetzt beginnen einzuschleichen. Haben Sie auch alle Orders richtig eingegeben? Sind die nicht mehr benötigten Orders gelöscht? Haben Sie einen Fahrplan bei Strom- oder Systemausfall? Haben Sie die jeweils notwendigen Notfallnummern zur Hand? Kennen Sie den Ablauf bei Ihrem Broker, wenn „die Hütte brennt“?

Es gibt in der Wirtschaftspsychologie einen interessanten Ansatz, der sich diesem Phänomen annähert und einen Ausweg aufzeigt. Hierbei wird nicht der Erfolg als solches gemessen, sondern die Kosten eines möglichen Misserfolges. Die Grundüberlegung ist wie folgt: Herr Hansi Meier gewinnt im Lotto 2 Millionen Euro, Frau Lotte Gustel hat sich als erfolgreiche Zahnärztin in ihren Berufsjahren ebenfalls 2 Millionen Euro erarbeitet. Jetzt haben beiden den gleichen Betrag auf dem Konto, beide können sich das gleiche leisten. Doch sind beide offensichtlich gleich großen Kapitalerträge wirklich miteinander wertmäßig vergleichbar? Der Wirtschaftspsychologe sagt: Nein. Im ersten Falle war es pures Glück, dass Hansi Meier an das Geld kam. Er hätte genauso gut noch für den Rest seines Lebens Lotto spielen können, ohne auch nur den Einsatz zurückzugewinnen. Die 2 Millionen von Frau Lotte Gustel sind da schon etwas „werthaltiger“, denn hier spielte das Glück eine weitaus geringere Einflussrolle als bei Hansi Meier. Ja, Lotte Gustel hatte auch Glück, im gewissen Sinne: sie hat sich für das Studium der Zahnmedizin entschieden und auch einen Studienplatz bekommen, es ist ihr ein guter Einstieg ins Berufsleben gelungen und sie bohrt in den Zähnen gut versicherter Privatpatienten herum. Genauso gut hätte sie auch Zahnarzt in einer weniger betuchten Gegend werden können. Aber selbst dann wäre ihre Lebensgrundlage weniger von Glück und Zufall abhängig, als von „Substanz“ und „Fundament“. Das Risiko, die 2 Millionen zu verpulvern und am Ende wieder mit leeren Taschen dazustehen, ist bei Hansi Müller weitaus größer, als bei Lotte Gustel. Denn Müller müsste jetzt wieder auf sein Glück vertrauen, während Gustel durchaus bessere Chancen hätte und auf ihre Erfahrungen, ihr Wissen, ihr Geschick zurückgreifen kann.

Das heißt konkret auf unsere Situation an der Börse angewandt: wir können auf Glück nicht verzichten, aber wir dürfen unseren Erfolg nicht vom Glück abhängig machen. Nicht bewusst und nicht unbewusst. Wir müssen uns ganz zielgerichtet ein Fundament aus Erfahrung, Fähigkeit, Kenntnissen, Wissen und Disziplin schaffen, welches uns einen Halt in einer bewegten Umgebung gibt. Wir dürfen keinen Luftschlössern nachhängen, uns nicht an unseren vermeintlichen Erfolgen berauschen. Wir müssen immer zuerst an die Risiken denken, in Wahrscheinlichkeiten kalkulieren und den worst case vor Augen haben. Und dann müssen wir planen, an welchen Stellen wir uns unsere Fangseile platzieren, die da lauten: Wissen, Disziplin, Erfahrung und Demut.

Ausstiege

Wenn man sich mit anderen technisch orientierten Marktteilnehmern über die jeweiligen Handelsansätze unterhält, dreht es sich in der Regel um einen Sachverhalt: den Einstieg in eine Position. Es werden Regelwerke entwickelt, Linien gezogen, Potentiale berechnet. Aber der Ausstieg fällt bei diesen Diskussionen meist „hinten runter“. Das es Stopp-Kurse gibt, hat mittlerweile fast jeder gehört, dass man diese auch einsetzen sollte, wird auch überwiegend beachtet. Aber fragen Sie sich doch einmal selbst: legen Sie mehr Wert auf eine klare Definition des Einstiegs? Oder ist Ihnen ein klar geregelter Ausstieg wichtiger? Diese Frage soll nicht provokant rüber kommen, sondern sie ist sachlich gestellt.

Es ist natürlich klar: in einem intraday-Trading-Ansatz, der sich auf wenige Punkte Zielpotential stützt, kommt dem Einstieg eine gleichberechtigte Bedeutung zu, wie dem Ausstieg. Bei weiterführenden Positionen (Kern-Position, Positions-Trading) steigt die Bedeutung des Ausstieges dagegen deutlich an. Das gilt sowohl für den Ausstieg aus einer im Minus liegenden Position, als auch aus einer im Plus liegenden Position. Es ist sogar durch Umfragen belegt, dass es mitunter mental schwieriger ist, einen Gewinn zu realisieren (weil man ja noch mehr gewinnen könnte und ja praktisch die Bestätigung hat, richtig zu liegen), als eine offensichtlich im Minus notierende Position glattzustellen.

Wir wollen im folgenden Artikel das Schließen von Positionen besprechen, um damit dem ersten Teil der Ausführungen zumindest zu einem gewissen Grad Rechnung zu tragen. Wir wollen dieses Thema verbinden mit unserem täglichen Trading an der Börse und werden folglich uns möglichst praxisnah an unserer Fragestellung entlang arbeiten.

Unsere Besprechung bezieht sich auf Day-Trading Ansätze, kann allerdings auch im Positions-Trading Anwendung finden. In der Einzelbesprechung werde ich folglich unterteilen in den Positions-Trading-Ansatz und in den intraday-Ansatz. Eine Kern-Positionierung steht hierbei „zwischen den Welten“, ich werde auch hier das jeweilig relevante Handelsfenster definieren.

Da der Schwerpunkt auf dem Ausstieg liegt, werde ich den Einstieg weniger fokussiert besprechen, was folglich Raum für eigene Gedanken zur Herangehensweise offen lässt.

Methodik

Wir betrachten in dieser Artikelserie drei Trading-Ansätze mit ihrer jeweiligen Ein- und Ausstiegsmethode:

(a) Die bisher praktizierten Ausbruchs-Trades, auf der Grundlage von komplexen Umkehrmustern bzw. von klar definierbaren Konsolidierungsbereichen. Ergänzt werden diese durch sogenannte Contra-Trades, welche sich bei Erreichen von potentiellen Widerständen oder Unterstützungen gegen den Erstimpuls stellen. Wir wenden diese bereits in unserer Arbeit im Stream täglich an. (Teil 2 der Artikelserie)

(b) Mustererkennung. Hier stützen wir uns auf mathematisch exakt definier- und beschreibbare Muster, bestehend aus einer Zeiteinheit (Tagesmuster oder im intraday-Bereich z.B. ein 30 Minuten Muster oder 60 Minuten Muster), bestehend aus zwei Zeiteinheiten (Zweitagesmuster oder im intraday-Bereich z.B. zwei 30 Minuten Muster oder zwei 60 Minuten Muster) oder auch bestehend aus drei Zeiteinheiten. Wir definieren die Kursmuster, suchen diese nach ihrer Definition im Markt und bewerten deren Charakter (Kauf- / Verkauf- oder Impulserschöpfungsmuster) statistisch. Dabei stehen im Mittelpunkt die Auswertungen nach Impulsdauer und Impulsstärke. Die Impulsdauer gibt uns Aufschluss darüber ob ein jeweiliges Muster nachhaltige Impulswenden anzeigen kann, die Impulsstärke lässt Schlüsse zu, inwieweit wir hier mit mehr als nur einer Handelseinheit aktiv werden (ein Kontrakt oder mehrere Kontrakte) oder mit welchen Kurs-Zielen wir rechnen können. Wichtiger aber ist die Ableitung der Stopp-Kurs-Platzierung. (Teil 3 der Artikelserie)

(c) Im dritten Ansatz fokussieren wir uns einzig auf die Kurs-Zielbestimmung bei erwarteten tragenden Impulsschüben. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob wir eine laufende Position „laufen lassen“ sollten und „gelegentlich“ den Stopp-Kurs nachziehen oder ob wir mit Kurs-Ziel arbeiten. Und sollten wir mit Kurs-Ziel arbeiten, müssen wir uns fragen, wie wir dieses ermitteln. Da wo es sich anbietet, werden wir auf statistische Ergebnisse und Auswertungen auf Basis von RINA-Protokollen verweisen, wir möchten sie aber auch anregen und motivieren, in dem einen oder anderen Fall selbst in die Auswertung einzusteigen um daraus eigene Schlüsse zu ziehen. (Teil 4 der Artikelserie)

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Über den Experten

Uwe Wagner
Uwe Wagner
Technischer Analyst und Trader

Uwe Wagner arbeitete bereits während seines Wirtschaftsstudiums als Maklergehilfe an den Börsen in Berlin, Wien und Madrid. 1991 trat er dann in die Deutsche Bank AG ein, wo er eine fundierte Ausbildung im Wertpapier- und Derivatehandel erhielt – in Frankfurt/Main sowie in Chicago im International Trading Institute unter dem bekannten Warenhändler Toni Saliba. Innerhalb der Deutschen Bank AG durchlief Wagner diverse Etappen im Handelsbereich. So betreute er als DTB Market Maker zunächst diverse Werte, verantwortete anschließend den Options- und Future-Handel in der Deutsche Bank S.A. in Madrid und mehrere Jahre die spekulative Verwaltung von Teilen des Eigenkapitals der Bank über DB Advisor. Wagner baute innerhalb der Deutsche Bank AG das damals erste Internet-Tool für Technische Marktanalysen (dbS-Trade) auf und führte den systembasierten Handel in Future-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren auf dem FDAX und dem Bund-Future-Markt, den er täglich analytisch seziert, um daraus Handelsszenarien zu entwickeln und diese dann auch aktiv umzusetzen. Seit 2003 lebt und arbeitet Wagner in Hamburg. Uwe Wagner ist aktiv im FDAX und Bund-Future tätig.

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