Kommentar
10:10 Uhr, 28.06.2024

Der Bundesfinanzhof (BFH) zerreißt die Verlustverrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften!

Die Begründung des BFH liest sich wie eine erbarmungslose verbale Abfolge von Hammerschlägen auf eines der sinnlosesten Steuer-Gesetze aller Zeiten. CFD-und Eurex-Trader können jetzt erstmal aufatmen.

Ein CFD-Trader beantragte die Aussetzung der Vollziehung seines Steuerbescheids und bekam vor dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz recht. Das Finanzamt legte Beschwerde ein; die Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Aussetzung der Vollziehung ist rechtens. Jeder betroffene Anleger sollte sich nun gegenüber seinem Finanzamt auf diesen Beschluss berufen, auch wenn in der Sache noch nicht endgültig entschieden ist.

Der Trader hatte im Jahr 2021 CFDs gehandelt; die Gewinntrades summierten sich auf 250.631 EUR, die Verlusttrades auf 228.829 EUR. Das Finanzamt wollte nur 20 TSD EUR der Verluste anerkennen und den Rest in die Folgejahre vortragen. Das Finanzamt verlangte über 52 TSD EUR Steuern, obwohl der reale Gewinn nur bei etwa 23 TSD EUR lag.

Über den Irrsinn dieser Regelung habe ich mehrfach berichtet, z.B.: Der Steuerhammer für Anleger und ausführlich auch in diesem Artikel.

Die Beschlussbegründung setzt gleich an mehreren Punkten an und lässt beim Leser wenig Zweifel daran aufkommen, dass die aktuellen steuerlichen Regeln für die Berücksichtigung von Verlusten dauerhaft keinen Bestand haben werden.

Aber noch ist es nicht so weit. Einspruch einlegen, Aussetzung der Vollziehung beantragen! Das ist jetzt der Weg für betroffene Trader.

Es wäre dem Gesetzgeber anzuraten, die gesamten Änderungen komplett rückgängig zu machen und den Stand von vor 2020 wiederherzustellen.

Ein paar Highlights aus der Beschlussbegründung, die man nicht weiter kommentieren muss. Ich habe die Passagen etwas angepasst und vereinfacht.

So viele verbale Watschn für die Regierung! Gut für den Hauptverantwortlichen, den ehemaligen Obmann der SPD im Finanzausschuss Lothar Binding, dass er nicht mehr im Bundestag ist. Die "Binding-Steuer" dürfte bald Geschichte sein.

  • Der Senat hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bei summarischer Prüfung für nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

  • Die doppelte Begrenzung des Verlustausgleichs (innerhalb der Termingeschäfte) und der Verlustverrechnung (mit anderen Kapitaleinkünften) führt zu einer zeitlichen Streckung der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften. Durch die betragsmäßige Begrenzung (20 TSD EUR) liegt eine schärfere Wirkung vor als die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus der Veräußerung von Aktien (Verluste aus Aktiengeschäften dürfen nur mit Gewinnen aus Aktiengeschäften verrechnet werden).

  • § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkt eine doppelte Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Verluste aus Termingeschäften erzielen. Der besondere Verrechnungskreis für Verluste aus Termingeschäften führt zu einer Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, je nachdem, ob diese Verluste aus Termingeschäften oder aus anderen Kapitalanlagen erzielt haben. Innerhalb des besonderen Verrechnungskreises für Verluste aus Termingeschäften kommt es darüber hinaus zu einer Ungleichbehandlung der vom Steuerpflichtigen erzielten Gewinne und Verluste aus Termingeschäften. Bei summarischer Prüfung ist diese doppelte Ungleichbehandlung sachlich nicht durch ausreichend tragfähige Gründe gerechtfertigt.

  • Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln und bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der es erfordert, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten.

  • Es bedarf zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen in der Einkommensteuer eines Ausgleichs zwischen den vom ihm erwirtschafteten steuerbaren Einnahmen und den zur Erzielung dieser Einnahmen aufgewendeten Ausgaben. Dieses “objektive Nettoprinzip” ist jedoch auch im Hinblick auf beschränkende Regelungen zum Verlustausausgleich und Verlustabzug berührt.

  • Dabei ist eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Der Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung wird aber verletzt, wenn die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Totalperiode gänzlich ausgeschlossen ist. (Gemeint ist, dass der Steuerpflichtige zu Lebzeiten nicht in der Lage sein wird, die Verluste zu verrechnen).

  • Es bedarf einer tragfähigen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung.

  • Die Ungleichbehandlung negativer Kapitalerträge aus Termingeschäften wird dadurch verschärft, dass die Vorschrift entgegen den Vorgaben des objektiven Nettoprinzips zu einer asymmetrischen Besteuerung von Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften auch innerhalb des Verlustverrechnungskreis führt. Diese Asymmetrie bewirkt, dass in einem Verlustentstehungsjahr wirtschaftlich nicht erzielte Gewinne aus Termingeschäften besteuert werden können. Schließlich kann nicht von einem vollständigen Ausgleich von Verlusten aus Termingeschäften in der Totalperiode ausgegangen werden.

  • Nur positive Kapitalerträge aus Termingeschäften werden dem direkten Steuerabzug unterworfen. Negative Kapitalerträge wirken sich im Rahmen des Steuerabzugs bis zum Betrag von 20.000 EUR nicht aus. Sie werden zwar unaufgefordert bescheinigt, der Steuerpflichtige muss jedoch stets einen Antrag stellen und die Verluste veranlagen lassen, um deren Verrechnung in Höhe von 20.000 EUR und den Verlustvortrag sicherzustellen. Auch hierin liegt eine Schlechterstellung der Gewinne und Verluste aus Termingeschäften gegenüber anderen Kapitalerträgen, die bereits im Rahmen des Steuerabzugs ausgeglichen werden können.

  • Da ein Verlustrücktrag nicht möglich ist, besteht die Gefahr einer weitgehenden Nichtverrechenbarkeit, wenn nach der Realisation eines Verlustes aus Termingeschäften keine gleichartigen Gewinne nachfolgen. Es müssen vielmehr erst wieder neue Gewinne aus Termingeschäften oder Stillhalterprämien erzielt werden, um im Wege des Verlustvortrags eine Verrechnung mit entstandenen Verlusten zu erreichen. Die jährliche Betragsgrenze von 20.000 EUR verschärft diesen Effekt. Sie begünstigt bei hohen Verlusten die Gefahr eines endgültigen Verlustuntergangs.

  • Der Senat sieht bei der gebotenen, aber ausreichenden summarischen Prüfung keine tragfähigen sachlichen Rechtfertigungsgründe für die dargelegten Ungleichbehandlungen.

  • Die vom Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit geschützte Entscheidung, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen frei auszuwählen, wird dadurch beeinträchtigt, dass der Steuerpflichtige gedrängt wird, wenn er seine Verluste ausgleichen will, wieder in bislang schon nicht erfolgreiche Termingeschäfte zu investieren. Er wird von der Verluststreckung deshalb dazu angehalten, seine Investition in Termingeschäfte auch dann nicht zu beenden, wenn die eingetretene Verlustsituation ihn ansonsten zum Ausstieg aus diesem Anlagesegment motivieren würde.

  • Willkürverbot: Es fehlt ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung zwischen solchen Steuerpflichtigen, die Verluste aus Termingeschäften erzielen, und solchen mit Verlusten aus anderen Kapitalanlagen.

  • Nach der Gesetzesbegründung sollen Verluste aus Termingeschäften in einem besonderen Verlustverrechnungskreis berücksichtigt werden, um das Investitionsvolumen und die daraus entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen. Dieser Gesichtspunkt trägt auch unter Berücksichtigung eines weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums die dargelegten Ungleichbehandlungen nicht. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist nicht geeignet, die für Anleger bestehenden Verlustrisiken zu begrenzen. Der Steuerpflichtige wird durch die Verluststreckung im Gegenteil dazu angehalten, weiterhin in Termingeschäfte zu investieren, um die entstandenen Verluste mit künftigen Gewinnen verrechnen zu können.

  • Für die im Streitfall zu beurteilende Situation, dass der Antragsteller Gewinne und Verluste aus Termingeschäften in demselben Jahr erzielt und die Gewinne die Verluste sowie Letztere den Betrag von 20.000 EUR übersteigen folgt, dass der Antragsteller einen wirtschaftlichen "Scheingewinn" versteuern muss. Dies legt zumindest nahe, dass der Gesetzgeber weniger den Anleger davor schützen wollte, zu hohe Verlustrisiken einzugehen, als den Fiskus vielmehr vor den Risiken für das Steueraufkommen, die aber weder beziffert noch inhaltlich konkretisiert werden. Ein solches fiskalisches Ziel kann die Beschränkung des Verlustausgleichs mit den dargelegten Folgen für den Steuerpflichtigen nicht rechtfertigen.

  • Auch ein "Abschreckungscharakter" für die Durchführung von Termingeschäften stellt aus der Sicht des Senats keinen tragfähigen Rechtfertigungsgrund dar. Entgegen der Annahme in der Gesetzesbegründung sind Termingeschäfte im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht in jedem Fall hochspekulative Anlagen, sondern dienen regelmäßig als Absicherungsgeschäfte, etwa zur Absicherung von Kurs-, Währungs- oder Zinsrisiken, und entfalten als solche risikomindernde Wirkung.

9 Kommentare

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  • Copilot
    Copilot

    Vielen herzlichen Dank für die guten Nachrichten und die übersichtliche Aufbereitung!

    Ich hätte noch eine Frage dazu, was das nun bedeutet und wie es weitergeht:

    Im Artikel heißt es: "Jeder betroffene Anleger sollte sich nun gegenüber seinem Finanzamt auf diesen Beschluss berufen, auch wenn in der Sache noch nicht endgültig entschieden ist."

    Bedeutet dies, dass das das Urteil des BFH noch nicht rechtskräftig ist? Und wenn nein, wie geht es weiter?

    Und folgt daraus, dass man vorerst so weiter handeln/traden sollte, als wenn die Verlustverrechnungsbeschränkung weiter Bestand hat?

    13:30 Uhr, 28.06.
    2 Antworten anzeigen
  • Trendcoach
    Trendcoach

    Die beste Nachricht seit langem ! Der Besteuerungswahnsinn scheint doch noch revidiert zu Werden . Dank an das Team von stock3 und besonders Daniel Kühn, der die ganzen Jahre darüber berichtet hat. Könnte er oder jemand anders mit viel steuerjuristischer Fachkenntnis mal erleutern, was das nun konkret bedeutet. Sind auch Gewinne und Verluste mit cfd's wieder normal verrechenbar ? Für die letzten Jahre auch rückwirkend ? Danke !

    12:11 Uhr, 28.06.
  • Howi007
    Howi007

    Das mit den unterschiedlichen Steuertöpfen ist völliger Wahnsinn, ich habe aus absicherungstechnischer Sicht, hohe Gewinne (relativ) in Absicherungspapieren meiner Aktien, welche im Verlust sind. So hat ein Topf Gewinne (Zertifikate/Optionen) , der andere Verluste (Aktien). Auf die Gewinne zahle ich Steuer, die Verluste lassen sich nicht damit gegenrechnen. Kann sich zwar irgendwann in Zukunft ausgleichen, dann kann ich aber auch das Ganze sein lassen. Daher kaufe ich nur noch Edelmetalle physisch zu. Dieses ganze Papiertheater und Steuergebahren habe ich sowas von satt. Da verdient nur die Bank (Gebühren) und der Finanzminister (Steuern) . Mit Edelmetallen mache ich physisch nur Verluste wenn ich diese zu kurz liegenlassen würde. Auf lange Sicht steigen die. Zumindest seit 24 Jahren.

    11:20 Uhr, 28.06.
  • flyingnordman
    flyingnordman

    Zitat von Lothar Bindings Homepage: "Politik mit Phantasie und Verstand". Phantasie stimmt schonmal.

    10:51 Uhr, 28.06.
    1 Antwort anzeigen
  • Pittiplatsch
    Pittiplatsch

    Es wäre wohl nie dazu gekommen, wenn jemand wie Herr Binding für die Folgekosten solch sinnentleerter ideologisch getriebener Gesetze auch haftbar gemacht werden könnte ... Wieviele Stunden haben wohl Anleger und Anwälte nebst ihren Steuerberatern und Banker nebst IT`lern verbracht, um diesem Schwachsinn gerecht zu werden und da wundert sich noch jemand, dass unser Land im schleichenden Niedergang begriffen ist ...

    Unglaublich ...

    10:28 Uhr, 28.06.
    1 Antwort anzeigen