Kommentar
09:15 Uhr, 15.06.2021

Der Steuerhammer für Anleger

Zertifikate und Optionsscheine sind keine Termingeschäfte – BFH hält Beschränkung der Aktien-Verlustverrechnung für verfassungswidrig

Es ist im Steuerrecht leider nie so einfach, wie es sein könnte. Einfach nur alle Kapitalerträge mit allen Kapitalverlusten zu saldieren und den Saldo dann der Besteuerung zu unterwerfen ist wohl zu leicht. So wurde schon 2009 mit der Einführung der Abgeltungsteuer beschlossen, dass Verluste aus Aktientransaktionen nur mit Gewinnen aus Aktientransaktionen verrechnet werden dürfen. Alle anderen Verluste landeten im Verlusttopf „Sonstige", die wiederum mit allen Gewinnen verrechnet werden durften – auch jenen aus Aktien. Dies geschah unter dem Eindruck des Börsencrashs nach der Finanzkrise. Eben jene Regelung hat nun der Bundesfinanzhof (BFH) dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Aus Sicht der Richter liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vor. Wir werden gleich noch sehen, wie das beim aktuellen Thema Verlustverrechnung der Termingeschäfte hilfreich sein wird.

Die Steuerrechtsänderung von Ende 2019 hat folgende wesentliche Komponenten:

  1. Totalverluste (aller Art) dürfen nur noch bis maximal 20 TSD EUR pro Jahr mit Kapitalerträgen verrechnet werden.
    Dazu muss man sagen, dass davor Totalverluste gar nicht anerkannt wurden, oder besser gesagt, es wurde immer eine Transaktion (Veräußerungsgeschäft) verlangt. Das wertlose Ausbuchen genügte den Ansprüchen des Gesetzes nicht. Dies wurde jedoch vom BFH kassiert. Der Bundesfinanzhof verlangte, dass Totalverluste anerkannt werden müssen, auch wenn keine Veräußerung vorliegt. Die Konsequenz war: Totalverluste werden nun explizit im Gesetz als steuerlich relevant anerkannt – aber gleichzeitig gedeckelt auf 20 TSD EUR pro Jahr! Der Rest muss vorgetragen werden, in der Hoffnung einer Verrechnung in den kommenden Jahren. Eine vernünftige Begründung der Deckelung sucht man vergebens.

  2. Verluste aus Termingeschäften dürfen nur noch bis maximal 20 TSD EUR pro Jahr mit Gewinnen verrechnet werden – und zwar nur noch mit Gewinnen aus Termingeschäften!
    Hier liegt also eine doppelte Verschlechterung vor. Zuvor flossen Verluste aus Termingeschäften in den Verlusttopf „Sonstige" und konnten mit allen Kapitalerträgen verrechnet werden. Diese Möglichkeit fällt nun weg. Der „Knaller" an der Regelung ist aber, dass Verlustgeschäfte nur begrenzt verrechnet werden dürfen – pro Jahr 20 TSD EUR – während selbstverständlich jede Gewinntransaktion der Besteuerung unterliegt. Das Ergebnis: Man muss je nach Einzelfall sogar Steuern zahlen, obwohl tatsächlich Verluste angefallen sind! Stellen Sie sich als Beispiel vor, Sie machen in einem Jahr 10 Transaktionen. Je 5 mit insgesamt 100 TSD EUR Gewinn und Verlust. Dann haben Sie zwar netto weder Gewinn noch Verlust gemacht, müssen aber 80 TSD EUR versteuern, weil die Verlusttransaktionen in einem Jahr nur bis 20 TSD EUR verrechnet werden!

  3. Totalverluste und Verluste aus Termingeschäften werden nicht mehr von den Banken bei der Abgeltungsteuer berücksichtigt.
    Während bei jeder Gewinntransaktion sofort Abgeltungsteuer abgeführt werden muss, muss der Steuerpflichtige die Veranlagung abwarten, um dann die Verluste (begrenzt) geltend machen zu können. Abgesehen davon, dass dies zunächst Liquidität kostet, ist damit auch ein wichtiger Aspekt der Abgeltungsteuer verloren – nämlich, dass man eben nichts in der Steuererklärung angeben muss.

Was sind Termingeschäfte?

Das BMF-Schreiben „Einzelfragen zur Abgeltungsteuer" (das erst fast 1 1/2 Jahre nach dem Gesetz veröffentlicht wurde!!) definiert wie folgt: Zu den Termingeschäften gehören insbesondere Optionsgeschäfte, Swaps, Devisentermingeschäfte und Forwards oder Futures (vgl. Rn. 36 und 37) sowie Contracts for Difference (CFDs).CFDs sind Verträge zwischen zwei Parteien, die auf die Kursentwicklung eines bestimmten Basiswerts spekulieren. Zertifikate und Optionsscheine gehören nicht zu den Termingeschäften.

Zu Recht wird man sich fragen, warum nun ein CFD ein Termingeschäft sein soll, ein KO-Zertifikat aber nicht. Zumal man einen KO per CFD mit garantiertem Stopp 1:1 „nachbauen" kann. Aktuell ist es einfach so und muss zunächst hingenommen werden: Termingeschäfte sind Futures, Optionen, CFDs, und diese unterliegen damit der Verlustverrechnungsbeschränkung. Optionsscheine und Zertifikate nicht.

Wann liegt ein Totalverlust vor?

Im BMF-Schreiben heißt es wie folgt: „Die Einziehung wertloser Wertpapiere führt gemäß § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 7, Satz 2 und Absatz 4 EStG zu einem steuerlich anzuerkennenden Veräußerungsverlust. Ein Wertpapier ist wertlos, wenn es aufgrund der Insolvenz des Emittenten eingezogen, infolge der Herabsetzung des Kapitals ausgebucht (BFH-Urteil vom 3. Dezember 2019, VIII R 34/16, BStBl 2020 II S. 836) oder infolge des Erreichens der Knock-out-Schwelle ausgebucht wurde".

Ein Fall der Ausbuchung infolge der Herabsetzung des Kapitals war z. B. die Aktie von Gerry Weber. Es gab einen Kapitalschnitt auf Null.

Aber was, wenn man ein wertloses Wirtschaftsgut / Wertpapier veräußert? Auch dann gilt die Verlustverrechnungsbeschränkung! „Bei der Veräußerung von wertlosen Wirtschaftsgütern im Sinne des § 20 Absatz 1 EStG ist die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Absatz 6 Satz 6 EStG zu berücksichtigen."

Das BMF-Schreiben präzisiert: „Von einer Veräußerung eines wertlosen Wirtschaftsgutes ist regelmäßig auszugehen, wenn der Veräußerungspreis die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteigt. Wird die Höhe der in Rechnung gestellten Transaktionskosten nach Vereinbarung mit dem depotführenden Institut dergestalt begrenzt, dass sich die Transaktionskosten aus dem Veräußerungserlös unter Berücksichtigung eines Abzugsbetrages errechnen, ist gleichfalls regelmäßig von der Veräußerung eines wertlosen Wirtschaftsgutes auszugehen."

Ob dies nun bedeutet, dass der Verkauf eines ausgeknockten KOs an den Emittenten zu 0,001 EUR dann nicht als steuerlicher Totalverlust gilt, wenn der Erlös höher als die Transaktionskosten ist? Leider gab es im BMF-Schreiben kein Beispiel dazu – ich werde das aber noch klären und hierzu mit Brokern sprechen.

Was können CFD-und Eurex-Trader nun tun?

Es gibt folgende steuerliche Nachteile gegenüber dem Trading mit Zertifikaten und Optionsscheinen, die man berücksichtigen muss:

  1. Verluste aus Termingeschäften können nur noch mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden.
  2. Die innerjährige Verlustverrechnung ist auf 20 TSD EUR beschränkt.
  3. Der nach Verrechnung verbleibende Verlust kann zwar zeitlich und in der Höhe unbegrenzt vorgetragen werden, aber pro Jahr können aus dem Verlustvortrag nur 20 TSD EUR genutzt werden.
  4. Das Verrechnen der Verluste mit den Gewinnen kann nur im Rahmen der Veranlagung erfolgen; man muss also zwingend die Kapitaleinkünfte in die Steuererklärung packen. Das bedeutet auch: Bei einem Broker mit Sitz in Deutschland verliert man zwar nach jedem Gewinntrade Liquidität, kann aber die Verluste erst nach dem Tradingjahr geltend machen und dies eben auch nur begrenzt.

Es kommt stark auf die eigenen Tradingschwerpunkte, die Tradingfrequenz und das Volumen an, ob und wie stark man betroffen ist. Wer z. B. bisher schon nur CFDs gehandelt hat, ist von Punkt 1 nicht betroffen. Wer sein Konto im Ausland hat, für den ist zudem Punkt 4 nichts Neues. Wer bisher pro Jahr an kumulierten Verlusttrades unter 20 TSD EUR blieb (und wem dies auch künftig gelingt), ist ebenfalls nicht betroffen. Nach Angaben der führenden CFD-Broker ist dies bei der großen Mehrheit der Kunden so.

Einige Empfehlungen für Trader - so handeln Sie weiter CFDs !

  1. Immer im Blick haben, wie viele kumulierte Verluste (vor Saldierung mit Gewinnen!) in einem Jahr bisher aufgelaufen sind. Ab 20 TSD EUR kumulierter Verlusttrades sollte man darüber nachdenken, ab dem Zeitpunkt in dem Jahr das Trading mit Termingeschäften sein zu lassen.
  2. Am besten wählt man einen (seriösen!) Broker im Ausland, dann fließt keine Liquidität nach Gewinntrades ab.
  3. Heavy Trader werden es nie schaffen, unter den genannten Verlustgrenzen zu bleiben. Diese können über die Gründung einer kleinen Kapitalgesellschaft (UG, GmbH) nachdenken und in dieser traden. Die genannten Regelungen gelten nämlich nur für den privaten Bereich, also für die Abgeltungsteuer. Es droht zwar erhöhter organisatorischer Aufwand und auf den ersten Blick eine höhere Steuerbelastung als im Abgeltungsteuer-Regime. Aber dafür kann man auch Kosten in die Gesellschaft packen (übrigens auch Abo-Kosten für Trading-Services!) und man kann alles wie gewohnt verrechnen. Dazu sollte man sich unbedingt steuerlich beraten lassen!

Worauf müssen Trader von Zertifikaten und Optionsscheinen achten?

  • KOs am besten nicht ausknocken lassen (nicht mehr so hohe Hebel wählen!).
  • Optionsscheine nicht verfallen lassen, also vor Verfall verkaufen.
  • Unter diesen Voraussetzungen kann man Verluste voll verrechnen, und zwar mit allen Kapitalerträgen.
  • Sind doch ausgeknockte KOs oder verfallene OS dabei, beachten Sie die Verrechnungsgrenze von 20 TSD EUR pro Jahr. Und die Notwendigkeit der Verrechnung im Rahmen der Veranlagung (also Steuererklärung machen!)

Tipps für die Steuererklärung

  • Die Broker werden künftig (jedenfalls bei Sitz in Deutschland) den Kunden eine Aufstellung zukommen lassen, in der aufgelistet ist, welche Verluste im Rahmen der Verrechnungsbeschränkungen für Termingeschäfte und Totalverluste angefallen sind.
  • Diese Werte trägt man dann im Rahmen der Veranlagung in die Steuererklärung ein.
  • Gegen den dann erfolgenden Bescheid sollte man Einspruch einlegen, unter Verweis auf eine vermutete Verfassungswidrigkeit der Regelungen. So partizipiert man an späteren Urteilen von Gerichten, die diese Regelungen m.E. kippen werden. Inklusive Zinsen auf die zu viel gezahlten Steuern!
  • Der Broker sitzt im Ausland? Es ist keine Option, dies in der Steuererklärung zu unterschlagen, das wäre Steuerhinterziehung. Aber die Steuererklärung so weit rauszögern wie möglich, ist legitim.

Wie geht es nun weiter?

Die Tatsache, dass der BFH die Frage der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Aktienverlusten durch das Bundesverfassungsgericht geklärt sehen will, macht sehr zuversichtlich, dass ähnliches auch bei den Termingeschäften und Totalverlusten passieren wird. Es sind schon Klagen angekündigt, u,a. von den Anlegerschützern wie DSW. Scheuen Sie sich als Betroffene nicht, Kontakt aufzunehmen.

Es sind Verstöße gegen das Grundgesetz auf den ersten Blick erkennbar, so zumindest gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Auch das Nettoprinzip wird bei den Verrechnungsbeschränkungen von Termingeschäften in eklatanter Weise verletzt, da sogar dann Steuern fällig werden, wenn tatsächlich Verluste anfallen.

Es ist äußerst fraglich, ob rechtfertigende Gründe vorliegen. Im Gegenteil waren die Begründungen für die Gesetzesänderungen sehr schwach. Bei den Termingeschäften geht es letztlich anscheinend darum, spezielle Arten der Spekulation zu unterbinden. Innerhalb von Kapitalgesellschaften ist dies aber weiter möglich. Kommentare von Steuerjuristen lassen darauf schließen, dass die Gerichte die Regelungen auseinandernehmen werden.

Es ist traurig, dass Bürger, Banken und auch die Finanzverwaltung völlig unnötig mit sinnlosen, weltfremden und letztlich rechtswidrigen Regelungen drangsaliert werden. Dadurch werden Ressourcen verschwendet und es geht sinnlos Lebenszeit bei allen Beteiligten verloren, unwiederbringlich! (mein Lieblingszitat des Kollegen André Tiedje).

Erfreulicher Fakt am Ende: Das mutmaßliche „Brain" hinter diesen Regelungen, Lothar Binding – Obmann der SPD im Finanzausschuss – tritt zum nächsten Bundestag nicht mehr an.
Es wäre auch gut denkbar, dass die nächste Regierung im Angesicht der Sinnlosigkeit des Gesetzes dieses wieder ändert.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen