Kommentar
14:37 Uhr, 30.04.2019

Das Märchen Preisstabilität: Wie die EZB die Sprache dehnt und die Bürger täuscht

Die EZB verfolgt nicht das Ziel der Preisstabilität, sondern der Geldentwertungsstabilität. Ein ganz entscheidender Unterschied

Was bedeutet eigentlich Stabilität? Wir schlagen bei Wikipedia nach. Stabilität einer Größe liegt demnach dann vor, wenn diese in einem bestimmten fixierten - oder erwünschten - Bereich bleibt.

Wie wir alle wissen, wünscht sich die EZB mittelfristig eine Inflationsrate im Bereich von knapp unter 2,0 % p.a. Sie erhofft sich also eine stabile Inflationsrate. Es handelt sich um ein Inflationsziel.

Nach außen verkauft wird das Ziel aber als Erhaltung der Preisstabilität. Und hier liegt nun ein astreiner Etikettenschwindel vor. Ich verdeutliche Ihnen das anhand einer Grafik.

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Sie sehen die Entwicklung des Preisniveaus eines Warenkorbs von 2013 bis 2048 (also über einen Zeitraum von 35 Jahren).

Unter Annahme einer Inflationsrate von knapp 2,0 % p.a. - das ist in etwa die Zielgröße der EZB - halbiert sich der Geldwert in nur 35 Jahren. Wenn man davon ausgeht, dass man ca. 70 Jahre lang aktiv Geld ausgebend lebt, wird man also im Laufe seines Lebens mit einem Kaufkraftverlust von rund 75 % konfrontiert, während die EZB genau diesen Kaufkraftverlust als Preisstabilität definiert.


Exkurs: Was ist Preisstabilität?

In den EU-Verträgen ist von „Preisstabilität“ als Ziel für die EZB die Rede, ohne diesen Begriff weiter mit Leben zu füllen. Es gibt keine Legaldefinition dafür. Das Inflationsziel hat sich die EZB selbst gesetzt und es war auch nicht immer so formuliert wie jetzt(aktuelle Definition hier )

Es existiert keine gesetzliche Pflicht für die EZB, knapp 2 % Inflationsrate zu erreichen. Die EZB hat 1998 die Preisstabilität sogar nur mit „unter 2 %“ definiert – das „nahe, aber unter“ kam erst 2003 dazu. Und der EZB-Rat könnte jederzeit die Definition nach oben oder nach unten ändern, ohne sich irgendwo eine neue rechtliche Grundlage holen zu müssen.

Die EZB sieht - wie andere Notenbanken auch - einen Wert von knapp 2 % bei der Verbraucherpreisinflation als ideal für die Entwicklung der Wirtschaft an, da somit ein "Puffer" zur Deflation eingebaut ist und eine leichte Inflation Konsum und Investitionen anregen soll.


Meine Definition von Preisstabilität ist dagegen ein Wert 0 % p.a. Ich denke, die meisten Leser werden mir zustimmen (ob das aus ökonomischer Sicht wünschenswert ist? Das ist eine ganz andere Frage - und die Antwort lautet nein).

Ich halte also fest: Bei dem Inflationsziel der EZB von knapp unter 2 % p.a. handelt es sich nicht um Preisstabilität, sondern um stabile Preissteigerungen.

Leider ist es den Notenbankern zusammen mit einigen Ökonomen gelungen, die schreibende Zunft weitgehend zu täuschen. Selbst in renommierten Wirtschaftsblättern ist die Mär von der Geldwertstabilität bei 2 % Inflation zu lesen und wie schlimm doch Inflationsraten unter 2 % sein sollen.

In Wirklichkeit ist eine Inflationsrate deutlich unter 2 % erstens keine Deflation (selbst diesen Unsinn kann man manchmal lesen) und auch nicht besonders problematisch, so lange sie nicht über einen längeren Zeitraum nahe oder unter null liegt. Der häufig behauptete Zusammenhang, Bürger würden ihren Konsum zurückstellen, wenn die Inflationsraten sehr niedrig sind, ist nicht nur unbewiesen, sondern schlicht widersinnig.

Dazu müssen Sie sich nur selber fragen: Konsumieren Sie dieses Jahr weniger, weil Sie nächstes Jahr eine Inflationsrate von sagen wir 0 % erwarten? Natürlich nicht. Ebenso kaufen Sie sich einen PC oder ein Smartphone dann,wenn Sie es brauchen, also gleich, obwohl Sie ja wissen, dass die Preise jedes Jahr fallen (und/oder die Leistung bei gleichem Preis steigt).

Nur im Bereich der großen Sachwerte ist die Überlegung korrekt, aber auch nur bei echter Deflation. Wenn Sie sie davon ausgehen, dass die Häuserpreise die nächsten Jahre deutlich fallen, nehmen Sie möglicherweise aktuell Abstand vom Kauf.

Aber gerade der Bereich der Sachwerte - Häuserpreise, Aktien etc. - wird von der offiziellen Inflationsrate ja eben NICHT erfasst. Der statistische Warenkorb dümpelt denn auch mehr oder weniger vor sich hin, während die Immobilienpreise - jedenfalls in Deutschland - schon viele Jahre regelrecht explodieren.

Und als Folge daraus wird der Zins weiter viel zu niedrig gehalten, die Vermögenswerte steigen weiter - und die nächste Finanzkrise ist schon in Vorbereitung...

Das bedeutet natürlich nicht, dass das Anstreben einer geringen Inflation per se abzulehnen wäre. Es ist durchaus aus mehreren Gründen sinnvoll, dass die Preise in der Tendenz und mittel-langfristig betrachtet ganz leicht anziehen. Aber dieses Ziel rechtfertigt nicht alle Mittel.

Wenn durch eine lange Nullzinspolitik Preise von Vermögensgütern drastisch anziehen, dann sind die negativen Effekte dieser Entwicklung abzuwägen gegen die positiven Effekte der ultraniedrigen Zinsen. Dies findet viel zu wenig statt.

Die Finanzstabilität (somit auch die Verhinderung von Blasen bei Vermögensgütern) sollte m.E. als eigenes Ziel von den Notenbanken verfolgt werden - neben der Preisstabilität und ggf. neben dem Ziel eines hohen Beschäftigungsgrades. Und dann kann man eben auch mal längere Zeit Inflationsraten von 1 % statt 2 % tolerieren und die Zinsen NICHT auf null belassen, wenn nämlich das Ziel der Finanzstabilität temporär höher gewichtet wird.

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51 Kommentare

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  • Hoeli
    Hoeli

    Herr Kühn, ich vertrete die Meinung aus dem Artikel ebenfalls seit längerem.

    Vor allem, dass die Herangehensweise zur Ermittlung einer Inflationsrate ohne Berücksichtigung von Vermögenswerten wenig Sinn macht, wenn man bedenkt, dass der Großteil des Einkommens gerade für Erwerb und Unterhalt einer Immobilie aufgewendet wird (zumindest was die Normalverdiener angeht).

    Da ich mich aber nicht für einen besonders schlauen Menschen halte, gehe ich davon aus, dass dieser Zusammenhang der Mehrheit der "Hobbyökonomen" ebenfalls bewusst ist. Und somit auch den überaus klugen Amtsträgern, die über unsere Geldpolitik bestimmen.

    Und trotzdem werden die Fakten ignoriert und an der aktuellen Zinspolitik festgehalten. Verblendung? Orientierungslosigkeit? Einflussnahme anderer Interessengruppen?

    Schlussendlich spielt es keine Rolle. Wenn die Geschichte am Ende schlecht ausgeht, dann waren es eh immer die anderen. Das ist das Credo unserer heutigen Gesellschaft. Integrität und Verantwortung zu übernehmen ist nicht mehr zeitgemäß.

    22:17 Uhr, 01.05.2019
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Leider ist es den Notenbankern zusammen mit einigen Ökonomen gelungen, die schreibende Zunft weitgehend zu täuschen. Selbst in renommierten Wirtschaftsblättern ist die Mär von der Geldwertstabilität bei 2 % Inflation zu lesen und wie schlimm doch Inflationsraten unter 2 % sein sollen.„

    Ja, leider ist diese Täuschung vollumfänglich gelungen und hat sich in den Köpfen nicht nur der schreibenden Zunft festgesetzt. Wir sind wohl viel näher an einem Szenario heftigster Inflation, als an einem Deflationsszenario und bei den Vermögenspreisen haben wir die heftige Inflation schon heute. Fragt sich, wie lange es noch dauert, bis massive und nicht mehr zu tarnende Inflation auch in den Regalen von Edeka, Aldi und Lidl ankommt. Wobei, die smarte Hausfrau lächelt seit Jahren süffisant über die vom statistischen Bundesamt veröffentlichten Inflationsdaten, denn für den nominalen Geldbetrag aus 2009 füllt sie ihren Einkaufswagen nur noch zu 60%.

    20:49 Uhr, 01.05.2019
  • m.m.
    m.m.

    Heute auf Godmode-Trader: Die EZB solle bitte durch den Leitzins der gesamten Euro-Zone die Immobilienpreise in deutschen Großstädten stabilisieren. Wie kommt man auf so etwas, das kann man sich doch nicht ausdenken?

    16:39 Uhr, 01.05.2019
  • Dragoslav
    Dragoslav

    Man müsste strenggenommen zwei Raten ausweisen. Einerseits die Teuerung, die durch Marktprozesse (Verknappung oder Überschuss) entsteht, andererseits die Teuerung, die durch Inflation der Geldmenge entsteht. Da die Zentralbanken jedoch ständig intervenieren und die Geldschöpfungsprozesse intransparent sind, wird das so gut wie unmöglich sein. Demnach kann selbst die Zentralbank nicht genau sagen, welche Wirkung ihre Geldspritzen haben. Messbar ist eben nur der absolute Preisanstieg, der Inflations- und Teuerungsbedingt auftritt. Die Zentralbanken experimentieren demnach mit einer Blackbox. Sie können die Folgen ihres Handelns nicht prognostizieren.

    16:23 Uhr, 01.05.2019
  • Sideliner
    Sideliner

    Die Steigerung der Gehälter ist ein erstaunliches Konstrukt. Pure Statistik. Wenn die großen Gehälter um 5% oder mehr ansteigen, dann reicht das völlig aus um den Durchschnitt laufend anzuheben. Und schon wegen der steuerlichen Progression müssen die höheren Gehälter stärker ansteigen, sonst kann man es mit der Erhöhung gleich bleiben lassen. Der Mindestlohn steigt ebenfalls überproportional. Und für die breite Masse bleibt null komma nichts, abzüglich 2% Inflation. Daran ist nichts neu, das war schon vor 30 Jahren so. Neu ist, daß der Kleinsparer nicht einmal mehr die Illusion von Zinsen bekommt und das Wertpapiere genauso Papiere sind wie Geldscheine - mal mehr wert, mal weniger. Gerade bei Wertpapieren sollte man sich mal Gedanken zu WireCard vs. Deutsche Bank machen oder zu Bayer und Monsanto. Da sieht man glasklar, daß viele Titel innen nur hohl sind, 3 Jahrzehnte von der Substanz leben läßt eben nicht viel übrig.

    11:18 Uhr, 01.05.2019
  • Dragoslav
    Dragoslav

    Der Autor nimmt es sonst mit den Begrifflichkeiten immer äußerst genau. Warum wird im Artikel Inflation verwendet? Was genau inflationiert? Welches Aggregat? Oder meinten Sie die Wirkung der Inflation, nämlich die Teuerung? Das sind zwei Paar Schuhe.

    08:36 Uhr, 01.05.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Market Impact
    Market Impact

    Seit 10 Jahren lese ich auf Godmodetrader von immer den gleichen Leuten wie schlimm das System ist und das es bald den Bach runter geht. Am schlimmsten sind der Herr Hose und seine Adlaten :)) Wann geht denn nun die Welt unter ?

    21:47 Uhr, 30.04.2019
    2 Antworten anzeigen
  • Ich_bin_ein_Berliner
    Ich_bin_ein_Berliner

    Und Immobilien Preise damit Mietpreise wie in Ihrem Artikel beschrieben, SIND NICHT MITGERECHNET!

    NUN WER BEZAHLT MIETEN?

    Richtig sie genie Konsumenten,

    WAS KÖNNEN SIE DURCH HÖHERE MIETEN NICHT TUN?

    Richtig, konsumieren.

    WAS FOLGT DARAUS!?

    RICHTIG erwerbsarmut

    .

    Sie sind ja doch pfiffig

    Säure off

    20:36 Uhr, 30.04.2019

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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