Kommentar
09:00 Uhr, 25.03.2016

Handeln in einem nicht prognostizierbaren Markt

… ist eine Herausforderung, aber kein Hexenwerk. Nichts geht ohne ein tiefgründiges Verständnis der Theorie, aber selbst dann scheitert recht stetig profitables Trading meist an einem falschen Grundverständnis.

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  • DAX
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Die Prognostizierbarkeit von zukünftigen Ereignissen nimmt ab, je größer der direkte Einfluss des Menschen auf den zu prognostizierenden Prozess ist[1].

Auswirkungen von Entwicklungen, welche Naturgesetzen unterliegen, die Vorhersagbarkeit des Wetters, als auch die Erwartung des Ausgangs eines regelbasierten Spieles sind in dieser Reihenfolge mitunter zunehmend schwerer treffsicher zu beschreiben, aber die mögliche Trefferquote bewegt sich hier noch immer im oberen Bereich. Sehen wir uns dagegen politische Entwicklungen, wirtschaftliche Prozesse oder gar Kursentwicklungen an der Börse an, versagen unsere Prognosen in der Regel. Zwar können wir großflächig Entwicklungstendenzen definieren, doch sind temporäre Abweichungen so auffällig, dass sich vorhergesagte Entwicklungen entweder gar nicht oder nur stärk verzögert einstellen.

Die nachfolgende Grafik soll aufzeigen, was Prognostizierbarkeiten möglich macht und was diese verhindert.

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Wir unterscheiden zwei Arten von Systemen, welche einer Prognose unterzogen werden sollen: geschlossene und offene Systeme.

Kritiker könnten jetzt entgegenhalten, dass jedes System irgendwo als „geschlossen“ angesehen werden könnte, es nur eine Frage des Maßstabes sei, aber gerade in einem Prozess, der auf Ereignisse reagierende und in Wechselwirkung zueinander stehende Elemente enthält, wird es mit den uns heute zur Verfügung stehenden Bewertungsmethoden unmöglich, alle Eventualitäten abschätzen zu können.

Der dänische Wissenschaftler Per Bak befasste sich mit „linearen“ und „nichtlinearen“ Systemen. Als ein „lineares System“ beschrieb er ein Ereignis, welches eine Ursache und eine Wirkung hat, welche bei ausreichendem Sachverstand definiert und beschrieben werden können. Bak definierte dagegen ein System als „nichtlinear“, wenn dessen innere Dynamik regelmäßig die Annahme widerlegt, dass es auf eine bestimmte Aktion immer wieder dieselbe Reaktion hervorruft.[2] Der dänische Physiker und Biologe ging sogar noch einen Schritt weiter und behauptete, dass ein großer Teil dessen, was wir untersuchen können, als „nichtlinear“ angesehen werden kann.

Teilbereiche dessen, was wir in der hier besprochenen Thematik als „geschlossenes System“ bezeichnen, stellen sicherlich auch nichtlineare Systeme dar, aber dennoch können wir Prozesse, welche den Naturgesetzen unterliegen, immer genauer erklären und damit auch prognostizieren. Das gleiche gilt auch für die Vorhersage für das Wetter oder die Prognose für den Ausgang streng regelbasierter Spiele.[3] Der Grund ist, dass die hier nichtlinearen Prozesse eben nur Teilbereiche abdecken und somit übergeordnete Ergebnisse zulassen, welche nach dem Ursache – Wirkungsprinzip funktionieren. Ganz anders gestaltet sich die Betrachtung offener Systeme, welche im Grunde mit nichtlinearen Systemen gleichgesetzt werden können. Dazu gehören ganz besonders all jene Bereiche, welche von intelligenten, sich selbst und ihre Umwelt reflektierende beteiligte Subjekte (in unserem Sinne also von Menschen) ständig beeinflusst werden und in denen diese miteinander interagieren.[4]

Die Theorie der „nichtlinearen“ Systeme hält nun langsam auch Einzug in die aktuelle Politik- und Wirtschaftsforschung, denn hier haben wir eben den Sandhaufen mit denkenden und reflexiv interagierenden Sandkörnern.

An der Börse werden in Teilbereichen des Berufshandels die Erkenntnisse dieser Forschungsrichtung ebenfalls berücksichtigt. Dies hatte auch zur Folge, dass eine immer stärke Spezialisierung der Arbeitsbereiche im Investmentbanking stattfand. Als ich 1991 in der Deutschen Bank im Handel arbeitete, hieß der Bereich noch „Börse- und Fondsgeschäft“ und die Tätigkeiten waren stark auf die Betreuung der institutionellen Kunden ausgerichtet. Auch wenn es natürlich bereits konkrete Aufgabenunterteilungen und Verantwortlichkeiten gab, machte gefühlter Maßen dennoch fast jeder Händler alles, ausgerichtet auf die Bedürfnisse und Interessen seines Kunden. Anfang bis Mitte der 90er Jahre änderte sich diese Ausrichtung drastisch. Das, was man heute noch aus Spielfilmen kennt und was man gemeinhin von einem Händler erwartet (nämlich dass er große Strategin entwickelt und umsetzt, manipulativ in Kursentwicklungen eingreift und gigantische Positionen vor sich herschiebt, was man immer gern mit den ominösen „Big Boys“ in Verbindung bringt), gibt es in dieser Form kaum noch, zumindest nicht mehr im Berufshandel der Banken. Positions-Trading im großen Stil führen eigentlich nur noch investierende Fonds-Gesellschaften, Versicherungen bzw. große Hedge-Fonds durch – hier aber auch in einem anderen Sinne. Diese investieren langfristig, vorrangig auf Basis langfristig ausgerichteter, in der Regel fundamental basierter Strategien.

Die Aktivitäten der Banken im Trading-Bereich (Front-Office) teilten sich dagegen in zwei Schwerpunkt-Zentren auf: (a) Dienstleistungsbereich – hier werden Kundenaufträge auf Kommissionsbasis abgearbeitet und (b) kurzfristig ausgerichtetes Handeln (zumindest da, wo es auf Grund der strengeren Regulierungen noch möglich ist). Der Kunde wurde zum counterpart, und der Handel fokussierte jetzt darauf, Geld zu verdienen mit immer geringerem reflexiv bedingtem Risiko. Dass dennoch immer mal wieder große Verluste entstehen, welche ganze Krisen auslösen, bleiben dabei der nicht prognostizierbaren Reflexivität der Entwicklungen, ungenügendem Risikomanagement, unterschätzter Komplexität und dem Ineinandergreifen von produktbedingen Kursverzerrungen geschuldet.

Sehen wir uns die Seite des Tradings an. Das Handeln von Positionen, welche über einen längeren Zeitraum (Stunden, Tage, Wochen) gehalten werden, unterliegen den Risiken nichtlinearer Systeme, da die Börse das nichtlineare System schlechthin ist. Gewaltige Komplexitäten und nicht zu überschauende Reflexivitäten wirken auf eine solche Position ein und übersteigen unsere Fähigkeit, alle diese Faktoren zu kennen, zu bewerten und darauf richtig zu reagieren. Doch der Mensch wäre nicht ein Mensch, wenn er nicht versuchen würde, sich diesem Problem zu stellen. Im Ergebnis schufen die Marktakteure in den letzten Jahrhunderten Methoden, mit denen sie versuchten, eine für unseren Intellekt fassbare Orientierung zu schaffen. Dabei fällt auf, dass bisher alle zum Einsatz kommenden Methoden zwei auffällige Charakteristika haben: (a) sie basieren vorrangig auf den herrschenden Kerngedanken ihrer Entstehungszeit unter Berücksichtigung der zu dieser Zeit gängigen Rahmenbedingungen und (b) sie folgen unserem nur allzu menschlichem Bedürfnis, in klarem Ursache / Wirkungsdenken zu funktionieren. Das Erkennen dieser Tatsachen und die Möglichkeiten durch den technischen Fortschritt, gerade auf Grund der zunehmenden Komplexitäten vom großen umfassenden Marktbetrachtungsbild in Spezialbereiche ausweichen zu können, sind die Ursachen für den derzeit vorherrschenden extrem hohen Spezialisierungsgrad der Marktakteure.

Bevor ich auf eine Form der Spezialisierung, wie sie im Berufshandel bevorzugt praktiziert wird eingehe, möchte ich die Theorie dahinter noch etwas beleuchten.

Das Wissen um den Tatbestand, dass Märkte offene und nichtlineare Systeme sind, deren Entwicklung zumindest im Maßstab einer stetigen profitablen Handelbarkeit bei akzeptablem Risiko nicht prognostizierbar sind, wurden Systeme geschaffen (Analyse- und Handelsmethoden), welche geschlossenen bzw. linearen Systemen entsprechen und praktisch in das offene, nichtlineare System eingebettet werden.

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Dies gilt sowohl für den technischen, als auch für den fundamentalen Analyse- und Handelsansatz, ebenso für Aspekte der Portfoliotheorie, sowie Regelwerken der Wellentheorie und ähnlichem. Ein solches Vorgehen ist für sich genommen absolut in Ordnung, wird auch heute im Prinzip so weiterhin praktiziert, es sind allerdings mindestens zwei Prämissen zu berücksichtigen:

(Erstens) Uns muss klar sein, dass jeder der klassischen Analyse- und schlussendlich Handelsansätze keine Beschreibung einer übergeordneten „Wirklichkeit“ darstellt, sondern Versuche sind, uns eine Orientierung in einem real fragilen, offenen und nichtlinearen System zu geben. Dieser erste und wichtigste Fakt kann nicht oft genug wiederholt werden. Leider wird diese Tatsache jedoch immer wieder übersehen. Sätze wie „der Markt trifft dort und dort auf einen Kreuzwiderstand, von dem aus er abprallen wird mit einem Kursziel bis xy, von wo aus er sich wieder stabilisieren und bis yz erholen wird“, suggeriert, dass der Kursverlauf einer festen Logik folgt, während alle beteiligten Akteure hirnamputierte Zombies zu sein scheinen, denen sich die Weisheit des jeweiligen Analysten verschließt. Tatsache ist vielmehr, dass wir uns im Klaren darüber sein müssen, dass die sich aus solchen Regelwerken heraus beschreibbaren Szenarien nur dann entwickeln können, wenn temporär andere Interessen, andere Produktauswirkungen bzw. andere Reflexivitäten nicht auftreten und die in diesem Augenblick dominante Akteursgruppe im Markt ebenfalls diese Erwartungshaltung reflektiert. Aussagen wie obige sind vergleichbar mit einem heißen Kohleofen auf dünnem Eis.

(Zweitens) Wir sollten uns der Denkweise und der Rahmenbedingungen jener Zeit bewusst sein, als die noch heute beliebten bzw. bevorzugten Analysemethoden ihren Durchbruch erzielten. So werden in der Technischen Analyse noch heute im Brustton der Überzeugung Regelwerke postuliert, deren Ursprung Anfang des 20. Jahrhunderts liegt. Zu der Zeit gab es aber noch national begrenzte Märkte, kaum großflächige Kommunikationsmöglichkeiten, es dominierten Präsenzbörsen, in denen man noch von Angesicht zu Angesicht handelte (was auch die für unser Verstehen der Dinge notwendige nicht verbale Kommunikation erlaubte) und (der mit absolutem Abstand wichtigste Punkt) es gab einen nur rudimentär entwickelten Derivate-Markt. Doch sind es gerade diese Produkte, welche durch ihre Funktionsweise bzw. deren Handelsmöglichkeiten zu Bewegungstendenzen führen, welche bei Nichtkenntnis des tatsächlichen Handelsverständnisses zu falschen Schlussfolgerungen und Fehlern im Handel führen. Ich verweise auf den hohen Einfluss der Derivate in den Kursverlusten 1987, zur Russland-, Euro- und Asienkrise Ende der 90er, im Zusammenhang mit der Krise 2007 / 2008 und im kleinen Maßstab sogar auf den produktgetriebenen Abverkauf am Donnerstag, den 09. März 2016, nach Draghis Aussage, dass die EZB vorerst keine weiteren zusätzlichen Maßnahmen in Richtung weiterer Zinssenkungen plane. Doch ganz konkret heißt das doch, dass wir die Märkte heute noch immer mit Methoden beurteilen, welche einer Verkehrsordnung aus der Zeit der Pferdekutschen entspricht, obwohl bereits die ersten Elektroautos unterwegs sind.

Diese beiden Prämissen sollten deutlich machen, was im Zuge der zunehmenden Spezialisierung der Investmentbereiche der Finanzinstitute und der Verlagerung der Schwerpunkte des Handels – nämlich weg vom Positionshandel (der vorrangig den Fonds und Versicherungen bzw. Hedgefonds, aber auch Vermögensverwaltern vorbehalten bleibt), hin zum kürzerfristig ausgerichteten Tradings - zumindest als ein Antrieb dahingehend wirkte.

Sehen wir uns einige Aspekte der Spezialisierungen im Berufshandel an, zumindest im Hinblick auf den Trader. Jeder Händler verantwortet nur noch einen winzigen Teilbereich der gewaltigen Maschinerie, so dass er seinen Markt, seine Kontrahenten, seine Produkte (mit denen er direkt handelt oder welche direkt oder indirekt auf seinen Markt einwirken) und alle ihn betreffenden Abläufe kennt und beherrscht. Und mit „beherrschen“ meine ich „beherrschen“ und nicht „ich habe da mal was von gehört“. Konkret auf der DAX / FDAX bezogen ist es z.B. ein unumgängliches MUSS, den Ablauf der Index-Arbitrage zu verstehen, aber auch die Arbeitsweise des Optionshandels und die Wirkungsweise der Optionen zu verinnerlichen. Das Lesen einer Open Interest Tabelle gehört zum Grundwissen (wobei ich nicht die oft falschen Interpretationen auf youtube und ähnlichen Verbreitungsmedien meine).

Im Berufshandel war es zumindest bei uns in der Deutschen Bank üblich, sogenannte Marktpyramiden für jeden Handelsbereich, aber auch für jeden Trader zu erstellen (was aber die ernsthafteste Anwendung tatsächlich nur im Eigenhandel fand).

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Diese Pyramide beinhaltet alle relevanten und zu verinnerlichenden Informationen für den jeweiligen Händler in seinem jeweiligen Markt. In der ersten und unteren Etage der Pyramide werden die für diesen Bereich relevanten Akteure aufgeführt, ihre jeweiligen rechtlichen Handlungsrahmen definiert, die Produkte benannt, mit denen sie aktiv sind und die Usancen beschrieben (und auswendig gelernt). Etage Zwei umfasst die Beschreibung des Vorgehens der jeweiligen Akteursgruppe, am Beispiel konkreter, auswendig zu lernender Kursmuster (deren Spuren, welche sie hinterlassen). So lassen sich die Spuren der Kommissionsseite für finale Kunden hervorragend beschreiben und visualisieren, sofern diese Gruppe auch im Future direkt aktiv ist. Zu Verwischungen kommt es hier allerdings, wenn die finale Order in der Kasse abgearbeitet wird und somit nur über Arbitrage auf den Kurs des Futures einwirkt.[5] Ebenfalls auffällig und deutlich, lassen sich die Spuren der Trading-Seite (Kurzfristhandel) ablesen, welche auch indirekt charakteristische Muster ausbilden, sofern Auffälligkeiten über die Index-Arbitrage zu erwarten sind. Das heißt, die Akteure der Index-Arbitrage sind selbst und direkt nur sichtbar im Kursverlauf der Kasse und des Futures, wenn sie aktiv werden. Im Vorfeld lässt sich ein möglicher Start der Arbitrage nur über den Kurzfristhandel und sein Bewegungsverhalten ableiten. Die Optionsseite selbst zeichnet ihre Spuren über das Open Interest und wirkt auch über dieses auf die Kursentwicklung des Futures (und des Index). Hintergrund ist hier der sich zum Verfall hin verstärkende Delta-Gama Effekt.

In der dritten Etage der Pyramide werden alle Choreografin des Händlers selbst aufgeführt, mit denen er auf seine Wirte (Etage 1) und deren Wirken (Etage 2) reagiert / agiert.

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Und damit ist jetzt der Begriff gefallen, welcher den Handel des Kurzfristhandels am besten beschreibt: eine Choreografie.

Das für uns Menschen typische Denken ist die ständige Suche nach Analogien. Das durchzieht alles was wir interaktiv mit unserer Umwelt wahrnehmen. Für die Börse selbst, fehlen uns Analogien, da Börse an sich (besonders Computerbörsen) und ihre Reflexionen nicht in unserem evolutionären Schema vorkommen. Somit stellten und stellen wir in der Ausbildung von Händlern immer wieder fest, dass trotz der Vermittlung des notwendigen theoretischen Hintergrundwissens (welches übrigens das Primat darstellt und der praktische Handel letzten Endes nur noch das Ergebnis umfassenden Wissens ist) besonders im kurzfristigen Handel hin und wieder die Frage aufkommt: „Wann gehe ich denn nun in den Markt?“ oder Positionen bis zum Erreichen des Stopp-Kurses gehalten werden oder angelaufene Punktegewinne von 2 bis 5 Punkten als zu wenig angesehen werden, um zu reagieren.

Grund für diese wiederholt auftretenden Probleme und Schwierigkeiten sind fehlende Erfahrungen und damit fehlende Analogien. Mehr durch Zufall als durch gezieltes Nachdenken, trafen wir in der Ausbildung jedoch auf eine Analogie-Brücke, welche den Handel an der Börse (besonders im kurzfristigen Handel) ganz eindrucksvoll mit einer Analogie aus dem normalen Leben verbindet und damit Erfahrungen aus dem gleichen Gehirnareal aktiviert, wie wir dieses im Trading benötigen.

Ich rede vom Mannschaftssport, sei es Fußball oder Basketball, Handball oder ähnliche Sportarten, bei denen es notwendig ist, unter Anwendung von Regeln, Taktiken und Strategien, den Ball oder ähnliches mit der Mannschaft von A nach B zu bringen.

Ich möchte diese Analogiebrücke zwischen Fußball und kurzfristig ausgerichtetem Trading erklären. Da ich selbst kein begnadeter und auch nicht williger Fußballinteressierter bin, mag man mir Fehler im Fußballvokabular nachsehen.

Fußball und andere Mannschaftsspiele haben mit kurzfristig ausgerichtetem Trading vieles gemeinsam: es gibt Regeln, mit denen das Ziel erreicht werden kann, es werden Taktiken einstudiert und das praktische Vorgehen choreographisch trainiert und verinnerlicht, man lernt die Taktiken der Gegenmannschaft zu verstehen und darauf zu reagieren. Ein guter Fußballer „befestigt“ seinen Spannungsbogen beim Angriff am gegnerischen Tor, ohne diesen abreißen zu lassen, wenn er abspielen muss, nur weil seine ursprüngliche Taktik nicht aufgeht. Keine Mannschaft rennt resigniert vom Feld, nur weil ein Angriff aufs gegnerische Tor an der Verteidigung der Gegenseite scheiterte.

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Was macht ein gutes Spiel aus? Alle Teilnehmer / Spieler beherrschen das Spiel, beherrschen die Regeln und beherrschen Strategie und Taktik. Vergleichen wir das Spiel einer Liga-Mannschaft mit dem Spiel von kleinen Kindern bei ihren ersten spielerischen Versuchen, liegen Welten dazwischen. Bei den Kindern sehen wir ein Knäuel von Beinen und Armen um den Ball herum und ein vernünftiges, durchdachtes Spiel kommt nicht zustande. Folglich werden Tore eher zufällig geschossen und nur meist, weil der Torwart in dem Knäuel mitmischt.

Ähnlichkeiten finden wir im Kurzfristhandel. Im DAX können wir unterstellen, dass die marktbewegenden Akteure ausgebildete und regelbeherrschende Teilnehmer sind (der private Anleger spielt in einem institutionell dominierten Markt, dem DAX / FDAX kaum eine beeinflussende Rolle – anders als übrigens in den asiatischen Märkten, welche sehr stark Retail-dominiert sind). Der Markt selbst unterliegt Regularien, welche durch die Börse und übergeordnet durch die Aufsichtsbehörde vorgegeben sind. Und die Abläufe, mit denen besonders in diesem Zeitfenster agiert wird, allen voran von Trading-Seite (Scalping), aber auch die Vorgehensweisen, wie Finalorders abgearbeitet werden oder wie arbitriert wird, wie Auswirkungen des Open Interest bearbeitet werden, mit all ihren reflexiven Konsequenzen usw., sind vergleichbar mit dem Vorgehen (in Theorie und Praxis) im Fußballspiel. Wo schaut der Fußballer hin, wenn er stürmt und einen Spieler sucht, an den er den Ball abgeben will? Auf seine Füße? Auf den Ball? Wie legt er fest, wann er genau schießt? Zählt er die Schritte, bis er abdrückt? Muss er erst über irgendeine Linie? Nein, nichts von alle dem. Er spielt mit erhobenem Kopf und behält die Taktik im Auge, die gegnerischen Spieler, die eigenen Spieler. Er sucht aktiv Freiräume. Die Pässe selbst tritt er intuitiv – er berechnet nicht im Vorfeld, wie stark und in welchem Winkel er gegen den Ball tritt. Und genau das macht ein ausgebildeter und trainierter Trader auch. Er fokussiert auf sein (Kurs-) Ziel, händelt seine Position (er dribbelt), er schließt die Position temporär (gibt den Ball ab), wenn es ihm taktisch geboten scheint, nur um sie gleich wieder zu öffnen, wenn Dynamik in den Ablauf kommt. Der Spannungsbogen reißt nicht ab, wenn der Kontrakt zu ist, sondern erst, wenn der Kontrakt im Ziel ist oder aber die Rahmenbedingungen sich umdrehen und der Sturm abgesagt werden muss. Doch anders als im Spiel, wechseln wir im Kurzfristhandel die Handelsrichtung (wechseln praktisch die Mannschaftsseite). Im Idealfall sind wir immer in der Mannschaft, welche den Sturm nach vorne trägt.

Somit sollte deutlich werden, wie die richtige Reihenfolge sein sollte, wenn man die „Spielregeln“ kennen und beherrschen will / muss. Das Wissen um die gesamte Theorie ist das wichtigste und entscheidende Fundament. Ohne diese Basis wird man früher oder später zum Nettoeinzahler an der Börse. Aufbauend auf diese Theorie kommt die Beherrschung der Choreographie, daran führt ebenfalls kein Weg vorbei und dann, erst dann geht man auf das Feld.


[1] Dieser Sachverhalt wird allein schon dadurch überzeugend schlüssig, als dass der Mensch durch die Wechselwirkung seines Eingreifens in die ihn betreffenden Prozesse Beobachter und Beobachteter in ein und derselben Funktion ist. Dieser Sachverhalt wird durch die Theorie der Reflexivität widergespiegelt.

[2] Siehe hierzu die sehr interessanten Ausführungen von Joshua Cooper Ramo in „Das Zeitalter des Undenkbaren“, deutsche Erstausgabe von 2009 vom Riemann Verlag, München ab Seite 53 ff.

[3] So konnte die von Google erstellte Software AlphaGo, welche im Monat März 2016 in fünf Partien gegen den wohl weltbesten südkoreanischen Go-Spieler Young Sun Yoon spielte, in der zweiten Partie bereits eine halbe Stunde vor Ende des Spiels seinem Programmierer über Smartphone mitteilen, dass sie gewinnen werde. Siehe dazu „Spielzüge, die ein Mensch nie machen würde“ in Spiegel Online am 10. März 2016.

[4] Ein ganz typisches nichtlineares System ist z.B. ein immer höher aufgeschütteter Sandhaufen. Der dänische Wissenschaftler Bak stellte die Frage, ob eine Prognose erstellt werden könne, ab welcher Größe eine Seite des Haufens sicher abrutschen würde. Dieses Experiment wurde schließlich im Thomas L. Watson Laboratorium in Yorktown, New York, durchgeführt. Das Ergebnis war ernüchternd, bestätigte aber die These der nichtlinearen Systeme, da es absolut unmöglich war, eine exakte Prognose dafür zu errechnen. Je größer der betrachtete Sandhaufen war, umso komplexer wurde die Ausgangslage. Stellen wir uns jetzt noch vor, jedes Sandkörnchen könnte bewusst mit anderen Körnchen des Sandhaufens interagieren und dabei unterschiedlich auf die Prozesse reagieren und antizipieren, wäre die ohnehin schon unmögliche punktgenaue Prognose des Abrutschens einer Wand des Sandhügels absolut nicht zu bewerkstelligen.

[5] In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine immer wieder auffallende Unsinnigkeit verweisen, welche man mitunter in Börsenbriefen oder Kommentaren liest und hört. Hierzu vorab: der DAX (oder jeder andere Aktien-Index auch) ist KEIN direkt handelbares Produkt. Der DAX (oder andere Aktien-Indizes) ist praktisch nur ein Konstrukt aus den Aktien, welche ihn bilden. Das heißt, er errechnet sich aus dem Kurs dieser Werte (und ihrer jeweiligen Gewichtung). Handelbar als DAX ist das Konstrukt nur über einen Future (FDAX oder den Mini Future auf den DAX), über CFDs oder Optionen / Zertifikate. Aber all diese Dinge sind letztlich Derivate oder Ableitungen auf den DAX-Index. Berücksichtigen Sie diesen Sachverhalt bitte, wenn Sie lesen oder hören, dass der DAX-Index dort oder dort Widerstände oder Unterstützungen aufweist und dort abprallen wird. Für den Index selbst sind diese Marken absolut irrelevant, sie haben Trading-Relevanz nur über die Derivate auf den Index (oder über dessen Zertifikate). Stellen Sie sich eine große Kauforder in einer schweren Aktie im DAX vor. Diese Order treibt den Kurs der Aktie, damit steigt auch der Branchen-Index, aber auch der DAX selbst. Stellen wir uns weiter vor, der DAX erreicht nun einen „Widerstand“. Endet deshalb jetzt die Kauforder in der Einzelaktie? Solche Marken im Index können nur wirken in Phasen, in denen tatsächlich mal die Trading-Seite z.B. im Future dominiert und markentreu handelt. Aber das ist niemals ein Dauerzustand!

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Über den Experten

Uwe Wagner
Uwe Wagner
Technischer Analyst und Trader

Uwe Wagner arbeitete bereits während seines Wirtschaftsstudiums als Maklergehilfe an den Börsen in Berlin, Wien und Madrid. 1991 trat er dann in die Deutsche Bank AG ein, wo er eine fundierte Ausbildung im Wertpapier- und Derivatehandel erhielt – in Frankfurt/Main sowie in Chicago im International Trading Institute unter dem bekannten Warenhändler Toni Saliba. Innerhalb der Deutschen Bank AG durchlief Wagner diverse Etappen im Handelsbereich. So betreute er als DTB Market Maker zunächst diverse Werte, verantwortete anschließend den Options- und Future-Handel in der Deutsche Bank S.A. in Madrid und mehrere Jahre die spekulative Verwaltung von Teilen des Eigenkapitals der Bank über DB Advisor. Wagner baute innerhalb der Deutsche Bank AG das damals erste Internet-Tool für Technische Marktanalysen (dbS-Trade) auf und führte den systembasierten Handel in Future-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren auf dem FDAX und dem Bund-Future-Markt, den er täglich analytisch seziert, um daraus Handelsszenarien zu entwickeln und diese dann auch aktiv umzusetzen. Seit 2003 lebt und arbeitet Wagner in Hamburg. Uwe Wagner ist aktiv im FDAX und Bund-Future tätig.

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