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09:02 Uhr, 17.10.2019

Brexit hält Europa in Atem

Eine weitere Verlängerung der Brexit-Frist hätte BNY-Mellon-Anleihenexperte Howard Cunningham zufolge ein anhaltend geringes Wachstum, eine geringe Risikobereitschaft und extrem niedrige Renditen für britische Staatsanleihen zur Folge.

New York (GodmodeTrader.de) - Die Verhandlungen über den Brexit halten ganz Europa in Atem. „Anleger, die in britischen Staatsanleihen investiert sind, haben von der nicht enden wollenden Brexit-Saga profitiert: 15-jährige Gilts haben in diesem Jahr bislang 22 Prozent Rendite erzielt (Stichtag 30. September 2019), wie Howard Cunningham, Fixed Income Portfolio Manager bei Newton Investment Management – einer Investmentgesellschaft von BNY Mellon Investment Management, in einem Kommentar vom 15. Oktober 2019 schreibt.

Inzwischen mache sich zwar leiser Optimismus breit, dass ein Brexit-Vertrag zwischen der Europäischen Union und Großbritannien zustande komme. Allerdings sei der Weg dahin weiterhin schwierig: Möglich, dass es ein für die EU akzeptables Abkommen geben werde – auch möglich, dass es für das britische Parlament ein solches geben werde. Die Schwierigkeit bestehe nur darin, einen Vertrag zu schließen, der für beide Seiten gleichermaßen akzeptabel sei. Je mehr Zugeständnisse die britische Regierung mache, desto höher seien die Chancen auf ein Abkommen mit der EU. Gleichzeitig steige damit aber auch das Risiko, dass das britische Parlament einem solchen Abkommen nicht zustimme, heißt es weiter.

„Selbst wenn sich die unterschiedlichen Akteure auf einen Entwurf eines Abkommens einigen sollten, wird eine Ratifizierung bis zum 31. Oktober aber wohl unmöglich sein. Daher ist eine weitere Verlängerung erforderlich – entweder um mehr Zeit für die Ratifizierung zu haben oder im Falle einer Nichtvereinbarung andere Schritte einzuleiten, also Neuwahlen oder ein Referendum“, so Cunningham.

Dass der Markt eine weitere Verlängerung befürchte, sei daher nicht überraschend. Eine Verlängerung könnte zwar die schlimmsten Auswirkungen eines sofortigen harten Brexits vermeiden. Allerdings würden weitere Monate der Unsicherheit mehr Schäden in Hinblick auf Investitionen und das Verbrauchervertrauen verursachen, das Wirtschaftswachstum sowie das Pfund Sterling belasten, britische Staatsanleihen allerdings stützen, heißt es weiter.

„Das beste kurzfristige Ergebnis für das Pfund Sterling wäre es, wenn bis Ende dieser Woche ein Abkommen zustande käme. Wenn jedoch ein Abkommen ausbleibt, wird der Brexit wahrscheinlich in eine weitere Verlängerung gehen, die ein anhaltend geringes Wachstum, eine geringe Risikobereitschaft und extrem niedrige Renditen für britische Staatsanleihen zur Folge hätte“, so Cunningham.

Das Vereinigte Königreich sei nach wie vor auf ausländische Investitionen angewiesen, wobei ausländische Anleger etwa 28 Prozent des britischen Staatsanleihenmarktes hielten. Ein ungeordneter Brexit könnte dazu führen, dass sie ihre Anlagen in britischen Staatsanleihen überdenken würden. Die Bank of England würde höchstwahrscheinlich mehr Anleihen kaufen und inländische Investoren würden ihre Anteile an britischen Staatsanleihen als sicherem Hafen im Vergleich zu anderen britischen Anlageklassen erhöhen. Dies könnte die negativen Effekte etwas ausgleichen. Allerdings könnte ein Großinvestor, der seine Gilts verkaufe, deren Renditen in die Höhe treiben, heißt es weiter.

„Laut Institute of Fiscal Studies würde sich das Defizit Großbritanniens trotz eines Brexit-Deals auf 50 Milliarden Pfund Sterling fast verdoppeln, und die Schuldenquote käme nah 90 Prozent heran – ein Niveau, das seit Mitte der 1960er Jahre nicht mehr erreicht wurde. Im Falle eines ‚No Deals‘ könnte sich das Defizit erneut verdoppeln, und zwar auf über 100 Milliarden Pfund Sterling – und das selbst dann, wenn mögliche Beeinträchtigungen auf ein Minimum beschränkt blieben“, so Cunningham.

Darüber hinaus hätten die Ratingagenturen Großbritannien bereits nach dem EU-Referendum 2016 herabgestuft und angekündigt, dass sie das Rating im Falle eines ungeordneten Brexits weiter herabsetzen würden. Geringe Herabstufungen von Staatsanleihen mit guter Bonität führten nicht unbedingt zu höheren Kosten für die jeweiligen Staaten. In den USA und Kontinentaleuropa sei in den letzten Jahren sogar das Gegenteil der Fall gewesen. Das Verhältnis zwischen Ratings und Risikoaufschlägen sei jedoch nicht linear und aufeinanderfolgende Herabstufungen könnten sich negativ auswirken, heißt es abschließend.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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