Kommentar
09:08 Uhr, 05.10.2016

Brasilien: Bahn frei, aber für was?

Nachdem klar wurde, dass die inzwischen ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff nicht mehr lange im Amt sein würde, legte Brasilien los. Nicht einmal die Zinsen können das Land aufhalten.

Vergleicht man das Zinsniveau in Brasilien mit dem bei uns, dann fragt man sich, wie es möglich ist, dass ein Land unter solchen Bedingungen überhaupt wachsen können soll. Der Leitzins liegt bei 14,25 %. Dieser liegt schon eine ganze Weile so hoch. Die Notenbank will damit die hohe Inflation bekämpfen.

Die Inflation ist zuletzt gesunken. Noch zu Jahresbeginn lag sie bei 11 %, heute steht sie bei 9 %. Das hat wenig mit der Zinspolitik der Zentralbank zu tun. Vielmehr ist ein Umschwung im Investorensentiment dafür verantwortlich. Nach einem katastrophalen Selloff von Emerging Markets zu Jahresbeginn entdeckten Anleger plötzlich ihre Liebe für Hochzinsländer wieder. Es strömte Geld ins Land und die Währung wertete auf. In der Folge wurden Importe billiger und die Inflation sank.

Brasilien geht es deswegen nicht unbedingt besser. Das Wirtschaftswachstum ist noch immer stark negativ. Kurzfristig ändert sich das nicht. Die Lage wird zwar besser, doch bis wieder ein stabiler Wachstumspfad gefunden wird, vergeht noch etwas Zeit. Das zeigt auch die Zinskurve (Grafik 1), die kurzfristig invertiert ist.

Die kurzfristigen Zinsen liegen bei 13 %. Das ist unterhalb des Leitzinses. Der Markt geht also davon aus, dass die Zinsen gesenkt werden. Andernfalls macht eine invertierte Zinskurve keinen Sinn. Theoretisch kann man Geld risikolos höher verzinsen. Das geht allerdings nur sehr kurzfristig (Tagessicht). Will man Geld für ein Jahr anlegen, muss man in den Kredit- bzw. Anleihemarkt. Geht der Markt von Zinssenkungen aus, dann sind Geschäfte mit längerer Laufzeit auch geringer verzinst als die ganz kurzfristigen.

Die Inversion der Zinskurve macht Sinn. Was allerdings kaum sinnvoll erscheint, das ist der Verlauf der Zinskurve ab dem dritten Jahr. Die Zinskurve ist flach, absolut flach. Dagegen ist selbst die japanische Zinskurve ein wahrer Brenner.

In Grafik 1 erkennt man das nicht besonders gut. Brasiliens Zinskurve steht ziemlich konkurrenzlos weit oben und lässt alle anderen ziemlich mickrig erscheinen. Man kann Zinskurven aber auch anders darstellen. Das macht Grafik 2, in der die kurzfristigen Zinsen von den Zinsen mit längerer Laufzeit abgezogen werden. Durch diese Subtraktion werden die Zinskurven vergleichbar, weil nur noch der Anstieg angezeigt wird.

Für Brasilien zeigt sich durch negative Werte zunächst, dass die Kurve invertiert ist. Erst am langen Ende stehen die Zinsen ein klein wenig höher als aktuell. Zwischen dem kurzen und dem langen Ende liegt ein Unterschied von gut 0,3 Prozentpunkten. Selbst in Japan gibt es mehr. Hier erreicht der Wert 0,7 Prozentpunkte.
Brasiliens Zinskurve ist, kurz gesagt, flach wie eine Ebene. Das Wall Street Journal bezeichnete sie sogar als flachste Zinskurve der Welt. Per se ist das schon bemerkenswert. Noch viel interessanter ist die Aussage dahinter, denn es gibt keine.

Bei einer invertierten Zinskurve (invertiert nicht nur auf Sicht von 2 Jahren, sondern mindestens 5 bis 10 Jahre, wie es vor Rezessionsbeginn vorkommt) ist die Aussage klar: es droht eine Rezession. Steigt die Zinskurve an, dann ist auch klar, worum es geht: Aufschwung. Steigt die Zinskurve an, geht der Markt davon aus, dass die Zinsen mittelfristig steigen. Das geschieht für gewöhnlich, wenn die Wirtschaft wächst und nicht, wenn sie schrumpft.

Auf mittel- und langfristige Sicht zeigt die brasilianische Zinskurve nun weder eine Beschleunigung (steigende Zinskurve), noch eine sich verschärfende Rezession (invertierte Kurve) an. So bleiben, wie es ist, kann es aber auch nicht ewig. Die Wirtschaft schrumpfte zuletzt mit einer Jahresrate von 3,8 %. Die absolut stabile Zinskurve zeigt also auch keinen stabilen Zustand der Wirtschaft in den kommenden Jahren an. Stabil hieße eine Fortsetzung der Rezession. Eine Reduktion der Wirtschaftsleistung um 3,8 % pro Jahr hält keine Wirtschaft lange aus. Es ist unwahrscheinlich, dass die Zinskurve also einen stabilen Zustand impliziert.

Beobachter gehen von zwei Faktoren aus, die die flache Zinskurve erklären. Einerseits ist die Inflation nach wie vor hoch, was weiterhin gegen eine Zinssenkung spricht, andererseits befindet sich das Land in einer Rezession, was wiederum für eine Zinssenkung spricht. Ob sich die Zinskurve so einfach erklären lässt, sei dahingestellt. Gerade das lange Ende der Kurve spiegelt Erwartungen wider. Diese gibt es derzeit schlichtweg nicht.

Clemens Schmale

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Über den Experten

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Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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