Fundamentale Nachricht
14:25 Uhr, 03.11.2020

Bei Zweifeln an Impfstoffen sind Tests umso wichtiger

Robert M. Almeida, Portfoliomanager und Globaler Investmentstratege bei MFS Investment Management, geht davon aus, dass Lifesciences-Unternehmen, von denen einige COVID-19- Testkits produzieren, weltweit nachhaltigere Gewinne erwirtschaften als Firmen aus dem sehr wettbewerbsintensiven Impfstoffmarkt.

Die meisten Impfstoffmärkte sind Monopole oder Duopole. Bei COVID-19 berichtet die Weltgesundheitsorganisation aber, dass für 42 Impfstoffkandidaten klinische Tests durchgeführt werden und dass sich über 149 in der vorklinischen Phase befinden. Das Feld ist groß, und hoffentlich gibt es am Ende gleich mehrere Gewinner. Natürlich wünschen wir uns ein großes Angebot, intensiven Wettbewerb und Erfolge für alle Beteiligten. Aber wie sieht es für Investoren aus?

Weltweit werden mit Impfstoffen jedes Jahr etwa 30 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Je optimistischer die Anleger die Entwicklung von Coronavirus-Impfstoffen einschätzen, desto mehr investieren sie in Biopharma-Titel. Ihre Marktkapitalisierung ist um fast 100 Milliarden US-Dollar gestiegen. Wenn die Aktienkurse die zukünftigen Cashflow-Erwartungen abbilden, ist man am Markt tatsächlich sehr optimistisch. Man rechnet mit erfolgreichen Entwicklungen, dauerhaft hohen Preisen und regelmäßigen Umsätzen.

Nach der behördlichen Genehmigung sind die Massenproduktion und der flächendeckende Vertrieb von Impfstoffen aber nicht trivial. Heute produzieren China und Indien den Großteil der Impfstoffe weltweit, was zu Engpässen führen kann. Auch könnten die Luftfrachtkapazitäten nicht ausreichen. Da Impfstoffe gekühlt werden müssen, könnte es gerade in warmen Regionen wie Afrika, Asien und Mittelamerika zu Lieferverzögerungen kommen.

Herstellung und Auslieferung von Impfstoffen sind das eine. Es ist aber auch keineswegs auszuschließen, dass ihre Wirksamkeit für eine baldige Herdenimmunität nicht ausreicht. Die Wirksamkeit von Grippeimpfstoffen in den USA in den vergangenen zehn Jahren hält sich in Grenzen und ist in den letzten Jahren weiter zurückgegangen.

Hinzu kommt, dass manche Menschen bei neuen Impfstoffen skeptisch sind. Angesichts der Politisierung von COVID-19 könnte der Anteil der Impfverweigerer jetzt noch größer sein als sonst. Theoretisch würde eine COVID-19-Impfung mit einer 50-prozentigen Wirksamkeit (was dem Durchschnitt der Grippeimpfungen der letzten zehn Jahre entspricht) bei einer Impfquote von 50 Prozent nur 25 Prozent der Bevölkerung immunisieren. Eine simple Annahme mit weitreichenden Konsequenzen: eine 25-prozentige Immunisierung würde weit unter jenen 70 bis 90 Prozent liegen, die Epidemiologen oft als Voraussetzung für Herdenimmunität nennen.

Wir brauchen deshalb mehr COVID-19-Tests. Solange Entwicklung, Produktion, Verteilung und Akzeptanz von Impfstoffen problematisch bleiben, lassen sich Ansteckungen verhindern oder begrenzen, wenn infizierte Menschen frühzeitig erkannt und isoliert werden. Auch wenn sich die Menschen dank neuer Therapien schneller von COVID-19 erholen und weniger Krankenhausaufenthalte nötig sein werden, muss die Zahl der Tests massiv heraufgefahren werden.

Die Testkapazitäten haben bereits stark zugenommen. Nach Angaben des COVID Tracking Project ist die Zahl der Tests in den USA im Frühjahr und im Frühsommer exponentiell gestiegen. Zuletzt ist die Wachstumsrate zwar etwas zurückgegangen, doch liegt der gleitende 7-Tages-Durchschnitt zurzeit nur knapp unter einer Million Tests täglich. Aber auch das ist nicht genug.

Nach einer Studie der Duke University und der Rockefeller Foundation gehen etwa 30 bis 60 Prozent der Fälle auf Ansteckungen durch asymptomatische Infizierte zurück. Der Studie zufolge benötigen die USA bei der derzeitigen Infektionszahl jeden Monat etwa 200 Millionen Tests. Zurzeit sind es aber nur etwa 25 Millionen. Da sich das Virus wohl noch einige Zeit ausbreiten wird, wären Massentests der beste Weg zu einer Normalisierung des Lebens.

Impfstoffe im Blick, Testkit-Hersteller werden unterschätzt

Am Markt für Biotechnologieaktien – und vielleicht auch am Finanzmarkt insgesamt – rechnet man mit großen Erfolgen bei der Impfstoffentwicklung. Wir glauben unterdessen, dass Investoren das Potential von Testkit-Herstellern und -Dienstleistern unterschätzen.

Lassen Sie uns transparent sein: Vielversprechende Lifesciences-Unternehmen, Medizintechnikhersteller und Gesundheitsdienstleister sind in vielen unserer Aktienstrategien seit Jahren übergewichtet. Wir glauben, dass diese Firmen für Investoren langfristig aus mehreren Gründen interessant sind.

- Razorblade-Geschäftsmodell: Nach dem Verkauf eines (günstigen) Basisprodukts erzielt man berechenbare, margenstarke Umsätze mit Verbrauchsmaterialien.

- Wissenschaftler als Kunden: Ihnen sind Qualität, Produkteigenschaften und Genauigkeit wichtiger als niedrige Preise, sie legen Wert auf Innovationen und akzeptieren höhere Preise.

- Nischenmärkte: An den verschiedenen Endmärkten haben wenige innovative Unternehmen oft hohe Marktanteile.

Wir glauben, dass all dies zu nachhaltigen, langfristigen Wettbewerbsvorteilen führt. Auch deshalb waren die Erträge in der Vergangenheit recht gut und die Gewinne stabil.

Einige der größten Lifesciences-Unternehmen entwickeln und produzieren nicht nur COVID-19- Testkits, sondern auch Impfstoffe und Medikamente, für die sie außerdem Qualitätstests durchführen. Für uns ist es kein Zufall, dass die gleichen innovativen Firmen, die Testkits entwickeln, auch in der Impfstoffentwicklung aktiv sind – und damit heute wie in Zukunft wohl eine wichtige Rolle bei der COVID- 19-Bekämpfung spielen werden.

Letztlich glauben wir, dass Lifesciences-Unternehmen weltweit nachhaltigere Gewinne erwirtschaften als Firmen aus dem sehr wettbewerbsintensiven Impfstoffmarkt. Ein Großteil ihrer Umsätze mit Testkits wird wegfallen, wenn Massenimpfungen für eine Grundimmunität sorgen. Aber sie können sie für Investitionen, Innovationen und zukünftiges Wachstum nutzen. Die Unternehmen könnten dann an ihre derzeitigen Erfolge anknüpfen.

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