Fundamentale Nachricht
10:55 Uhr, 19.07.2016

Alles scheint möglich

Nach dem Brexit-Referendum als „bekanntem Unbekannten“ hat nach Meinung von Didier Le Menestrel, Chairman von La Financière de l’Echiquier, nun die Zeit der „unbekannten Unbekannten“ begonnen.

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  • EURO STOXX 50
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    Kursstand: 2.914,00 Pkt (Deutsche Bank Indikation) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Paris (GodmodeTrader.de) – Hätte es nicht eine Rallye am Tag vor dem britischen Votum gegeben, wären die Beteiligten zweifellos besser vorbereitet gewesen. Doch am Donnerstag davor (dem 23. Juni) stiegen die Aktien um zwei Prozent und der Grund dafür schien klar zu sein, da die Hedgefonds-Manager bestimmt gut informiert waren: Es würde zu einem „Bremain“ kommen. Diejenigen, die nicht noch über Mitternacht hinaus wach geblieben waren, erfuhren es erst beim Aufwachen – beim ersten Blick auf ihr Smartphone oder aus dem Radio: Letztendlich hatte das „Brexit“-Lager gesiegt. Dies sorgte für Katerstimmung, obwohl man völlig nüchtern ins Bett gegangen war und es würde ein langer Tag werden, wie Didier Le Menestrel, Chairman von La Financière de l’Echiquier, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Als man ins Büro gekommen sei, hätten sich die Stresstests als zuverlässig erwiesen: Die europäischen Märkte würden vermutlich um zehn Prozent einbrechen. Der Vorteil der „bekannten Unbekannten“ sei, dass man sich auf sie vorbereiten könne. Man könne Crashtests machen, „What if“-Szenarios durchspielen und all diese englischen Begriffe durchprobieren, die die Angst bezifferten und die möglichen Schäden mäßen. Denn im Gegensatz zur Pleite von Lehman Brothers habe man sich den Brexit schon vor zwei Jahren in den Kalender eingetragen: eine bekannte Unbekannte mit exakt zwei Möglichkeiten, die an der Börse nur zu Erleichterung oder zu einer empfindlichen Bestrafung führen konnte, heißt es weiter.

„Nun – nach Verabreichung der Prügel – beginnt die Zeit der ‚unbekannten Unbekannten‘. Alles scheint möglich: weitere Referenden in Europa, eine Zunahme des Populismus, das Auseinanderbrechen der Eurozone und sogar... ein Zurück! In Anbetracht der Anzahl der Petitionen, die eine erneute Abstimmung fordern, und des geringen Eifers des Vereinigten Königreichs bei der schriftlichen Beantragung seines Austritts, könnte man sich fast vorstellen, dass sich all das als großes Missverständnis erweist und dies mit weiteren Zugeständnissen an das Vereinigte Königreich endet“, so Le Menestrel.

Doch bleibe man bei den wahrscheinlichsten Hypothesen. Zahlreiche Funktionsmodi würden heraufbeschworen: das Schweizer Modell, das norwegische Modell, das kanadische Modell. Alle Texte und Verträge, die dem Vereinigten Königreich als Inspiration bei der Organisation seines Handels mit der Europäischen Union dienen könnten, würden haarklein untersucht. Es gebe zahllose Möglichkeiten. Zugegeben, man lese hier und da Schätzungen zum Wachstum in Großbritannien oder Europa vor dem Hintergrund der neuen Ausgangssituation, doch gebe es dabei sehr große Unsicherheiten: Was das britische Wachstum betreffe, so schwankten die Prognosen zwischen minus 0,25 und minus 2,50 Prozent pro Jahr, heißt es weiter

„Überdies sind die einleitenden Vorbehalte derjenigen, von denen diese Prognosen stammen, zahlreich. Man merkt, dass sie sich nicht gerade sicher sind. Also muss man jetzt auf Sicht navigieren, sich an greifbare Informationen – beispielsweise die Ergebnisse der Unternehmen – klammern und sich auch daran erinnern, dass nicht zwangsläufig das Verderben droht. Die Schweiz oder auch Norwegen fahren recht gut damit, der Union nicht anzugehören. Letztendlich sind nur die kurzfristigen negativen Auswirkungen dieses Votums für das Vereinigte Königreich sicher. Die Beantragung von Artikel 50 und die beiden Jahre der anschließenden Verhandlungen werden die britische Wirtschaft kurzfristig belasten. Aber wer weiß, wie es in zehn Jahren aussehen wird? Diese Geschichte ist noch nicht geschrieben. Es ist vielleicht unvermeidlich bei der Aufgabe, diese europäische Geschichte ständig neu zu schreiben, ein nie erreichtes Ideal anzustreben und dabei die folgende Definition von Milan Kundera im Kopf zu behalten: ‚Ein Europäer ist derjenige, der Sehnsucht nach Europa hat.‘ Wir fühlen uns derzeit sehr als Europäer“, so Le Menestrel.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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