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15:05 Uhr, 17.02.2009

Abruptes Ende für das russische Wirtschaftswunder

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In den vergangenen Jahren kam Russlands Wirtschaft in den Genuss von strammen Wachstumsraten. Doch mit den gefallenen Rohstoffpreisen und der weltweit belastenden Kreditkrise hat sich der Wind inzwischen gedreht. Bei dem aufgekommenen Gegenwind handelt es sich dabei nicht um ein flaues Lüftchen, sondern um eine scharfe Brise.

Zumindest hat die wirtschaftliche Dynamik so stark nachgelassen, wie das in so kurzer Zeit selten zu beobachten ist. Nachdem sich das Plus beim Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr noch auf acht Prozent belief, hatte es sich im dritten Quartal schon auf 6,2 Prozent abgeschwächt und für das Gesamtjahr 2008 stand dann letztlich noch ein Anstieg von 5,6 Prozent zu Buche. Das lässt darauf schließen, dass die Wirtschaft im vierten Quartal nur noch wenig gewachsen ist.

Und es spricht vieles dafür, dass sich der Negativtrend, der von einer massiven Abwertung der Landeswährung Rubel begleitet wurde, in diesem Jahr fortsetzen wird. Die meisten Volkswirte rechnen inzwischen mit einer Stagnation oder einer leichten Schrumpfung der Wirtschaftsleistung. Wobei Pessimisten wie die Volkswirte bei Goldman Sachs sogar ein Minus von 3,5 Prozent befürchten. Auch der New York University Professor Nouriel Roubini, der durch seine Vorhersage der Krise in Amerika berühmt wurde, hält eine Kontraktion von drei bis vier Prozent für möglich.

Wachsende volkswirtschaftliche Probleme querbeet

Ganz egal, wie tief der Abschwung ausfallen wird, ein Selbstläufer ist die russische Wirtschaft längst nicht mehr. Vielmehr sind jetzt die Verantwortlichen gefragt, mit geeigneten Maßnahmen gegenzusteuern. Jetzt wird sich auch zeigen müssen, wie gut die Führungsriege wirklich ist. Die vergangenen Jahre können nicht unbedingt als Maßstab dafür herangezogen werden, ob gute oder schlechte Arbeit geleistet wurde. Denn die da noch gute konjunkturelle Entwicklung war zu einem Großteil schlicht und einfach auf die stark gestiegenen Rohstoffpreise sowie die allgemein boomende Weltwirtschaft zurückzuführen. Ob Ministerpräsident Putin, der die aufkommenden Probleme lange leugnete, den Ernst der Lage schon erkannt hat, ist offen. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat der russische Regierungschef Presseberichten zufolge die anwesenden Top-Manager mit einem aggressiven und überheblichen Verhalten jedenfalls erst kürzlich noch vor den Kopf gestoßen.

Im Kampf gegen den Abschwung greift die Politik ansonsten auf ähnliche Maßnahmen zurück, wie das auch die meisten anderen Länder tun. Das heißt, auch Russland vertraut auf staatliche Konjunkturprogramme. Allerdings hat man dabei auch erzwungen durch das wachsende Ausmaß der Probleme jüngst einen Schwenk in der eingeschlagenen Strategie vorgenommen. Statt der Rettung einzelner Firmen und Industrien plant Russland nun, die Wirtschaft durch massive Kapitalinjektionen in den Bankensektor zu stützen. Zu diesem Zweck startet Russland eine zweite Welle (schon zuvor waren mehr als 200 Mrd. Dollar an Krediten, Finanzspritzen, Steuererleichterungen und anderen Maßnahmen zugesagt worden) von Hilfsmaßnahmen für Banken, indem es angeschlagenen Instituten nach 26 Mrd. Dollar im vergangenen Jahr nun weitere 40 Mrd. Dollar zur Verfügung stellt. Davon sind 5,5 Mrd. Dollar als direkte Eigenkapitalspritzen vorgesehen. In einem ersten Schritt soll die VTB als zweitgrößte Bank des Landes rund fünf Mrd. Dollar an Kapitalhilfen erhalten.

Doch es wird nicht nur Geld ausgegeben, sondern auch an der Ausgabenseite gedreht. Die Zahl der Schlüsselunternehmen, die Priorität für Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bankensektors erhalten sollen, wird von zuletzt 295 Firmen drastisch zusammengestrichen. Dazu zählen nun nur noch die Rüstungsindustrie, der Gaskonzern Gazprom, Stromerzeuger sowie die Eisenbahnen. Alles andere wäre auch fatal gewesen, belief sich der Staatsanteil an der Wirtschaft doch Ende 2008 schon auf zu hohe 45 Prozent. Angaben von Regierungsvertretern zufolge sollen zudem drastische Haushaltskürzungen vorgenommen werden. Dieser Ansatz scheint sehr vernünftig, denn mit dem gefallenen Ölpreis ist auch Russland nicht mehr so auf Rosen gebettet wie zuvor. Die Devisenreserven sind zwar noch immer die drittgrößten der Welt, aber sie sind in den vergangenen Monaten drastisch geschrumpft. Und falls die globale Finanzkrise auch im Jahr 2011 anhält, dann befürchtet die Osteuropabank, dass die Devisenreserven des russischen Staats demnächst aufgebraucht sein könnten. Vorbei sind auch die Zeiten hoher Haushaltsüberschüsse. Wegen der sinkenden Öl-Einnahmen könnte das Staatsdefizit in diesem Jahr bis zu acht Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen, heißt es aus Beraterkreisen des Kremls. Finanzminister Alexej Kudrin rechnet bislang mit einem Fehlbetrag von 6,1 Prozent.

Ratingagenturen senken den Daumen

In die falsche Richtung hat sich zuletzt auch der Kapitalfluss entwickelt. Im Vorjahr musste bereits ein Nettokapitalabfluss von 130 Mrd. Dollar hingenommen werden und in diesem Jahr hält Finanzminister Kudrin einen weiteren Nettokapitalabfluss von 100 bis 110 Mrd. Dollar für möglich. Doch damit nicht genug. Auch die Inflation ist mit Werten von mehr als zehn Prozent noch längst nicht wieder im grünen Bereich. Zudem droht die Leistungsbilanz, die sich im vierten Quartal so stark verschlechtert wie noch nie zuvor mit einem Quartalsrückgang von 19 Mrd. Dollar, ins Minus zu rutschen. Und die Banken und Unternehmen des Landes haben Probleme bei der Refinanzierung ihrer Schulden. Die Bruttoauslandsverschuldung belief sich Anfang Oktober auf 540 Mrd. Dollar, wobei 197 Mrd. Dollar auf die Banken und 270 Mrd. Mrd. Dollar auf andere Unternehmen entfielen. Insgesamt müssen in 2009 wohl 117 Mrd. Dollar davon zurückgezahlt werden.

In Reaktion auf diesen Datenkranz hat die Ratingagentur Fitch am 4. Februar Russlands langfristiges Länderrating von BBB+ auf BBB herabgestuft und auch der Ausblick für die langfristige Bonitätsbewertung bleibt negativ. Mit BBB ist die Bewertung des Landes nun gerade noch zwei Stufen über dem Ramsch-Status. Bereits im Dezember hatte mit Standard & Poor's die erste Agentur seit zehn Jahren die Kreditwürdigkeit Russlands herabgesetzt. Experten gehen nun davon aus, dass sich nun auch die dritte Ratingagentur Moody's anschließt. Die Herabstufungen verteuern für das Land die Beschaffung von frischem Kapital. Eine weitere Abstufung kann man sich folglich nicht wirklich leisten. Vielleicht war es deshalb gar nicht so verkehrt, trotz Wirtschaftskrise die Leitzinsen zum Schutz des Rubels wie eben erst geschehen zu erhöhen.

Die rund ein Jahrzehnt vorherrschenden Überschüsse in der Leistungsbilanz und im Staatshaushalt sind jedenfalls voraussichtlich fürs Erste passé und damit steht Russland längst nicht mehr so solide da wie in den vergangenen Jahren. Und die Lage könnte sich weiter eintrüben, falls die Prognosen stimmen, die für 2009 einen Rückgang der Immobilienpreis um bis zu 40 Prozent nicht für ausgeschlossen halten. Das dürfte dann auch den Konsum belasten, der sich zusehends zu einer Konjunkturstütze entwickelt hatte. Die Krise trifft dabei im Übrigen nicht nur den Mann auf der Straße und Lieschen Müller, sondern auch die Ultrareichen müssen den Gürtel enger schnallen. Jüngsten Presseberichten zufolge hat sich die Zahl der Dollar-Milliardäre in Russland im vergangenen Jahr von 101 auf 49 mehr als halbiert. Das gemeinsame Vermögen der zehn reichsten Menschen in Russland ist 2008 demnach um 66 Prozent auf 75,9 Mrd. Dollar gesunken. Trotz des Spruchs „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, ist das aber natürlich kein echter Trost.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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