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15:05 Uhr, 25.02.2009

Wie tief steckt Russland in der Krise?

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Angelika Millendorfer, Leiterin Emerging Markets Equities bei Raiffeisen Capital Management

Die Aktienkurse russischer Unternehmen haben in den vergangenen neun Monaten bis auf wenige Ausnahmen ein regelrechtes Blutbad erlitten. Kollabierende Rohstoffpreise, Zwangsliquidationen fremdfinanzierter Aktienpositionen und der sich abzeichnende globale wirtschaftliche Einbruch waren einige der treibenden Faktoren.

Gleichzeitig sind die Anleihenmärkte für die allermeisten russischen Unternehmen bereits seit Monaten faktisch tot und als Refinanzierungsquelle bis auf weiteres nahezu unerreichbar. Zuletzt sorgte der fallende Rubel für neuerliche Verunsicherung und eine Spirale aus Kapitalflucht und weiterer Abwertung. Die schwelenden Konflikte mit Georgien und der Ukraine taten ihr Übriges, um Anleger von neuen Investments in Russland erst einmal abzuhalten.

Russlands Position weitaus besser als in der Krise 1998

Trotz einer zweifellos schwierigen und sehr angespannten Situation für die russische Wirtschaft sind Vergleiche mit der Russlandkrise 1998, wie sie zuweilen angestellt werden, jedoch abwegig. Im Gegensatz zu damals sind es in erster Linie externe Faktoren, die zu den aktuellen Problemen geführt haben und Russland befindet sich heute in einer ungleich besseren Ausgangsposition, um dem Sturm zu trotzen. Letzteres gilt sowohl für die politische als auch für die wirtschaftliche Verfassung des Landes.

Nur wenig geändert hat sich seit 1998 allerdings an der starken Abhängigkeit Russlands von Rohstoffexporten, vor allem Öl und Gas. Deren Preisanstieg stellte in den vergangenen Jahren eine immer stärker sprudelnde Einnahmequelle, vor allem für den Staatshaushalt dar. Mit dem starken Verfall der Öl- und Gaspreise und dem globalen konjunkturellen Einbruch gerät das gesamte Wirtschaftsgefüge Russlands schlagartig in Bedrängnis. Die Wachstumsprognosen wurden seitens der großen internationalen Banken und Brokerhäuser entsprechend dramatisch nach unten korrigiert. Ging der Analystenkonsens im September 2008 noch von rund sieben Prozent realem Wachstum für 2009 aus, so wird jetzt gerade einmal ein Prozent veranschlagt.
Regierung fokussiert auf Bankensystem, Kreditvergabe und Währungsmanagement

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hat Russland bislang kein milliardenschweres Infrastrukturprogramm geschnürt. Stattdessen konzentriert sich die Regierung vor allem auf die Stabilisierung des russischen Bankensystems und die Stimulierung der inländischen Kreditvergabe, auf gezielte Steuererleichterungen und auf eine einigermaßen kontrollierte Abwertung des Rubels (rund 40 Prozent Wertverlust seit August 2008).

Dessen Kursrutsch in den letzten Wochen hat zwar für viele Schlagzeilen gesorgt. Letztlich vollzieht er damit aber nur nach, was andere Währungen osteuropäischer Länder sowie von Rohstoffexporteuren bereits längst hinter sich haben. Auch wenn eine weitere Abwertung nicht auszuschließen ist, scheint der Rubel fürs erste einen Boden gefunden zu haben.
Bodenbildung bei Aktien möglich – Öl- und Gaswerte favorisiert

Einen solchen könnten derzeit auch die Aktien ausbilden. Selbst unter der Annahme deutlich niedrigerer Gewinne sind die Bewertungen sehr attraktiv. Selektivität ist freilich Trumpf. Wir favorisieren derzeit vor allem Öl- und Gaswerte, da wir mittel- bis langfristig von höheren Rohstoffpreisen ausgehen. Bei den Banken ist angesichts der zu erwartenden Zunahme von Kreditausfällen vielfach noch Vorsicht geboten. Pharma-, Versorger- und Telekommunikationstitel sind zwar defensiver, dafür aber auch etwas höher bewertet.

Während Exporteure durch die Rubelabwertung eine deutlich verbesserte Kostenstruktur vorfinden, dürften für stark in Fremdwährungen verschuldete Unternehmen noch schwere Zeiten bevorstehen. Russische Unternehmen stellten in den letzten Jahren die größte Emittentengruppe unter den Emerging Markets dar, platzierten aber seit August 2008 faktisch keine einzige Auslandsanleihe mehr. Es spricht vieles dafür, dass sie für die Refinanzierungen von fälligen Auslandsverbindlichkeiten zumindest in diesem Jahr nahezu ausschließlich auf den Staat und seine Währungsreserven angewiesen sein werden. Dessen Devisenreserven haben zwar seit September 2008 schon um rund ein Drittel abgenommen, sind aber nach China und Japan noch immer die drittgrößten der Welt.

Die entscheidende Variable sowohl für die russischen Staatsfinanzen als auch für die volkswirtschaftliche Entwicklung ist und bleibt die Ölpreisentwicklung. Auch wenn diese kaum zu prognostizieren ist, spricht einiges dafür, dass im Bereich von 35-50 Dollar je Barrel eine Stabilisierung erfolgt. Ein solches Niveau für das gesamte Jahr unterstellt, würde sicherlich in einem stark defizitären Staatshaushalt und einer bestenfalls ausgeglichenen Leistungsbilanz resultieren. Russlands Staatsverschuldung bewegt sich allerdings auf vergleichsweise niedrigen Niveaus, weit unter denen der EU oder der USA. Daher verfügt die Regierung über einigen Spielraum auch für weitere fiskalpolitische Maßnahmen, sollten diese erforderlich werden.
Attraktive Bewertungen – langfristige Perspektiven Russlands bleiben gut

Für die Gewinnmargen der Unternehmen dürfte insgesamt wenig nachhaltiges Potential nach oben bestehen, solange nicht die globale Konjunktur wieder anspringt. Die Finanzierungskosten werden auf absehbare Zeit hoch bleiben. Von den Bewertungen her ist der Markt zweifellos attraktiv und preist schon sehr negative wirtschaftliche Szenarien ein. Auf der anderen Seite konkurrieren russische Aktien mit russischen Dollar-Staatsanleihen, die aktuell rund 9-10 Prozent Rendite bieten und mit den Eurobonds von quasi-staatlichen russischen Emittenten, die mit rund 14 Prozent rentieren. Gerade der Eurobondmarkt ist derzeit allerdings hochgradig illiquide – sowohl auf der Kauf- als auch der Verkaufseite. Angesichts dessen wird der russische Aktienmarkt zumindest in den kommenden Monaten in hohem Maße vom Ölpreis, der weltweiten Konjunkturentwicklung und dem globalen Risikosentiment getrieben werden.

In Anbetracht der enormen Unwägbarkeiten im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung der USA und Europas sowie der Rohstoffpreise gestaltet es sich schwierig, derzeit eine konkrete Empfehlung abzugeben. Das langfristige Potential Russlands ist aber weiterhin intakt. Insofern sollte das Land in keinem global ausgerichteten Portefeuille fehlen. Ein gestaffelter Einstieg, vorzugsweise über Investmentfonds und verteilt in mehrere Tranchen über die kommenden 12-24 Monate, dürfte sich auf Sicht der nächsten 5-10 Jahre mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kräftig auszahlen.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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