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15:05 Uhr, 23.02.2009

Russische Aktien nur für Mutige

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  • RTX Russian Traded
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von Dieter Wermuth, Wermuth Asset Management GmbH

Man sollte, wie wir alle wissen, immer dann in einen Markt einsteigen, wenn die Kurse richtig niedrig sind und eigentlich alles gegen ihn spricht. Für Anleger, die sich an eine solche Maxime halten, ist Russland genau das Richtige. Es kommt hinzu, dass die langfristige Perspektive ganz günstig ist, jedenfalls unter der Annahme, dass die globale Finanzkrise nicht ewig anhalten wird, dass also die wirtschaftspolitische Expansionspolitik greifen wird, die Korrektur der Bilanzen überschuldeter Banken, anderer Unternehmen und Haushalte in nicht allzu ferner Zukunft abgeschlossen und irgendwann die Weltwirtschaft wieder Fahrt aufnehmen wird. Irgendwann wird es wieder einen Aufschwung geben - schon allein deswegen, weil sich Ersatzbedarf aufstaut, je länger die Krise anhält desto mehr -, und dann werden wieder deutlich mehr Rohstoffe gebraucht.

Von der Spitze im vergangenen Frühjahr bis heute ist der russische Aktienmarkt um etwa 80 Prozent eingebrochen, so viel wie kaum ein anderer. Das globale Bruttoinlandsprodukt war fünf Jahre lang mit Raten von real fünf Prozent gestiegen. Da die Wachstumstreiber vor allem die Schwellenländer mit ihrem großen Nachholbedarf an rohstoffintensiven Gütern waren, kam es bei Energie und anderen Rohstoffen zu einem Nachfrageboom. Er traf auf eine kurzfristig starre Nachfrage, was dann die Preisexplosion bei Öl und Metallen auslöste. Der russische Markt, der nach wie vor direkt oder indirekt zu 85 Prozent aus Rohstoffwerten besteht, explodierte seit 2002, als der Boom ins Rollen kam, und zwar fast eins zu eins mit den Rohstoffpreisen.

Rohstoffpreise auf dem Weg nach unten

Auf dem Weg nach unten hat sich dieser Zusammenhang bisher als sehr stabil erwiesen. Wir erleben als Folge der globalen Rezession eine Verschiebung der Nachfragekurve nach links. Da die Angebotskurve bei Rohstoffen nach wie vor steil ist, führen bereits geringe Rückgänge bei der Nachfrage zu einem Einbruch der Preise. Den Marktteilnehmern ist vermutlich auch bewusst, dass die Kosten von zusätzlichem Output bei Rohstoffen sehr gering sind. Meist wird sehr kapitalintensiv produziert, und wenn die Förderanlagen erst einmal stehen, ist es für die Betreiber rational, sie auch laufen zu lassen, selbst wenn die erzielbaren Preise unter den Durchschnittskosten liegen. Erst wenn die Preise auf das Niveau der (geringen) Grenzkosten fallen, wird die Produktion eingeschränkt. Es gibt bei Rohstoffen daher nicht so etwas wie einen stabilen Gleichgewichtspreis. Es geht meistens wild rauf und runter, es sei denn, es gelingt Kartelle zu gründen. Die OPEC ist zwar ein solches Kartell, aber ein schwaches: Nur ein Drittel der Produktion wird von ihm kontrolliert.

Jetzt sind wir also bei den Rohstoffpreisen wieder einmal auf dem Weg nach unten. Auch wenn es zuletzt eine Stabilisierung gegeben hat, wird die anhaltende und sich offenbar weiter vertiefende Rezession dafür sorgen, dass die Nachfrage weiter zurückgeht, und mit ihr die Rohstoffpreise. Das ist auf kurze Sicht, vielleicht sogar auch auf Sicht von zwei Jahren, das größte Risiko für den russischen Aktienmarkt.

Der Wind hat sich gedreht

Der Rubel befindet sich seit kurzem im freien Fall. Das war überfällig und ist genau das, was ein Arzt verschreiben würde. Das Land leidet, oder litt, unter der holländischen Krankheit, einer überbewerteten Währung. Grund war die Explosion der Rohstoffpreise, die einen gewaltigen Überschuss in der Leistungsbilanz mit sich brachte. Nicht nur aus diesem Grund gab es einen Aufwertungsdruck beim Rubel; hinzu kam, dass die Investitionschancen in Russland seit etwa 2002 in rosigstem Licht erschienen, was wiederum einen Zustrom an privatem Kapital auslöste. Die Notenbank versuchte zwar, durch Käufe von Dollar und Euro eine zu große Aufwertung zu verhindern, war aber nicht mit aller Entschlossenheit bei der Sache, zumal sich die Währungsreserven auch so innerhalb weniger Jahre auf 600 Mrd. Dollar vervielfachten. Nur zwei Länder, China und Japan, hatten noch größere Fremdwährungsaktiva.

Die Aufwertung hatte, zusammen mit der Explosion der Rohstoffpreise, den angenehmen Nebeneffekt, dass das Realeinkommen der Bevölkerung jahrelang um sechs bis acht Prozentpunkte rascher zunahm als das reale Sozialprodukt. Das ist der sogenannte Terms-of-Trade-Effekt (die Exportpreise steigen rascher als die Importpreise). Er löste eine euphorische Stimmung aus und war die Basis für den impliziten Sozialkontrakt zwischen Regierung und Volk: Tausche ständige Erhöhung des allgemeinen Wohlstands gegen politische Abstinenz und Konzentration der Macht im Kreml.

Der Kontrakt ist brüchig geworden. Nach dem Kollaps der Rohstoffpreise gibt es jetzt einen negativen Terms-of-Trade-Effekt und das Einkommen steigt deutlich langsamer als das Sozialprodukt. Genauer gesagt, sinkt das reale Sozialprodukt seit kurzem, und das real verfügbare Einkommen lag im Dezember bereits um nicht weniger als 11,6 Prozent unter seinem Vorjahreswert. Die Menschen werden ärmer.

Auch der Rubel ist im freien Fall. Es hat sich herausgestellt, dass in den Boomjahren parallel zu den Kapitalzuflüssen gewaltige private Schulden in Euro und Dollar aufgebaut wurden. Da die westlichen Kreditgeber bekanntlich selbst in Schwierigkeiten stecken und sie Russland angesichts der kollabierenden Rohstoffpreise für einen riskanten Schuldner halten, fordern sie ihre Kredite zurück, mit der Folge, dass die russischen Schuldner Rubel gegen Euro und Dollar verkaufen müssen. Die einzige Stelle, die ihnen die Fremdwährung zu geben bereit ist, ist die russische Zentralbank: Sie hat dadurch innerhalb weniger Monate mehr als ein Drittel der Währungsreserven verloren ohne dass sie den Verfall des Wechselkurses hätte aufhalten können.

Politik oft nicht einfach nachvollziehbar

Eine Rolle spielte sicher auch, dass die russische Politik in den letzten Jahren nicht gerade vertrauenerweckend war. Im Gegenteil. Man denke nur an die Behandlung wichtiger ausländischer Investoren wie Shell und BP, die zunehmende Verstaatlichung „strategischer“ Unternehmen, an die weiterhin zügellose Korruption, an die Missachtung der Menschenrechte, die willkürlichen Schwenks in der Wirtschaftspolitik, an die Kriege im Kaukasus oder die Gaspolitik. Die Liste ist lang.

Was die Aussichten für den Aktienmarkt angeht, kann man zunächst wohl konstatieren, dass in den Kursen schon eine Menge an Negativem steckt. Auf der Basis der Unternehmensgewinne für die vier verfügbaren vergangenen Quartale beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis lediglich 2,8, was einer Gewinnrendite von 35,7 Prozent entspricht. Man könnte meinen, mehr ist nicht möglich. Anders gesagt, die Risikoprämie ist gewaltig, oder noch anders gesagt: die russischen Unternehmen können kein Eigenkapital mehr aufnehmen und müssen ihre Investitionen zurückfahren. Das verbessert allerdings zunächst einmal den Cash Flow und damit die finanzielle Lage.

Der schwache Rubel hat zudem zur Folge, dass exportierende Unternehmen in Rubel gerechnet mehr erlösen, während gleichzeitig die Kosteninflation rapide zurückgeht. Die Löhne, auf die es in dieser Hinsicht vor allem ankommt, steigen kaum noch. Die meisten Unternehmen, die für den Inlandsmarkt produzieren, haben es dagegen wegen der schwachen Nachfrage nach Konsumgütern, Dienstleistungen und Kapitalgütern (einschließlich Immobilien und Fahrzeugen) sehr schwer, obwohl sie natürlich davon profitieren, dass Einfuhren oft prohibitiv teuer geworden sind. Importsubstitute sind ein plausibler Anlagevorschlag. Erstaunlicherweise importiert ein Flächenland wie Russland einen Großteil seiner Nahrungsmittel. Das dürfte sich jetzt ändern – weil es sich ändern muss.

Aktienmarkt hängt an den Rohstoffpreisen

Wann der Aufschwung am Aktienmarkt wieder einsetzen wird, ist nicht leicht vorherzusagen. Wer mag schon daran glauben, dass die Rohstoffpreise schon kurz vor der Wende stehen? Die schlechten Unternehmensergebnisse dürften bis auf Weiteres die Nachrichten dominieren.

Längerfristig ist Russland wirtschaftlich gut positioniert, vor allem wenn es gelingt, die jetzige Krise in positive Politik umzusetzen, also die Infrastruktur zu verbessern, einschließlich des Ausbildungswesens und des Gesundheitssystems, im Kampf gegen die Korruption endlich einmal den Worten Taten folgen zu lassen und Rechtssicherheit herzustellen. Russland ähnelte zu lange einem Drogenjunkie. Rohstoffe waren die Droge. Der schwache Rubel und die fallenden Rohstoffpreise sind eine wirksame Entziehungskur. Fast wünscht man sich, dass sie noch ein paar Jahre dauert.

Trotzdem: Am russischen Aktienmarkt wird die Glocke erst geläutet, wenn die Rohstoffpreise wieder anzuziehen beginnen. Da auch der nächste globale Wirtschaftsaufschwung von den – nach wie vor armen - Schwellenländern getragen wird, kann man darauf setzen, dass sich die Nachfrage nach Rohstoffen kräftig erholen wird. Auf der Angebotsseite dürfte sich in der Zwischenzeit wegen der niedrigen Preise nicht viel getan haben, so dass es zu einer neuen Preisrallye kommen dürfte, deren größter Profiteur Russland heißen wird. Auch wenn sich der Aktienindex dann innerhalb kurzer Zeit verdoppeln sollte, läge er noch weit unter seinen Höchstständen.

Für’s Erste ist das Zukunftsmusik. Russland ist etwas für Anleger mit starken Nerven und Stehvermögen.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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