Wissensartikel
14:57 Uhr, 23.06.2022

Warum Börsenkurse oft paradox auf Nachrichten reagieren

Jeder hat es schon beobachtet: Eine Nachricht läuft über die Ticker und die Kurse reagieren gar nicht oder völlig anders als erwartet. Eine kluge Börsenweisheit liefert nicht nur die Erklärung für das Phänomen, sondern hilft auch dabei, an der Börse Geld zu verdienen.

Vor allem Börsenanfänger wundern sich immer wieder: Da gibt es zu einem Unternehmen sehr gute Nachrichten und dennoch fällt der Aktienkurs. Oder aber es gibt katastrophale Neuigkeiten, aber die Kurse fallen nicht etwa, nein sie steigen sogar deutlich. "Das passt einfach nicht zusammen!": Dieser Gedanke dürfte jedem Börsianer, der die Nachrichtenlage und das Kursgeschehen beobachtet, schon oft gekommen sein. Und in der Tat ist diese Diskrepanz oft nicht nur eingebildet, sondern besteht tatsächlich.

Der wahrscheinlich wichtigste Grund, warum Kurse oft nicht wie erwartet auf Nachrichten reagieren, ist einfach: Es handelt sich aus Sicht des Marktes gar nicht um eine echte Neuigkeit. Alles, was von einem sehr gut informierten Beobachter ohnehin zu erwarten war, wurde von den echten Börsenprofis häufig bereits vorab durch ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen in die Kurse eingepreist. Läuft die Nachricht dann tatsächlich über die Ticker, mag die Nachricht für den einen oder anderen Leser noch eine Neuigkeit bedeuten, nicht aber für die in der Regel sehr gut informierten Börsenprofis, die die Neuigkeit bereits zuvor zumindest geahnt haben.

Anleger und Trader müssen bei der Interpretation von Nachrichten um die Ecke denken und sich fragen, welcher Teil einer Nachricht tatsächlich neu und unerwartet ist und welcher Teil bereits zuvor eingepreist wurde, weil die Entwicklung bereits abzusehen war. Nur die Neuigkeiten, die für gut informierte Marktteilnehmer wirklich überraschend kommen, beeinflussen den Kurs auf so einfache Art und Weise, wie das Börsenanfänger naiverweise erwarten.

Ein sehr einfaches Beispiel gab es am Donnerstag: Um fast genau 10.00 Uhr trat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor die Presse und erklärte, dass die sogenannte "Alarmstufe" des Notfallplans Gas ausgerufen wird. Das bedeutet: Die Gasversorgung in Deutschland ist ernsthaft in Gefahr und auf Verbraucher und Unternehmen könnten noch einmal deutlich höhere Gaspreise zukommen. Für die deutsche Volkswirtschaft durchaus keine gute Nachricht. Aber was machte der DAX? Er erreichte um genau 10.00 Uhr sein bisheriges Tagestief und stieg anschließend wieder! (Das am selben Morgen auch Einkaufsmanagerindizes veröffentlicht wurden und es natürlich auch noch andere kursbeeinflussende Faktoren gab, lassen wir an dieser Stelle einmal absichtlich außen vor.)

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Intraday-Chart des DAX bis zum frühen Nachmittag

Die Reaktion ist aber auch in diesem Fall nur scheinbar paradox. Dass die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen wird, war so bereits erwartet worden. Bereits am Montag stimmte das Wirtschaftsministerium die Versorger darauf ein, dass es wohl in den kommenden fünf bis zehn Tagen dazu kommen werde. Am Dienstagabend berichtete dies dann die Tageszeitung "Die Welt" unter Berufung auf "Kreise der Energiewirtschaft". Am Donnerstagmorgen vor Xetra-Handelsstart meldete die Nachrichtenagentur dpa schließlich, dass Wirtschaftsminister Habeck die Alarmstufe Gas wohl bei der auf 10.00 Uhr festgesetzten Pressekonferenz ausrufen werde.

Für gut informierte Marktteilnehmer und auch für viele normale Zeitungsleser kam der Schritt also nicht überraschend und führte deshalb auch nicht mehr zu einer negativen Kursreaktion. Warum aber reagierte der DAX scheinbar sogar positiv auf die offizielle Verkündung? Schließlich begann der Kurs ziemlich genau in dem Moment wieder zu steigen, als Habeck vor die Presse trat.

Eine mögliche Erklärung für diese scheinbar paradoxe Reaktion liefert das alte Börsensprichwort "Buy the rumour, sell the news." ("Kaufe das Gerücht, verkaufe die Nachricht.") Der erste Halbsatz der Börsenweisheit bedeutet, dass gut informierte Marktteilnehmer oft bereits im Vorfeld Bescheid wissen und mit ihren Kauf- und Verkaufsentscheidungen bereits im Gerüchte-Stadium darauf reagieren. Der zweite Halbsatz ("sell the news") weist darauf hin, dass das offizielle Bekanntwerden einer Neuigkeit dann von den gut informierten und kursbestimmenden Marktteilnehmern oft wieder zum Ausstieg genutzt wird. Reagierten sie auf ein Gerücht oder eine Erwartung mit Käufen, verkaufen sie wieder. Reagierten sie zunächst mit dem Eingehen einer Short-Position, schließen sie diese wieder (also kaufen zurück), wenn die Nachricht tatsächlich über die Ticker läuft.

Wer sich bereits vorab entsprechend positioniert hat, weil er eine bestimmte Nachricht erwartet hat, der nutzt die offizielle Verkündung der Nachricht häufig zum Ausstieg aus seiner Position. Denn ab genau diesem Zeitpunkt hat der Marktteilnehmer eben keinen Informationsvorsprung mehr. Hat ein Trader in Erwartung einer Ausrufung der Alarmstufe Gas eine Short-Position auf den DAX eröffnet, so ist es zumindest wahrscheinlich, dass er seine Short-Position dann wieder schließt, wenn die Nachricht tatsächlich über die Ticker läuft. Denn ab diesem Zeitpunkt "weiß jeder Bescheid" und der Trader hat keinen Informationsvorsprung mehr. Viele Marktteilnehmer, die den DAX zuvor geshortet hatten, stellten ihre Position also wahrscheinlich wieder glatt und mussten dazu wieder kaufen.

(Beachtet werden muss, dass es im Beispiel scheinbar genau umgekehrt zur Börsenweisheit ablief: Erst fielen die Kurse, als sich die Gerüchte und Spekulationen verbreiteten, dann stiegen sie wieder, als die Nachricht offiziell bekannt wurde. Statt "Buy the rumour, sell the news" also gewissermaßen "Sell the rumour, buy the news". Aber die Reihenfolge ist in diesem Fall nicht das Entscheidende. Die Börsenweisheit soll vielmehr aussagen, dass zunächst Gerüchte die eigentliche Kursreaktion auslösen und die offizielle Nachricht dann nicht selten zur gegenteiligen Reaktion führen kann. Bei einer positiven Nachricht führen die Gerüchte zum Anstieg der Kurse und die offizielle Verlautbarung löst dann nicht selten wieder eine Korrektur aus. Bei negativen Nachrichten verhält es sich umgekehrt)

Fazit: Die Börsenweisheit "Buy the rumour, sell the news" erinnert Anleger und Trader daran, dass Kurse oft schon im Vorfeld auf eine bestimmte Nachricht reagieren, weil die Nachricht von gut informierten Marktteilnehmern bereits erwartet oder erahnt und damit in die Kurse eingepreist wird. Wird die Nachricht dann tatsächlich offiziell bekannt, nutzen die bereits vorab informierten Marktteilnehmer häufig genau diesen Zeitpunkt wieder zum Ausstieg aus ihrer Position. Die eigentliche Kursreaktion auf eine Neuigkeit erfolgt also oft, wenn es sich noch um ein Gerücht handelt und nicht, wenn bereits alle Bescheid wissen. Wer also mit Nachrichten an der Börse Geld verdienen will, muss unterscheiden können, zwischen Nachrichten, die bereits vorab bekannt waren oder zumindest erahnt wurden und Neuigkeiten, die wirklich noch eine Auswirkung auf die Kurse haben können. Die Börsenweisheit schließt nicht aus, dass Börsenkurse manchmal auch genau so auf Nachrichten reagieren, wie das ein naiver und schlecht informierter Beobachter erwarten würde. Oft aber tun sich genau das Gegenteil, und auch das kann durchaus rational sein.


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Oliver Baron
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Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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