Kommentar
08:23 Uhr, 01.07.2015

Wutbürgertum zur Griechenlandfrage

In der Griechenlandfrage gibt es aktuell nur zwei Seiten. Die eine heißt die Entscheidung der Institutionen gut, die andere sieht darin Erpressung und antidemokratisches Verhalten. Für beide Seiten finden sich Argumente, die einen besser, die anderen schlechter.

In einem gestrigen Kommentar habe ich deutlich gemacht, was ich von der aktuellen Lage halte: ich begreife sie als Chance, einen Schlussstrich unter das Versagen von allen Parteien zu setzen. Es ist die Chance für einen Durchbruch in der Schuldenkrise und zwar für alle Beteiligten.

Der Durchbruch kann nur gelingen, wenn Griechenland endlich in den Bankrott gehen darf. Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Aus einem vollkommen unerfindlichen Grund hat daran aber anscheinend keiner ein Interesse. Das, was jetzt niemandem hilft, ist eine Fortführung dessen, was wir in den letzten Monaten und Jahren gesehen haben.

Griechenland will im Euro bleiben. Die Geldgeber können sich das vorstellen und würden dies sogar bevorzugen, doch ohne Bedingungen geht das nicht. Die immer wieder diskutierten Bedingungen werden von den Kritikern der Institutionen als Angriff gegen das griechische Volk gewertet. Wieso eigentlich?

Griechenland ist überschuldet. Soweit sind sich noch alle einig. Um weiterhin Renten und Gehälter zahlen zu können braucht Griechenland Geld aus dem Ausland. In den vergangenen Jahren sind so direkt und indirekt über 250 Mrd. nach Griechenland geflossen. 250 Mrd. ist nun wirklich nichts, was man einfach so herschenkt, vor allem nicht, wenn man Italien, Spanien oder Portugal ist. Die haben ihre eigenen Probleme.

Dass die Geldgeber Bedingungen an das Geld knüpfen ist sinnvoll. Ob der Inhalt der Bedingungen sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Forderung nach Reformen und Einsparungen kann man sich als Konditionen eines Kreditvertrages vorstellen. Griechenland erhält Geld zu vergleichsweise niedrigen Zinsen, muss im Gegenzug aber andere Bedingungen umsetzen. Das ist nicht gegen die Würde des griechischen Volkes gerichtet und auch nicht undemokratisch. Wer Verträge – und das ist das Programm letztlich – als undemokratisch und unwürdig bezeichnet, der dürfte es schwer haben in der Welt einen Ort zu finden, an dem das Leben ohne Verträge möglich ist.

Im zweiten Schritt muss man über die Inhalte der Bedingungen diskutieren. Sind diese vielleicht an der Realität vorbei? – Viele sagen sofort: ja, sie sind an der Realität vorbei. Ich frage mich, woher man das wissen kann. Die Bedingungen wurden bisher in vielen Teilen nicht umgesetzt. Ihre Wirkung kann man also gar nicht beurteilen. Trotzdem wird die wirtschaftliche Depression als Folge des Kreditvertrages gesehen.

Ich bin mir sicher, nicht jede gestellte Forderung der Geldgeber macht Sinn, doch man darf auch nicht selektiv und eher intuitiv behaupten alles sei schlecht. Steuererhöhungen und Rentenkürzungen sind nicht schön. Klar. Sind sie deswegen per se schlecht?

Problematisch ist, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden. Griechenland hat Sparvorgaben selten eingehalten. Noch mehr sparen fördert nicht gerade das Wachstum. Hätte Griechenland aber noch weiter sparen müssen, wenn andere Bedingungen überhaupt einmal umgesetzt worden wären? Ich denke da vor allem an das Thema Beendigung der Steuerflucht und Steuerhinterziehung.

Trotzdem soll das Argument gelten: die Menschen haben weniger Geld, um es auszugeben. Das schadet der Wirtschaft. Absolut richtig, doch das Geld, welches die Menschen in früheren Jahren ausgaben, häufte sich als Staatsschulden an. Würde man das so weiterführen, dann ist das so, als wollte man Feuer mit Benzin löschen. Und müsste wirklich so viel gespart werden, wenn endlich die Steuerzahlquoten ordentlich wären?

Ebenfalls darf man festhalten, dass die Geldgeber ein großes Interesse daran haben, das geliehene Geld wiederzusehen. Keiner will seinen Wählern erzählen, dass die eigenen Staatsschulden plötzlich um 10% ansteigen. Keiner will seinen Wählern erzählen, dass die Renten in Griechenland höher als daheim sind (z.B. Portugal nach OECD Berechnungen) und man im eigenen Land weiter kürzen muss.

Es liegt im Eigeninteresse der Geldgeber, dass Griechenland möglichst schnell wieder auf die Beine kommt. Die pauschale Vermutung die Geldgeber hätten böse Absichten und würden über 250 Mrd. verbrennen, nur um einen abartigen Masterplan in Griechenland durchzusetzen ist abwegig.

Man muss festhalten: die Forderungen der Geldgeber wurden nur teilweise umgesetzt. Ob bei Umsetzung aller Maßnahmen die Geschichte anders verlaufen wäre, kann man nur vermuten. Das Drama ist da und wie viel nun umgesetzt wurde ist inzwischen unerheblich. Die Politik der letzten Jahre ist gescheitert. Das ist einfach so. Da dürfen sich auch die Geldgeber nichts vormachen. Der Irrglaube mit „weiter so“ etwas zu bewirken ist absurd. Was in den letzten 5 Jahren nicht funktioniert hat wird jetzt auf einmal keine Wunder bewirken. Das hat Griechenland erkannt und hat damit Recht.

Griechenland hat auch Recht, wenn es sagt, dass Großteile des Geldes nicht an die Griechen gingen, sondern letztlich eine versteckte Bankenrettung waren. Das ist ebenfalls eine Tatsache. Inzwischen kann man jedoch nicht mehr vom Großteil des Geldes sprechen, nachdem sich die indirekten Finanzhilfen vor allem über den Umweg der EZB noch einmal um fast 30% allein in diesem Jahr erhöht haben. Inzwischen sind über 150 Mrd. tatsächlich in Griechenland und bei den Griechen gelandet. Dass das keiner so einfach wegschmeißen will, ist irgendwie nachvollziehbar.

Die Troika bekommt ihren Willen nicht und gilt bei vielen als undemokratisch. Der Druck auf Griechenland vor dem Referendum dient als Argument. Das Referendum wird von vielen als Beweis der Demokratie angesehen. Jeglicher Versuch dieses zu stören ist per Definition undemokratisch. Einverstanden, aber verbietet irgendjemand den Griechen abzustimmen? Benutzt die griechische Regierung nicht ihrerseits das Referendum als Erpressungsinstrument unter dem Deckmantel der Demokratie?

Anderseits: will die Troika durch ihre Forderungen die Regierung in Athen zum Rücktritt zwingen? Der Schluss kann einem in den Sinn kommen. Allerdings: die Troika fordert von der Regierung nicht zum ersten Mal und spontan die Umsetzung weiterer Bedingungen. Das hat sie bei den Vorgängerregierungen auch getan. Da hat sich kaum jemand aufgeregt. Jetzt, da der griechische Finanzminister in Lederjacke daher kommt und als frisch und links gilt, ist die Demokratie auf einmal in Gefahr...

Der Diskurs lässt sich beliebig fortführen. Das erspare ich allerdings mir und auch Ihnen. Beide Seiten haben inzwischen soviel Dreck am Stecken, dass man schon die Augen ganz fest schließen muss, wenn man ihn nicht sehen will. Die derzeitige Diskussion darum, wer auf wen mehr Druck ausübt ist am Thema vollkommen vorbei. Sollte es nicht darum gehen wie Griechenland wieder auf die Beine kommt? Darüber lese ich dieser Tage wenig. Stattdessen werfen sich beide Seiten gegenseitig Erpressung vor. Ausgetragen wird das auf dem Rücken der Bürger, für die es noch immer keinen Lichtblick gibt.

Die Eskalation und der Bruch ist die Chance endlich neu anzufangen. Stattdessen halten die Geldgeber die Türen weiter offen, fordern aber Maßnahmen, die zu nichts führen. Griechenland will den Kreditvertrag selbst schreiben und wundert sich, dass die Geldgeber etwas dagegen haben. Die Geldgeber sollten von ihren unnützen Forderungen abrücken und endlich den Schnitt wagen und Griechenland sollte die Illusion aufgeben in der Eurozone bleiben zu können, während weiter Geld ohne Kontrolle der Geldgeber fließen soll. Beide Parteien leben komplett an der Realität vorbei. Schuldenschnitt, Drachme und bedingungsloses humanitäres Hilfsprogramm an jeglicher Regierung vorbei. Punkt.

Lernen, traden, gewinnen

– bei Deutschlands größtem edukativen Börsenspiel Trading Masters kannst du dein Börsenwissen spielerisch ausbauen, von professionellen Tradern lernen und ganz nebenbei zahlreiche Preise gewinnen. Stelle deine Trading-Fähigkeiten unter Beweis und sichere dir die Chance auf über 400 exklusive Gewinne!

Jetzt kostenlos teilnehmen!

17 Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • Pejuco
    Pejuco

    Ich bin der neuen Regierung in Griechenland sehr dankbar.

    Mit dieser Grundhaltung 'wir sind die Guten, und die anderen die Bösen' wird man überhaupt keinen Konflikt lösen.

    Endlich wird einmal für jederman sichtbar, wie europäische Politik funktioniert.

    Für einige ist das nichts neues, aber wem das jetzt nicht deutlich wird, dem ist dann auch nicht mehr zu helfen.

    Mit Ihrem Artikel Hr. Schmale haben Sie natürlich recht.

    Aber was ich jeden Tag in den Medien lese oder sehe ist was anderes. Es wird auf den 'Gegner' draufgehauen bis zum geht nicht mehr. Jeder verfolgt siene ureigenen Interessen.

    Es ist nicht die 'Europäische Idee', es ist die politische 'Elite' die dieses Europa kaputt macht.

    12:25 Uhr, 02.07.2015
    1 Antwort anzeigen
  • PAOK
    PAOK

    Endlich mal ein Kommentar der beide Seiten beleuchtet. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo in der MItte. Vielen Dank Herr Schmale.

    20:55 Uhr, 01.07.2015
  • Cristian Struy
    Cristian Struy

    top Artikel!

    19:14 Uhr, 01.07.2015
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Nachdeme derweil viele Menschen in D gibt die fuer 7-800Euro volltime rackern, liegen diese ca. schon bei einem Gehalt eines kleinen Bankangestellten in Thailand oder einer englischsprachigen Hotelrezetionistin. Ich frag mich echt wohin das in Europa noch fuehren soll. Griechen arbeiten sogar schon fuer weniger.

    15:23 Uhr, 01.07.2015
  • Garten
    Garten

    ... Ergänzung:

    in der Eurozone haben die Unsozialen die Nase vorn:

    Luxemburg, Junckers Steuerpolitik bei Konzernen, gut für Luxemburg, mit Abstand höchstes Pro-Kopfeinkommen in der Eurozone, asozial für die Eurozone (Steueraufkommen). Warum ist Juncker immer noch Chef der Eurozone?

    Irland, Aufstieg Irlands durch niedrige Unternehmenssteuern, Boom auf Kosten anderer.

    Deutschlands Niedriglohnpolitik setzt die Arbeitnehmer der anderen Länder unter Druck.

    Mit einer eigene Währung wäre Hollandes und Tsipras Politik möglich. Die skandinavischen Länder sind Beispiele des Erfolges trotz (oder auch wegen) hoher Steuern (Wohlfahrtsstaaten).

    12:26 Uhr, 01.07.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Garten
    Garten

    "Die immer wieder diskutierten Bedingungen werden von den Kritikern der Institutionen als Angriff gegen das griechische Volk gewertet. Wieso eigentlich?" :

    Der Euro führt zur Umverteilung von unten nach oben, obwohl das Gegenteil erforderlich wäre. Immer wieder wird dies von den Mainstreammedien (zum Beispiel die letzten Brennpunkte) vor allem in Deutschland in arroganter Weise ausgeblendet.

    In Sachen Griechenland wird der linken Regierung arrogant die Schuld gegeben. Dabei hat die Troika in Griechenland eine Spur der Verwüstung hinterlassen.(Doku: "Die Spur der Troika"). Die Troika hätte soziale Verbesserungen durchdrücken können - hat sie aber nicht. Stattdessen hat sie das Gesundheitssystem abgebaut, usw... Auch hätte sie dafür sorgen können, dass die Reichen besteuert werden - hat sie auch nicht. Das Wirken der Troika ist der Beweis für die Werte der Eurozone ;)

    Immer wieder wird von den Politikern behauptet in Spanien, Italien usw. wäre alles auf dem besten Weg. Bei dem schwachen Euro ist es kein Wunder wenn es etwas aufwärts geht. Die soziale Lage ist aber schlecht. Die Bevölkerung hat sich auf die Krise eingerichtet und gibt sich mit schlechten Jobs zufrieden. Auch hier interessiert sich keiner von der Eurozone für das fehlende (Spanien) soziale Netz.

    Und auch in Deutschland, relativ krisenresist innerhalb der Eurozone, gibt es immer mehr zwei - Klassen Jóbs. Die Migration der Arbeitnehmer aus dem Rest der Eurozone drückt die Löhne.

    Der Euro hat in Frankreich eine soziale Politik (Beispiel Hollande) erschwert, weil das Kapital ohne Währungsgrenzen blitzschnell das Land verlassen kann. Wäre noch der französiche Franc da hätte der Kapitalbesitzer bei einer Abwertung der Währung einen Kaptitaverlust bei der Kapitalflucht hinnehmen müssen der vermutlich größer als die Steuererhöhung durch die linken Kräfte gewesen wäre. Weiterhin können die Franc das Land prinzipiell gar nicht verlassen, da mit Franc im Ausland nichts anzufangen ist.

    Durch den Euro muss also jeder Versuch den Arbeitnehmern im Sinne der Umverteilung mehr zukommen zu lassen scheitern. Die Länder versuchen sich Lohntechnisch zu unterbieten. Dies gilt zumindest in der Krise in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit.

    Ich denke, dass das Aufbrechen des Euro die eleganteste Lösung wäre. Leider wird dies bislang nicht von der Bevölkerung der betroffenen Länder getragen.

    11:06 Uhr, 01.07.2015
  • HumphreyWeyden
    HumphreyWeyden

    Schöne mediative Zusammenfassung und zielführendes Fazit !

    Mir persönlich fehlt noch eine Ohrfeige für den IWF der - dem Vernehmen nach - auf die gewaltigen Militärausgaben bestanden haben soll und die Sonderbesteuerung großer Vermögen und Rückführung aus dem Ausland ebenfalls aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt haben soll.

    Ebenso verdient die EU besondere Kritik, da ein Großteil der Versäumnisse unter der Aufsicht der Troika in den letzten 5 Jahren geschahen und man dort nun besonders entrüstet tut.

    Zukunftsweisend fand ich jüngst ein schlichtes Interview mit Piketty, abgedruckt in der Zeit.

    http://www.zeit.de/2015/26/thomas-piketty-schulden...

    Darin wird besonders die deutsche Rolle angemessen kritisch beleuchtet und ein Aufruf an eine Weltschuldenkonferenz begründet. Letzteres dürften wir wohl demnächst in der Diskussion erleben. Sobald neben den vielen Staaten, die es ohne Schuldenschnitt nicht schaffen werden, auch die Industrienationen Vorteile erhoffen, wird es plötzlich nur noch Befürworter geben ! Trotz der bizarren Lust, immer die anderen an Verträge zu erinnern !

    10:48 Uhr, 01.07.2015
  • 1 Antwort anzeigen
  • P_44
    P_44

    Humanitäres Hilfsprogramm? Wenn man ständig beleidigt wird? Abgelehnt!

    08:20 Uhr, 01.07.2015

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

Mehr über Clemens Schmale
  • Makroökonomie
  • Fundamentalanalyse
  • Exotische Basiswerte
Mehr Experten