Kommentar
16:16 Uhr, 04.03.2022

Wo steht eigentlich der russische Ölpreis?

Der Blick auf den Kurszettel gibt die Antwort nicht, schon gar nicht, wenn man wissen will, wie viel russisches Öl derzeit kostet.

Die Sorte Brent, die in den meisten Kurslisten angezeigt wird, erreichte einen Preis von fast 120 Dollar je Barrel. Dieser Anstieg erfolgte überraschenderweise nicht sofort nach Kriegsbeginn, sondern erst knapp eine Woche später. Zu erwarten war dies nicht unbedingt. Russische Rohstoffe stehen nicht unter Sanktionen, zumindest noch nicht.

Ein Teil der Erklärung sind andere Sanktionen. Geld für den Kauf von Öl nach Russland zu überweisen ist schwieriger geworden. Möglichkeiten gibt es aber noch, wenn man wollte. Hier besteht das Problem. Niemand will mehr. Die Nachfrage nach russischem Öl ist rückläufig. Das führt dazu, dass russisches Öl derzeit eines der billigsten der Welt ist (Grafik 1).

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Besonders bemerkenswert ist der Vergleich von russischem und iranischem Öl. Iran kann sein Öl derzeit zu höheren Preisen losschlagen als Russland. Das zeigt, dass viele bisherige Abnehmer versuchen, russisches Öl mit anderem zu ersetzen. Es scheint egal zu sein, woher das Öl kommt, solange es eben nicht Russland ist.

Das führt zu einer Preisdifferenz zu Brent und WTI, die es so noch nicht gab. Russisches Öl war in der Spitze fast 20 Dollar je Barrel günstiger als die globalen Benchmarks (Grafik 2). In den vergangenen Jahren war es oft umgekehrt. Seitdem die USA selbst viel Öl fördern, ist WTI tendenziell günstiger als Brent. WTI gilt zwar als qualitativ hochwertigeres Öl, doch es ist nicht knapp. Brent hingegen ist knapper und daher teurer.

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Brent und der russische Ölpreis (Urals) waren über weite Strecken nicht voneinander zu trennen. Das ist Geschichte, obwohl theoretisch jeder, der will, immer noch russisches Öl kaufen kann. Das ist eine unerwartete Entwicklung. Man kann von einer Art freiwilligen Sanktionierung russischen Öls sprechen.

Die Käufe sind nicht komplett verschwunden. Wer es sich leisten kann und andere Lieferanten findet, kauft aber andernorts. Wer das nicht kann oder will, kauft auch weiterhin russisches Öl und Gas. Russland entgehen so auch ohne offizielle Ölsanktionen Einnahmen. Einerseits wird weniger verkauft, andererseits muss der Preis niedriger sein, um Abnehmer zu finden.

Das macht Brent und WTI nicht billiger. Zudem dürften Anleger auch Angst vor Unterbrechungen der Ölversorgung haben. Der Preis wird in den nächsten Tagen volatil bleiben. Langfristig ergeben sich weitere Probleme. Ein Unternehmen nach dem anderen verlässt Russland. Das gilt auch für westliche Ölunternehmen, die Kapital und Technologie zur Verfügung gestellt haben.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Russlands Förderkapazitäten mittelfristig abnehmen werden. Ob über offizielle Sanktionen, Selbstsanktionen oder fehlende Ölförderung vor Ort, russisches Öl wird dem Weltmarkt so oder so bis zu einem gewissen Grad abhandenkommen.

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  • Kürbse
    Kürbse

    Sehr geehrter Herr Schmale,

    Gibt eine solche tolle Zusammenfassung auch bzgl. Naturalgas bzw HenryHub? Viele Grüße.

    17:08 Uhr, 08.03.2022

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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