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09:57 Uhr, 23.11.2012

Wirtschaftsweiser: Bankenaufsicht und EZB müssen zwingend getrennt werden

Frankfurt (BoerseGo.de) - Der Frankfurter Ökonom Volker Wieland hat schwerwiegende Bedenken gegen eine europaweite Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank geäußert. Im "Handelsblatt"-Interview (Freitag) warnte der neue „Wirtschaftsweise“ vor der Gefahr, dass die europäische Notenbank in Interessenkonflikte geraten könne, wenn sie die europäische Bankenaufsicht übernehmen würde. „Das wäre nicht die ideale Lösung“, sagte Wieland. Es bestehe die Versuchung, notwendige geldpolitische Entscheidungen hinauszuzögern, um Probleme für die Banken und damit Handlungsbedarf für die Aufsicht zu vermeiden. „Steigt zum Beispiel die Inflation, müsste die EZB die Zinsen erhöhen und den Banken Liquidität entziehen. Als Aufseher mag sie versucht sein der lockeren Geldpolitik den Vorzug zu geben, um Insolvenzen zu vermeiden“.

Der Frankfurter Ökonom schlägt deshalb vor, eine von der EZB unabhängige Aufsichtsbehörde zu installieren. Die Aufsicht könne durchaus im Haus der EZB angesiedelt sein. Aber es müsse sichergestellt werden, dass beide Institutionen unabhängig voneinander agieren - unter anderem dadurch, dass der Aufsichtschef kein Mitglied des EZB-Direktoriums sei. „Möglicherweise müssten dafür die EU-Verträge geändert werden“.

Wieland hat warnte außerdem davor, in der Bankenunion die Lösung schlechthin für die aktuellen Probleme in der Euro-Zone zu sehen. Wer eine Bankenunion fordere, um die Krise zu beenden, der wolle bereits aufgelaufene Verluste verteilen. Dann lägen Haftung und Kontrolle nicht mehr in derselben Hand. So schaffe man keine Stabilität. „Wer die Altlasten, die aus Übertreibungen am Immobilienmarkt und mangelnder Aufsicht in einzelnen Ländern resultieren, vergemeinschaften will, reizt damit wieder zu zukünftigen Übertreibungen an“, warnte Wieland.

Es sollte dem Finanzfachmann zufolge daher vorrangiges Ziel der Bankenunion sein, mit gemeinsamen Regeln, einer unabhängigen Aufsicht und eines adäquaten Restrukturierungs- und Abwicklungsregimes, Bankenkrisen in Zukunft zu vermeiden oder zumindest besser zu verarbeiten. Der EZB riet der Ökonom zudem, transparenter zu agieren und Abstimmungsergebnisse und Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen. Die Notenbank treffe inzwischen Entscheidungen, die nicht nur auf die Preisstabilität in der Eurozone ausgerichtet sind, sondern die Finanzierungskosten ausgewählter Staaten beeinflussten. Wieland soll im März 2013 in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einziehen.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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