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19:33 Uhr, 20.02.2009

„Das heiße Geld ist nun draußen aus dem russischen Markt“

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Die massiven Kursverluste, welche russische Aktien im Vorjahr hinnehmen musste, haben auch die Russland-Fonds gezeichnet. Die Bilanz bei den 15 in Deutschland offiziell zum Vertrieb zugelassenen Produkten dieser Kategorie ist dadurch tiefrot gefärbt. Selbst auf Sicht von drei und fünf Jahren weisen die Russland-Fonds nun Minuszeichen auf. Allerdings gibt es nur fünf Fonds, die überhaupt über so eine lange Existenz verfügen. Am besten hat sich dabei der Baring Russia Fund (ISIN: LU0073418229, 24,71 Dollar) geschlagen. Nachfolgend lesen Sie, wie Co-Fondsmanager Matthias Siller die Lage an den russischen Finanzmärkten derzeit beurteilt.

Herr Siller, verglichen mit anderen Russlands Fonds hat sich der Barings Russia Fonds gut geschlagen in den vergangenen fünf Jahren. Was sind aus Ihrer Sicht die Erfolgsfaktoren?

Zum Erfolg verhilft uns erstens ein aktiv gelebter Research und Asset Allocation Prozess mit Fokus auf unserem "Growth at a reasonable Price" Ansatz. Zweitens hilft uns die Bottom-up Coverage des Anlageuniversums unter Einbeziehung folgender Faktoren auf Einzelaktienebene:
a) Wachstumspotential
b) Liquidität: Finanzkraft des Unternehmens, Cashreserven, Gearing, aber auch: Liquidität der Aktie am Aktienmarkt
c) Management: Bewertung des Managements anhand Abgleich der historischen Performance in Bezug auf Unternehmenskennzahlen. Unternehmensbesuche werden dokumentiert und Aussagen des Managements festgehalten, das ermöglicht eine ex-post Betrachtung der Managementleistung.
d) Währungseffekte: Inwiefern ist das Unternehmen Währungsrisiken ausgesetzt?
e) Bewertung im absoluten (Zielpreis) und relativen (Peer-Group) Vergleich

Wie würden Sie allgemein die verfolgte Anlagephilosophie beschreiben?

Neben dem, was ich dazu bereits in der ersten Frage beantwortet habe, versuchen wir zusätzlich festzustellen, wo wir von Marktkonsens abweichen. Wir sind der Meinung, dass "Überraschungen" positiver und negativer Natur vom Markt mit Out- / bzw. Unterperformance beantwortet werden. Genau dann gibt es hohes Potential zur Alphagenerierung. Ein starkes Team von fünf Professionals (auf der Emerging Europe Aktien - Seite) in Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Teams (Global Emerging Markets, Commodities) gibt uns die Möglichkeit tiefes Unternehmenswissen aufzubauen.

Wir sehen "Halbwissen" als sehr gefährlich an und verwenden einen Großteil unserer Zeit damit, Unternehmenssensitivitäten und Geschäftsmodelle grundlegend zu begreifen. Dieses Wissen ermöglicht uns die "Unfallsrate" (plötzliches Auftauchen von vorher nicht bekannten Unternehmens- und Bewertungsrisiken) niedrig zu halten und gibt uns das notwendige Vertrauen in unsere Arbeit, um bei starken Kursschwankungen Aktien mit Investmentpotential von Underperformern zu unterscheiden und aktive Entscheidungen zu treffen. Wir gehen davon aus dass die Gesamtheit unserer Bemühungen uns die Möglichkeit gibt, im semi-effizienten Marktumfeld der Emerging European Markets durch aktive Asset Allocation Outperformance zu erzielen.

Wie wird sich aus Ihrer Sicht in diesem Jahr die Konjunktur in Russland entwickeln? Und auf welchen Ölpreisprognosen basieren Ihre Vorhersagen?

Wir erwarten eine abrupte Wachstumsabschwächung mit Potential für "Negativwachstum" im ersten Halbjahr 2009. Ein starker fiskalischer Stimulus (im Bereich von bis zu zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes) wird im Verlauf der zweiten Jahreshälfte zu einer Stabilisierung des wirtschaftlichen Umfeldes führen. Diesem Szenario liegt ein durchschnittlicher Ölpreis von 45 Dollar je Barrel zu Grunde.

Wie groß sind die Risiken, dass der wirtschaftliche Abschwung stärker als derzeit angenommen ausfallen wird?

Russland ist eindeutig eine rohstoffdominierte Volkswirtschaft, aber das hohe Potential im Bereich von fiskalischer Stimulierung der Wirtschaft verringert die direkte Abhängigkeit der Wirtschaft von Rohstoffpreisen in der mittleren Frist. Wir gehen daher davon aus, dass die Risken im längerfristigen Bereich liegen. Das heißt, sollten wir über die nächsten ein bis zwei Jahre Erdölpreis unter 35 Dollar sehen, werden die Mittel (derzeit ca. 380 Mrd. Dollar in Währungsreserven und Infrastrukturfonds – rund 35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 2008) nach rund zwei Jahren aufgebraucht sein werden, was längerfristig schwaches bzw. Nullwachstum bedeuten würde. Trotzdem muss unbedingt hervorgehoben werden das Russland in Vergleich zu vielen anderen Volkswirtschaften sehr gute Aussichten hat - eben weil der Staat de facto unverschuldet ist und in Krisenzeiten, wie man sie derzeit sieht, großzügig Reserven anzapfen kann.

Viele Marktteilnehmer verstehen die Politik nicht, die Russland betreibt (Georgien-Krieg, Gaskonflikt mit Russland, harte Rhetorik gegenüber dem Westen). Können Sie uns verständlich machen, warum die Russen so agieren, wie sie es tun?

Ganz klar: die Außenpolitik Russlands wird vom Großteil der restlichen Welt – zu Recht - als zunehmend aggressiv eingestuft. Das erhöht die Risikoprämie erheblich und erklärt zu einem gewissen Grad auch die Underperformance Russlands im Vergleich mit vergleichbaren Emerging Markets. Man muss allerdings differenzieren:
1) Der Georgienkonflikt und der Gasdisput sind separat zu beurteilen, wir glauben nicht, dass beide Konflikte untereinander vergleichbar sind oder als Teil einer großen außenpolitischen Strategie zu sehen sind.

2) In Bezug auf Georgien muss man verstehen, wie Russland die eigene strategische Rolle im Kaukasus interpretiert: nämlich historisch. Anwendung der historischen Methode lässt folgende Schlussfolgerung zu:
a) Russlands Südflanke am Kaukasus ist potentiell ein "Pulverfass" mit Implikationen für das gesamte restliche Land. (zivile Unruhen, Auseinandersetzungen verschiedener Minderheiten untereinander, Terrorismus) - die Erfolgbringende Methode war bis dato immer Stärke und Entschlossenheit zu demonstrieren
b) Der Kreml rechnet damit, dass Stärke und Entschlossenheit in einem territorial begrenzten, beherrschbaren Konflikt Zuspruch in weiten Teilen der russischen Bevölkerung finden und von anderen Problemen (Inflation, Arbeitsplätze, Ausbildung, Gesundheitswesen) ablenken.
c) Russland definiert sich nach der demütigenden Erfahrungen nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder als regionale –vielleicht sogar als globale - Supermacht. Das starke Wirtschaftswachstum und die hohen Fremdwährungsreserven taten das ihrige, um auch alte Großmachtsträume wieder aufkommen zu lassen. Ein positiver Effekt einer langfristigen Normalisierung von Rohstoffpreisen könnte sein, dass sich dieser Anspruch wieder relativiert. Wir sind generell der Meinung, dass der optimale Ölpreiskorridor für Russland weit unter 100 Dollar liegt, vielleicht zwischen 70 und 80 Dollar, um Überhitzungstendenzen jedweder Art zu vermeiden.

3) Der Gaskonflikt mit der Ukraine ist unserer Meinung nach ökonomischer Natur und ist wahrscheinlich von beiden Seiten in gleichen Maßen provoziert worden. Die starke Verfilzung von Politik und Wirtschaftinteressen innerhalb der wirtschaftlich schwer angeschlagenen Ukraine lassen kurzfristige Cashflow-Optimierung für viele der handelnden Personen wichtiger erscheinen als die langfristige Sicherung der europäischen Energieversorgung. Die Verlässlichkeit Russland als Energielieferant für Europa hat gelitten, eine gleichzeitig laufende professionelle PR-Kampagne konnte noch größeren Imageschaden zumindest vermindern. Klar ist, dass Russland erstens mittel- bis langfristig alternative Transportrouten (Ostsee etc.) aufbauen wird, um die Abhängigkeit von der Ukraine bedeutend zu verringern. Zweitens, dass Europa viel daran setzen wird, die Abhängigkeit von sibirischem Gas zu verringern und nach einer Diversifizierung der Gaslieferungen trachten wird. Drittens, dass Russland Europa als Abnehmer (und Devisenlieferant) genau so dringend braucht wie umgekehrt und erst sehr langfristig mit China neue Abnehmer finden wird. Es wird daher zu einer Wiederannäherung in der Energiefrage kommen. Viertens, dass die Ukraine langfristig einen extrem wichtigen Devisenbringer (nämlich Gastransit-Tarife) und seinen Status als Transportland verlieren wird.

Russland ist für Bürger wie kritische Journalisten oder Rechtsanwälte ein lebensgefährlicher Ort. Sie laufen Gefahr, ermordet zu werden, ohne dass die wahren Mörder gefunden werden. Ist das ein Umfeld, in dem Anlegergeld gut aufgehoben ist?

Diese Frage muss umfassend beantwortet werden: Tatsache ist, dass demokratische Strukturen in vielen Teilen der Emerging Markets noch im entstehen sind. Russland ist in dieser Hinsicht unserer Meinung nach nicht als Schlusslicht zu bezeichnen. Die historische Betrachtung zeigt, dass solche Strukturen über die Zeit entstehen müssen, eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes zusammenhängen und nicht von außen auferlegt werden können.

Investoren tragen in vielen Fällen zur wirtschaftlichen Entwicklung und - wie wir hoffen - auch zum kulturellen Austausch bei. Wir verneinen als Investoren unser ethische Verantwortung nicht, sind aber der Meinung, dass der langfristige Erfolg in Zusammenarbeit und nicht in Ausgrenzung liegt.

Die Kapitalflucht hat zuletzt wieder deutlich zugenommen. Warum sollten Ausländer investieren, wenn offenbar selbst die Russen ihr Geld abziehen?

Die Kapitalflucht hält sich in Grenzen, es handelte sich hauptsächlich um das Kapital internationaler Investoren, die Investments am russischen Aktienmarkt abziehen. Wir sind der Meinung, dass dieses "heiße Geld" nun aus dem russische Markt ist, der sich nun hauptsächlich aus wirklich interessierten Investoren zusammengesetzt. Was aber richtig ist, ist die Tatsache, dass die russische Bevölkerung und russische Betriebe aggressiv Rubel in Dollar und Euro konvertiert haben. Dies führte zu einer Reduzierung der Fremdwährungsreserven der Nationalbank auf zuletzt rund 180 Mrd. Dollar.

Glauben Sie, dass die Verantwortlichen weise und angemessen auf die aktuelle Krise reagiert haben?

Alles in allem: Ja. Man darf nicht vergessen, dass große Teile der russischen Bevölkerung immer noch von dem Chaos des Staatsbankrotts und der einhergehenden Rubelabwertung traumatisiert sind. Die Intervention der Nationalbank ermöglichte es großen Teilen der Bevölkerung, Sparguthaben in Dollar zu wechseln und erhielt so das Vertrauen in die Fähigkeit der Regierung, federte den Verlust des Konsumentenvertrauens ab und führte zu einen Vermögenstransfer von der Nationalbank zu Unternehmen und Konsumenten. Wir erwarten, dass sich dies 2009 positiv auf das Konsumverhalten auswirkt, ganz besonders im internationalen Vergleich.

2008 war ein grausames Jahr für die russischen Finanzmärkte. Womit rechnen Sie in diesem Jahr?

Der russische Aktienmarkt handelt absolut und relativ auf Mehrjahrestiefstständen, die Risikoprämien sind enorm und viele Negativszenarien sind eingepreist. Die Währung hat abgewertet und bringt der Wirtschaft Wettbewerbsvorteile, ganz besonders im Rohstoffbereich. Die Regierung verfügt über enorme Währungsreserven und wird diese zur Ankurbelung der Wirtschaft einsetzen. Das sind an und für sich hervorragende Vorraussetzungen für ein "re-rating" des russischen Aktienmarkts. Eine Beimischung russischer Aktien in ein Portfolio bietet sich auf jeden Fall an.

Ende Dezember hatten Energieaktien eine Gewichtung von mehr als 32 Prozent in Ihrem Fonds. War das verglichen mit dem Vergleichsmaßstab eine Unter- oder Übergewichtung? Und warum haben Sie die Gewichtung in einem Umfeld fallender Ölpreise nicht noch weiter zurückgefahren?

32 Prozent entspricht einer Untergewichtung. Wir haben unsere Energiegewichtung im Verlauf des 4. Quartals stark reduziert, wollen aber nicht abstreiten, dass wir die starken Abschläge im Energiebereich nicht komplett in diesem Ausmaß vorhergesehen haben. Doch was wichtiger ist: Russische Energieaktien verfügen über eine solide Finanzierungsstruktur und gehören zu den billigsten Aktien weltweit. Die Rubelabwertung bringt zusätzliche Wettbewerbsvorteile. Wir erhöhen derzeit den Energieanteil in unserem Portfolio.

Wie heißen Ihre Favoriten auf Ebene der Einzelwerte und Sektoren?

Wir geben keine Empfehlungen auf Einzelaktienebene ab.

Auf den ersten Blick scheinen viele Bewertungen sehr niedrig zu sein. Aber sind die Gewinnerwartungen nicht immer noch zu hoch? Und auch welchen Erwartungen basieren Ihre Gewinnprognosen?

Der Markt ist längst abgekoppelt von Konsensusschätzungen und hat, unserer Meinung nach, signifikante Gewinnrückgänge (bis 75 Prozent) eingepreist. Angesichts der Tatsache, dass russische Erdölunternehmen auch bei Ölpreisen unter 40 Dollar profitabel wirtschaften, gehen wir davon aus, dass der Mart steigt, obwohl die Gewinnschätzungen für 2009 von Analystenseite weiter zurückgenommen werden. Wir gehen für 2009 von einer "schwarzen Null" bei der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes aus.

Viele russische Firmen brauchen in diesem Jahr Kapital. Wird es ihnen trotz Kreditkrise möglich sein, dieses Geld aufzubringen? Und welche Unternehmen sind in dieser Hinsicht am stärksten gefährdet?

Nein, russische Firnen werden von staatlicher Seite unterstützt. Das gibt ihnen sogar einen großen Vorteil in Bezug auf Finanzierungsfragen

Es gibt in Russland eine Tendenz zur Verstaatlichung von Unternehmen. Sehen Sie Russland gut beraten darin, dieser Strategie zu folgen?

Diese Tendenz ist global zu erkennen und wird in Russland nicht stärker zu Tage treten als anderswo auch. Die Einhaltung von marktwirtschaftlichen Spielregeln und eine Aufrechterhaltung der Privatwirtschaft könnte eine große positive Überraschung im Jahr 2009 werden.

Der Rubel befindet sich im freien Fall. Rechen Sie mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung und was könnte den Abwärtstrend umkehren. Und betreiben Sie eine Währungsabsicherung?

Der Rubel ist jetzt unterbewertet. Der größte Teil der Sparguthaben und Unternehmenskonten wurde in Dollar konvertiert. Wir erwarten eine baldige Stabilisierung. Der Fonds betreibt keine Währungsabsicherung.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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